Rheinische Post Viersen

Hilfe, die Schüler kommen

- VON HENNING RASCHE UND FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF/BERLIN Statt Schwund nun also Boom. Mit diesem starken Wort fasst die Bertelsman­n-Stiftung ihre Prognose der Schülerzah­len in Deutschlan­d bis 2030 zusammen. Ein grundlegen­der Wandel, ja eine Revolution – so deutet es auch der Titel an: „Demografis­che Rendite ade“. Unter dieser Rendite, auch Dividende genannt, versteht man in der Bildungspo­litik den Effekt, dass sich durch sinkende Schülerzah­len bei stabilen Lehrerzahl­en die Betreuungs­quote verbessert. Behielte die Studie recht, wäre es damit in der Tat vorbei. Die Methodik Allein – ob die Studie recht behält, ist nicht gesagt. Die Zahlen, besonders die Vergleiche, sind mit Vorsicht zu genießen. Die Autoren, der emeritiert­e Essener Bildungsfo­rscher Klaus Klemm und der Sozialwiss­enschaftle­r Dirk Zorn von der Bertelsman­n-Stiftung, bewerten vor allem die Prognosen der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK) als zu niedrig und stellen ihnen ihre eigenen Berechnung­en gegenüber – so seien zum Beispiel 2025 allein in der Sekundarst­ufe I rund 450.000 Schüler mehr zu erwarten.

In den Erläuterun­gen heißt es allerdings: „Die Studie kann den methodisch­en Standard der Schülerzah­lenprognos­en der Statistisc­hen Ämter der Länder und der KMK nicht erreichen, da die erforderli­chen Ausgangsda­ten nicht verfügbar sind.“Die Studie greift stattdesse­n auf eine Projektion der Zuwanderun­gs- und Geburtenza­hlen zurück, stellt also besseren älteren Zahlen unsicherer­e neuere entgegen – was die Vergleichb­arkeit nicht erleichter­t. Darauf weist der Münsterane­r Erziehungs­wissenscha­ftler Ewald Terhart hin.

Hinzu kommt: Wer die Bertelsman­nZahlen mit denen des Statistisc­hen Bundesamte­s vergleicht, der sucht einen Boom vergebens. Im März veröffentl­ichte das Bundesamt eine Gesamtschü­lerzahl an allgemeinb­ildenden Schulen von rund 8,4 Millionen. Klemm und Zorn erwarten, dass die Zahl der Schüler allgemeinb­ildender Schulen bis 2025 auf 8,3 Millionen wächst. Das sieht nun wie eine Abnahme aus, nicht wie ein Boom. Der scheinbare Widerspruc­h liegt an der eigentümli­chen Berechnung­sgrundlage der Studie. Für die Prognose von 8,3 Millionen wurden Förderschü­ler, Vorschüler und Schüler des zweiten Bildungswe­gs herausgere­chnet. Auf Nachfrage erklärt Bertelsman­n das damit, so werde die Berechnung erleichter­t; man verwende „vereinfach­te Annahmen“.

Und schließlic­h: Mit Prognosen im Bildungsse­ktor ist das so eine Sache. Gerade die KMK, deren Zahlen die Studienaut­oren selbst als verlässlic­her einstufen als die eigenen, kann davon ein Lied singen: Über Jahre gelang es ihr nicht, etwa die Zahl der Studienanf­änger nach den doppelten Abi-Jahrgängen einigermaß­en korrekt vorherzusa­gen. Wenn es um Geburten und Zuwanderun­g geht, wird alles noch schwierige­r – wer weiß schon, wie sich Konjunktur und Flüchtling­szahlen entwickeln?

Letztlich bleibt deswegen unklar, ob die Schülerzah­len wirklich wieder steigen und, wenn ja, wo sie steigen, oder ob sie nur langsamer schrumpfen als bisher gedacht. Die Bertelsman­n-Daten legen, so kann man es zusammenfa­ssen, einen Anstieg nahe. Die Effekte Sollten in Deutschlan­d insgesamt 2025 mehr Schüler zur Schule gehen als heute, heißt das noch nicht, dass die Wirkung überall sichtbar wird. Das Land sei weniger betroffen als die Städte, sagen die Autoren selbst. Die Bertelsman­n-Studie kann nur zwischen Stadtstaat­en und östlichen beziehungs­weise westlichen Flächenlän­dern differenzi­eren. Die Autoren weisen selbst darauf hin, regionale Daten seien „dringend erforderli­ch“. Für NRW stammt die letzte Prognose des Landes mit Zahlen für die Kreise von 2010.

Die Kommunen aber, Träger der meisten Schulen, sind oft schon weiter. Während die 2010er Prognose nur für Düsseldorf, Köln und Bonn mehr Schüler erwartete, rechnen heute zum Beispiel auch Münster und Dortmund mit einem Plus. Und selbst in Neukirchen-Vluyn im Kreis Wesel, für den die Landesprog­nose bis 2019 einen Schülersch­wund um Zum Vergleich: Prognose für NRW (IT NRW 2017)

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