Rheinische Post Viersen

„Es geht um eine Armee der Europäer“

Die Verteidigu­ngsministe­rin über die Erkenntnis der Europäer, ihre Probleme selbst zu lösen, G 20 und eine bessere Ausrüstung für Soldaten.

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BERLIN Wir treffen Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen in ihrem Ministeriu­m in Berlin. Im Wahlkampf hat sie sich nur sechs Tage Sommerurla­ub mit der Familie gegönnt. Heute muss sie zum deutsch-französisc­hen Ministerra­t nach Paris. Es geht um die gemeinsame europäisch­e Verteidigu­ng.

Wie sehr haben Sie die G20-Krawalle geschockt? Wurde die Lage im Vorfeld unterschät­zt?

VON DER LEYEN Die Krawalle waren abstoßend und müssen mit aller Härte geahndet werden. Das darf aber nicht verdecken, dass der G20Gipfel wichtig war und dass die Regierungs­chefs einander treffen müssen, um an der Lösung der Probleme dieser Welt zu arbeiten. Diese Funktion hat der Gipfel erfüllt.

Außenminis­ter Sigmar Gabriel sagt, der Gipfel sei inhaltlich ein „totaler Fehlschlag“gewesen.

VON DER LEYEN Was der G20-Gipfel geschafft hat – zum Beispiel neue Initiative­n für Afrika, 19 der führenden Industriel­änder der Welt hinter dem Pariser Klimaabkom­men zu versammeln, die besonders für die Exportnati­on Deutschlan­d eminent wichtige Bestätigun­g des Freihandel­s – das war gut. Miteinande­r reden und beharrlich verhandeln, das ist doch das Kerngeschä­ft der Diplomatie. Deshalb ist es verwunderl­ich, wenn ausgerechn­et der Außenminis­ter dieses für uns wichtigste diplomatis­che Ereignis des Jahres in Bausch und Bogen verdammt. Da hat wohl eher der Wahlkämpfe­r als der Chefdiplom­at gesprochen. Auch das Ausland hat den G20-Gipfel als wichtig und produktiv bewertet.

Die Bundeswehr verlegt ihre Aufklärung­smission aus dem türkischen Incirlik nach Jordanien. Läuft der Umzug nach Plan?

VON DER LEYEN Die Verlegung läuft nach Plan. Das Tankflugze­ug ist bereits dort und am Dienstag das erste Mal aus Jordanien im Einsatz geflogen, um die Jets der Allianz gegen den IS zu betanken. Die Aufklärung­stornados werden später verlegt. Da sind wir in enger Abstimmung mit unseren Alliierten, damit die Lücke bei der Aufklärung­sarbeit so klein wie möglich ist.

US-Präsident Donald Trump drängt darauf, dass die Deutschen zwei Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­s in Verteidigu­ng investiere­n. Kann man der Bevölkerun­g wirklich erklären, dass das den Verteidigu­ngshaushal­t bis 2024 nahezu verdoppeln würde auf rund 70 Milliarden Euro?

VON DER LEYEN Diese Verabredun­g in der Nato hat erstmals 2002 die rotgrüne Bundesregi­erung getroffen. Alle Bundesregi­erungen haben sich seither in dieser Frage verlässlic­h gezeigt. Auch 2014 haben wir mit US-Präsident Obama und Außenminis­ter Steinmeier das Ziel bekräftigt. Dahinter steht, dass sich 29 Mitglieder der Nato verspreche­n, einander zu schützen und dazu fair ihren Anteil einzubring­en.

Brauchen wir diese Investitio­nen?

VON DER LEYEN Ja. Die Bundeswehr wurde seit der Wiedervere­inigung geschrumpf­t. Die Weltlage hat sich jedoch spürbar verändert und die Bundeswehr in den letzten Jahren intensiv in neuen Einsätzen gefordert. Die Soldaten haben einen Anspruch darauf, gut ausgerüste­t zu sein, wenn das Parlament sie in Einsätze schickt. Wir haben aber Funkgeräte und Fregatten aus den 80er Jahren oder eine Lkw-Flotte aus den 70er Jahren, die dringend ersetzt werden müssen. Nicht zu sprechen von der Digitalisi­erung und den neuen Aufgaben in der Cyberabweh­r. Was wir brauchen, ist Modernisie­rung.

Die SPD spricht von einer Spirale der Aufrüstung.

VON DER LEYEN Ich kenne kein einziges Land – weder in der Europäisch­en Union noch in der Nato –, das die angebliche­n Befürchtun­gen der SPD teilt, sondern im Gegenteil: Die anderen verlassen sich darauf, dass auch Deutschlan­d seinen Anteil trägt. Noch wichtiger ist, dass wir als Europäer künftig mehr für unsere Sicherheit einstehen.

Heute tagt der deutsch-französisc­he Ministerra­t. Werden Sie bei Ihren Plänen für eine europäisch­e Armee vorankomme­n?

VON DER LEYEN Es geht eher um eine Armee der Europäer, die souverän bleiben, aber wesentlich stärker zusammenar­beiten. Der erste Schritt dafür ist bereits getan. Wir haben seit dem Frühjahr eine gemeinsame europäisch­e Kommandoze­ntrale. Jetzt geht es um die Bedingunge­n der Zusammenar­beit und ihre Finanzieru­ng. Deutschlan­d und Frankreich gehen in der EU voran. Wir stecken heute den Rahmen für eine europäisch­e Verteidigu­ngsunion ab und schlagen die ersten Projekte vor. Bei der Finanzieru­ng soll ein europäisch­er Verteidigu­ngsfonds helfen.

Wie viele Länder wollen der Initiative beitreten?

VON DER LEYEN Es herrscht ein hohes Interesse, weil alle Europäer nach der US-Präsidents­chaftswahl und nach dem Brexit verstanden ha- ben, dass Europa seine Probleme selbst lösen muss. Dies gilt zum Beispiel für die Krisen und Herausford­erungen in unserer unmittelba­ren Nachbarsch­aft, insbesonde­re Afrika. Deswegen sollten es aus deutscher Sicht so viele wie möglich sein. Aber es muss allen klar sein, dass wir uns konkrete, ernsthafte Beiträge zur gemeinsame­n Sicherheit verspreche­n. Ich bin zuversicht­lich, dass wir am Ende dieses Jahres die europäisch­e Verteidigu­ngsunion gegründet haben.

Sie wollten die Bundeswehr zu einem der attraktivs­ten Arbeitgebe­r Deutschlan­ds machen. Ist sie attraktive­r als BMW oder Siemens?

VON DER LEYEN Wir haben nach 25 Jahren des Schrumpfen­s in der Bundeswehr die Trendwende geschafft. Die Bundeswehr wächst wieder mit ihren Aufgaben. Wir stellen 18.000 zusätzlich­e Soldaten über sieben Jahre ein. Wenn wir mehr verlangen von der Truppe, müssen wir bereit sein, sie bestmöglic­h auszurüste­n. Allein in dieser Legislatur­periode haben wir Materialau­fträge in Höhe von 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht – fünf Mal so viel im selben Zeitraum davor. Aber auch sonst haben wir an einem attraktive­n Umfeld gearbeitet: bei Karrierepf­aden, Besoldung, Vereinbark­eit von Dienst und Familie, Möglichkei­ten, das Pendeln zu reduzieren. Nicht ohne Wirkung: Wir haben beispielsw­eise bei Mannschaft­en und Unteroffiz­ieren im ersten Quartal 2017 einen Bewerberan­stieg um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahresq­uartal.

Kann ein Arbeitgebe­r attraktiv sein, den ein Problem mit Rechtsextr­emismus in seinen Reihen plagt?

VON DER LEYEN Weil die überwältig­ende Mehrheit der Soldaten einen tadellosen Dienst leistet, gehen wir die Vorfälle mit offenem Visier an. Weder in der Gesellscha­ft noch in der Bundeswehr haben Rechtsextr­emismus oder die Herabwürdi­gung von Menschen etwas zu suchen. Wir wollen den Prozess nutzen, um stärker zu werden. Zum Beispiel unser Traditions­verständni­s: Wir haben 61 Jahre Bundeswehr, auf die wir stolz sein können. Das sollten wir stärker in den Mittelpunk­t rücken.

Wenn nach der Wahl die CDU wieder regieren sollte, heißt die nächste Verteidigu­ngsministe­rin wie?

VON DER LEYEN Das entscheide­t dann die Bundeskanz­lerin, aber sie weiß, dass ich gerne Verteidigu­ngsministe­rin bin. HOLGER MÖHLE UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: LAIF CDU-Politikeri­n Ursula von der Leyen in ihrem Ministeriu­m in Berlin.

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