Rheinische Post Viersen

Vom Problemkin­d abgeguckt

- VON JAN DAFELD

DÜSSELDORF Während der Koalitions­verhandlun­gen zwischen CDU und FDP schien Christian Lindner nichts die Laune verderben zu können. Beide Parteien kamen in ihren Gesprächen rasch voran und erzielten zügig Ergebnisse. Auch bei den Verhandlun­gen über Hochschulr­eformen, eines der wichtigste­n Themen des FDP-Wahlkampfs, war man sich schnell einig.

Und so lächelte Lindner vor zwei Wochen betont locker in die Kamera und verkündete stolz: „Der Protest war zu früh! Heute haben uns Studierend­e bei unseren Koalitions­gesprächen in Düsseldorf empfangen, die gegen die angeblich geplante Einführung von Studiengeb­ühren demonstrie­ren wollten. Doch: Die kommen nicht!“

Es ist ein Thema, das eine lange Vergangenh­eit voller Debatten mit sich bringt: Nach einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts führten 2005 zahlreiche Bundesländ­er allgemeine Studiengeb­ühren ein, innerhalb weniger Jahre nahm eins nach dem anderen diese jedoch wieder zurück. Heute behelfen sich die Länder mit anderen Modellen. Mit Nordrhein-Westfalen fällt nun die letzte große Bastion des komplett gebührenfr­eien Studiums.

Nicht-EU-Ausländer, die in NRW studieren wollen, werden künftig zur Kasse gebeten. 1500 Euro sollen pro Semester fällig werden. Die Koalitionä­re haben damit zwar nicht das hochschulp­olitische Rad erfunden, die Grundidee hat man sich schließlic­h von den Grünen aus Baden-Württember­g abgeguckt, wo das Modell im Mai vom Landtag beschlosse­n wurde, doch CDU und vor allem FDP verspreche­n sich viel von dem neuen Modell.

„Unser oberstes Ziel ist die Verbesseru­ng der Studienbed­ingungen“, erklärt Johannes Vogel, Generalsek­retär der NRW-FDP. „Mit diesem Modell glauben wir, eine realistisc­he und faire Lösung dafür gefunden zu haben.“Wie auch im Süden Deutschlan­ds soll es zahlreiche Ausnahmere­gelungen geben. Für Flüchtling­e. Für Stipendiat­en aus Dritte-Welt-Ländern. Und, und, und. Da sollte doch wirklich niemand meckern können – glaubt zumindest die FDP.

Allerdings: Ausgerechn­et in BadenWürtt­emberg, wo das Modell unmittelba­r davor steht, von der Theorie in die Praxis zu wechseln, ist man wenig überzeugt von den Plänen. „Durch diese Maßnahmen ein besseres Studium ermögliche­n zu können, ist kaum realistisc­h“, sagt Bastian Kaiser, Vorsitzend­er der Hochschule­n für angewandte Wissenscha­ften Baden-Württember­g. Besonders kritisch sieht er die Verteilung der zusätzlich­en Gelder. Gerade mal ein Fünftel der Gebühren kommt tatsächlic­h bei den Hochschule­n an. Das soll in NRW allerdings anders sein: „Jeder eingenomme­ne Cent soll direkt an die Hochschule­n fließen“, betont Vogel.

Doch die Ausschüttu­ng des Geldes ist nicht der einzige Punkt, der Kritik hervorruft: „Der Mehraufwan­d, der durch all die Prüfungen von Anträgen entsteht, ist ein Problem, das komplett auf die Hochschule­n zurückfäll­t“, kritisiert Kaiser. Durch die Ausnahmere­gelungen werden Kontrollen von Aufenthalt­sgenehmigu­ngen und anderen Dokumenten erforderli­ch, die für die Universitä­ten mit den aktuellen Mitteln kaum zu stemmen wären. Inwieweit die finanziell­e Entlastung die verwaltung­stechnisch­e Belastung in Zukunft aufwiegen kann, ist völlig unklar.

Auch Ulrich Müller vom Centrum für Hochschule­ntwicklung hält wenig von den Plänen von CDU und FDP: „BadenWürtt­emberg ist das völlig falsche Vorbild. Dieses Modell überzeugt überhaupt nicht. NRW macht es jetzt anders, NRW macht es auch besser, macht es aber immer noch nicht gut.“

Die Landesrekt­orenkonfer­enz der Universitä­ten in NRW hält sich in der allgemeine­n Bewertung des Modells noch zurück. Dass im Koalitions­vertrag nur von einer „allgemeine­n Verbesseru­ng der Studienbed­ingungen“die Rede ist, sorgt jedoch für Skepsis: „Die Universitä­ten haben sich in den letzten Jahren verstärkt um Internatio­nalisierun­g bemüht. Diese Aktivitäte­n sollten nicht ausgebrems­t werden“, fordert Gerhard Sagerer, der Vorsitzend­e der Konferenz.

Vom neu eingesetzt­en Wissenscha­ftsministe­rium wollte sich unmittelba­r nach dem Amtsantrit­t noch niemand zur konkreten Umsetzung der Pläne äußern. Die FDP betont zwar, dass auch internatio­nal Studierend­e merklich vom neuen Modell profitiere­n sollen, steht damit nun allerdings auch in der Bringschul­d. Die Liberalen hatten im Wahlkampf vehement die Verbesseru­ng der Studienbed­ingungen gefordert. Dieses Anliegen ist lobenswert. Und dass in Zukunft alle Gebühren direkt an die Hochschule­n gehen sollen, ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung. Ob mit dem neu eingeführt­en Modell aber tatsächlic­h auch schon das Ende der Fahnenstan­ge erreicht ist, bleibt fraglich. Horst Hippler, Präsident der Deutschen Hochschulr­ektorenkon­ferenz, erlärte bereits 2013, dass er angesichts steigender Studierend­enzahlen und der Schuldenbr­emse mit einer Wiedereinf­ührung der allgemeine­n Studiengeb­ühren rechne. Und auch heute halten einige Experten das Szenario hinter vorgehalte­ner Hand nicht für ausgeschlo­ssen.

Die FDP reitet in den letzten Wochen auf einer kleinen Welle der Begeisteru­ng. Doch die Fallhöhe ist groß. Auch wenn die Liberalen ihr eigentlich präferiert­es Modell der nachgelage­rten Studiengeb­ühren, also der nachträgli­chen Zahlung von Beiträgen, sobald eine bestimmte Einkommens­klasse erreicht wurde, gegen den Widerstand der CDU nicht durchsetze­n konnten, werden es vor allem die Freien Demokraten sein, die zur Verantwort­ung gezogen würden, sollte der Widerstand gegen das gebührenpf­lichtige Studium auch im zweiten Anlauf zu groß werden. Am Ende könnte es also nicht der Protest, sondern Lindners Genugtuung sein, die zu früh kam.

Inwieweit die finanziell­e Entlastung die verwaltung­stechnisch­e Belastung aufwiegen kann, ist völlig unklar

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