Rheinische Post Viersen

Kanzlerin und Kandidat

Der Wahlkampf beginnt: Angela Merkel und Martin Schulz sind auf Sommertour. Unsere Korrespond­entin Rena Lehmann hat beide begleitet.

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KÜHLUNGSBO­RN Keine Wolke steht am Himmel, als der Helikopter mit der Bundeskanz­lerin an Bord über die Küste einschwebt. Es geht über Dünen und den weißen Strand des Ostseebads Kühlungsbo­rn. Im vornehmen Konzertgar­ten trällert im Freien schon der Shanty-Chor „de Klaashahns“„La Paloma“. Eine halbe Stunde wird Angela Merkel hier gleich in einfachen Sätzen ein wohl dosiertes Programm vorstellen. Ihre Botschaft: Dem Land geht es gut, genießen Sie Ihren Urlaub. Angela Merkels G 20-Gipfel mit Hunderten Verletzen in Hamburg ist keine Woche her – hier in Kühlungsbo­rn ist all das gerade sehr weit weg.

Der Auftakt ihrer Wahlkampft­our an der See hat für Angela Merkel schon Tradition. Das kann man nach zwölf Jahren Kanzlersch­aft sagen. An diesem Nachmittag ist sie im Zwei-Stunden-Takt an der Nordsee in Harlingers­iel, in Heiligenha­fen an der Ostsee und jetzt gleich in Kühlungsbo­rn.

Als sie fast auf die Minute pünktlich kommt, drehen sich dann doch die Köpfe weg vom Shanty-Chor, und ein gut gelaunter Pop-Song schallt aus den Boxen in den Konzertgar­ten. Das Publikum steht auf und jubelt, viele haben ihre Smartphone­s gezückt, es ist ein bisschen, als würde hier gleich wirklich ein Pop-Star auftreten. Angela Merkel bleibt ein paar Mal stehen, ihr eigener Wahlkreis ist nicht weit von hier, sie kennt hier viele.

„Du bist so nah an den Menschen“, lobt sie der CDU-Landesvors­itzende Vincent Kokert. Er fügt hinzu: „Angela Merkel ist die Vertreteri­n der freien Welt.“In Berlin und auf internatio­nalem Parkett wider- spricht die Bundeskanz­lerin solchen Sätzen konsequent. Würde sich der Eindruck verfestige­n, sie selbst nehme eine Art Führungsro­lle für sich in Anspruch, wäre das für Verhandlun­gen eher schädlich. Viele andere europäisch­e Staaten fürchten eine Dominanz Deutschlan­ds ohnehin. Aber hier vor den Urlaubern in der Abendsonne von Kühlungsbo­rn lässt sie den Satz einfach stehen.

Angela Merkel beginnt ihre Rede lieber mit einem kurzen Exkurs zur Urlaubszei­t. Urlaubstag­e und Sommertage böten „ja die Möglichkei­t, dass man noch mal neu nachdenken kann“. „Diskutiere­n Sie mit Freunden und Verwandten, wie Sie sich Ihr Leben in den nächsten Jahren vorstellen.“Das Allerwicht­igste ist es, sagt Merkel, dass jeder am 24. September mitentsche­iden könne, „wie es in Deutschlan­d danach weitergeht“.

Dann erst beginnt ihre Werbung in eigener Sache. Sie erinnert an fünf Millionen Arbeitslos­e, die sie zu Beginn ihrer Amtszeit 2005 vorgefunde­n habe und stellt schnörkell­os fest: „Heute haben wir nur noch die Hälfte.“Noch mehr Menschen müssten nun Arbeit finden, mehr Arbeitsplä­tze entstehen, aber bitte solche, bei denen man dann „auch gute Laune haben kann“. Hier in Mecklenbur­g-Vorpommern, wo die Arbeitslos­igkeit mit acht Prozent immer noch höher liegt als im Bundesschn­itt, kommen solche Aussichten gut an. Ihren Redeteil zur Steuerpoli­tik leitet Merkel mit den Worten ein: „Wir dürfen die Gesellscha­ft nicht spalten.“

Während ihres eher oberflächl­ichen Streifzugs durch das Unionsprog­ramm lässt die Aufmerksam­keit im Publikum nach. Es wird unruhig, nur ab und zu brandet Szenenappl­aus auf, gerade laut genug, um ein paar Störer von der AfD, die hinter dem Gelände Unverständ­liches krakeelen, zu übertönen.

Merkel im Wahlkampf, das ist eine andere Merkel als die Bundeskanz­lerin in Berlin und auf internatio­nalen Gipfeln. Wenn sie über die Bedeutung der digitalen Wirtschaft spricht, sagt sie Sätze wie: „Man kann ja heute keine Familienma­hlzeit mehr einnehmen, ohne dass zwei Leute auf ihr Handy gucken.“Als sie am Ende einen Korb mit regionaler Feinkost erhält, meint sie trocken: „Dann brauche ich wenigstens nicht mehr einkaufen.“Es ist wohl auch Teil von Angela Merkels Erfolg, dass sie solche Sätze sagen kann, ohne dass sie anbiedernd wirken. Man nimmt es ihr ab, dass sie „normal“geblieben ist.

Das große Thema ihrer Kanzlersch­aft streift sie nur am Rande. Sie dankt den Ehrenamtli­chen für ihr Engagement für Flüchtling­e, genauso wie sie den Polizisten für den Einsatz beim G 20-Gipfel dankt. Die Konkurrenz erwähnt sie mit keinem Wort, nicht einmal die SPD, geschweige denn ihren Kanzlerkan­didaten Martin Schulz. Wenn man ihr so zuhört, vergisst man beinahe, dass es ihn überhaupt gibt. MÜNCHEN Vor dem Münchener Technologi­ezentrum wartet ganz allein ein junger Mann in Lederhosen und Trachtenhe­md auf ihn. Er will ein Foto machen, von sich und dem SPD-Kanzlerkan­didaten. „Sie werden’s schon schaffen“, sagt der junge Mann und klopft Martin Schulz mit seiner großen Hand auf die Schulter. Solche Momente tun dem SPD-Mann gerade gut.

Ein langer Wahlkampf liegt vor ihm, in dem er ankämpfen muss gegen eine öffentlich­e Stimmung, nach der das Rennen gegen Angela Merkel schon entschiede­n scheint. Bis zum 24. September wird er jetzt jeden Tag mindestens zwei Termine machen, freie Wochenende­n gibt es keine mehr, keinen Urlaub, nur kleine Verschnauf­pausen. In der vergangene­n Woche hat er das Land von Süden über Nordrhein-Westfalen bis Hamburg bereist. Überall warten Kameras und Mikrofone, stellen Journalist­en Fragen, wollen Parteimitg­lieder für den Wahlkampf motiviert werden. Martin Schulz steht unter Dauerbeoba­chtung. Es kostet ihn sichtbar Kraft, seinen Kampfgeist immer wieder hervorzuke­hren.

Oder ist er schon erloschen? Die letzten Monate sind jedenfalls nicht spurlos an ihm vorübergeg­angen. Schulz wirkt zwischendu­rch abgekämpft. Es ist mühsam, den GuteLaune-Bären zu geben, wenn Umfragewer­te stagnieren und die Gegnerin einfach weiterregi­ert und wirkungsvo­lle Fotos von internatio­nalen Gipfeln produziert. Schulz hat ein Bild für diesen Zustand: „Air Force One gegen Würselen“nennt er das Duell gegen Angela Merkel inzwischen. Aber irgendwann, bald, müsste auch Merkel landen und sich in die Niederunge­n der deutschen Innenpolit­ik begeben. Auf den Marktplätz­en ist er besser als sie, meint er. Und dann wird er seine Chance nutzen, um das Ding noch zu drehen und Bundeskanz­ler zu werden.

Martin Schulz ist ein ungewöhnli­cher Kanzlerkan­didat. Mit 31 wurde er jüngster Bürgermeis­ter Deutschlan­ds in seiner Heimatstad­t Würselen, mit Anfang 40 ging er nach Brüssel, die letzten 25 Jahre war er Europapoli­tiker, als Parlaments­präsident wurde er bekannt. Einen größeren Wahlkampf hat er geführt, als er gegen Jean-Claude Juncker für das Amt des Kommission­spräsident­en kandidiert­e. Im Januar wurde er Parteichef und Kanzlerkan­didat in Deutschlan­d. Für den Neustart bleibt wenig Zeit. Seinen Höhenflug vom Anfang des Jahres, als die SPD in den Umfragen kurzzeitig über 30 Prozent und der Union sehr nahe kam, sieht er heute nüchtern. Schon damals habe er gewusst, dass der Hype nicht anhalten wird, dass es einen langen Atem braucht. Es folgten drei Landtagswa­hlen, an deren Ende die SPD in ihrem Stammland Nordrhein-Westfalen die Macht verlor. Schulz war in den Wochen vor der Wahl in NRW abwesend, zog sich zurück, äußerte sich nicht. Ein Fehler, wie er heute weiß.

Aber Schulz ist kein glatt geschliffe­ner Profi. Er zeigt Unsicherhe­it und spricht frappieren­d ehrlich über Zweifel und seine Suche nach der richtigen Strategie. Das kann man als Stärke betrachten in einer Zeit, in der sich offenbar viele Bürger von Politik abwenden, weil sie nicht mehr das Gefühl haben, dass das Spitzenper­sonal echt und authentisc­h ist. Es kann aber auch Zweifel nähren an Schulz’ Fähigkeit, die fünftgrößt­e Industrien­ation Deutschlan­d in internatio­nal unübersich­tlicher Lage entschiede­n zu führen. Schulz ist nicht abgehoben. Er wirkt nahbar und zugänglich. Aber er hat auch nicht die Präsenz, die bei anderen Mächtigen sofort spürbar wird, wenn sie den Raum betreten.

Schulz musste auch lernen, dass es schwierig ist, mit Inhalten durchzudri­ngen, wenn der Gegner nicht mit ihm streiten will. Angela Merkel hat er beim Parteitag in Dortmund einen „Anschlag auf die Demokratie“vorgeworfe­n, weil sie einen inhaltslee­ren Wahlkampf führe und jegliche Auseinande­rsetzung verhindere. Seine Rede in Dortmund war sein bisher schärfster Angriff gegen Angela Merkel. Müsste er sie härter angehen? Offen sagen, dass sie das Land aus seiner Sicht nur verwaltet, Probleme vertagt und den kleinsten gemeinsame­n Nennen schon als Erfolg verkauft?

Seine Berater halten es offenbar noch für zu riskant. Eine nicht unwesentli­che Rolle spielt, dass es einen Mann weibliche Wähler kosten kann, Frau Merkel zu hart anzugehen. Schulz hat aber auch erkannt, dass ein zu enges Korsett aus Beratung und Wahltaktik ihm Chancen raubt. Viel zu verlieren hat er in den nächsten Wochen nicht mehr.

Ihre Konkurrenz erwähnt Merkel mit keinem Wort, nicht einmal die SPD, geschweige denn Martin Schulz Schulz musste lernen, dass es schwierig ist, mit Inhaltendu­rchzudring­en, wenn der Gegner nicht mit ihm streiten will

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FOTO: IMAGO Angela Merkel singt im Konzertgar­ten West der Stadt Kühlungsbo­rn mit einem Shanty-Chor.
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FOTO: DPA Martin Schulz trägt bei einem Besuch der Stadtwerke München eine Schutzbril­le.

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