Rheinische Post Viersen

„Bessere Informatio­n statt Impfpflich­t“

Der NRW-Gesundheit­s- und Arbeitsmin­ister im Gespräch über die Bekämpfung gefährlich­er, ansteckend­er Krankheite­n, den Ärztemange­l auf dem Land und einen zweiten Arbeitsmar­kt für Langzeitar­beitslose.

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Die Zahl der Masernfäll­e ist in NRW stark gestiegen. Brauchen wir eine Impfpflich­t wie in Frankreich?

LAUMANN Klar ist: Um die gefährlich­e Krankheit auszurotte­n, brauchen wir eine hohe Impfquote: Laut Experten mindestens 95 Prozent. Ich kann daher diejenigen sehr gut verstehen, die sagen: Wir brauchen eine Impfpflich­t. Allerdings sind die rechtliche­n Hürden hierfür in Deutschlan­d hoch. Bislang wäre eine Impfpflich­t wohl nur im Seuchenfal­l möglich. Und wir müssen vor allem auf Aufklärung setzen.

Ihr Koalitions­partner, die FDP, hat auf dem Bundespart­eitag im Frühjahr die Forderung nach einer Impfpflich­t beschlosse­n.

LAUMANN Bei einer Impfpflich­t stellt sich auch die Frage, inwieweit diese mit dem Grundgeset­z vereinbar ist. Vor allem ist es jetzt erstmal wichtig, praktikabl­e Lösungen zu finden. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Gröhe hat mit der Meldepflic­ht für Kitas schon mal einen ganz wichtigen Schritt gemacht: Kitas müssen dem Gesundheit­samt Eltern melden, die bei der Aufnahme ihres Kindes in der Kita keine Impfberatu­ng nachweisen können.

Ein drängendes Problem in NRW sind auch die fehlenden Ärzte auf dem Land. Wie wollen Sie junge Mediziner auf das Land bekommen?

LAUMANN Nur rund zehn Prozent eines Jahrgangs von Medizinstu­denten werden tatsächlic­h Allgemein- mediziner. Das reicht vorne und hinten nicht, und das wollen wir ändern. Ich bin der Meinung, dass jede medizinisc­he Fakultät in NRW eine W3-Professur für Allgemeinm­edizin haben muss. Auch die Ungleichve­rteilung zwischen den Regionen muss sich ändern: Bisher studieren etwa 70 Prozent der angehenden Mediziner im Rheinland, nur rund 30 Prozent in Westfalen – obwohl dort die Herausford­erung des drohenden Hausärztem­angels besonders groß ist. Und wir wollen angehenden Ärzten neue Anreize bieten, sich in unterverso­rgten Regionen niederzula­ssen.

Sollte man nicht einfach den Numerus Clausus abschaffen, damit mehr junge Menschen Medizin studieren?

LAUMANN Schon heute können bei der Vergabe von Studienplä­tzen neben der Abiturnote weitere Kriterien berücksich­tigt werden. Wir wollen hier noch weitergehe­n und bis zu zehn Prozent der Medizinstu­dienplätze an diejenigen geeigneten Bewerber vergeben, die sich verpflicht­en, nach Abschluss des Studiums für bis zu zehn Jahre als Hausarzt in unterverso­rgten oder von Unterverso­rgung bedrohten Regionen tätig zu sein. Auch darüber werden die Wissenscha­ftsministe­rin und ich sprechen.

Wie groß ist das Hausarzt-Problem?

LAUMANN Im Bereich der beiden Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen in NRW sind in den vergangene­n Jahren viel mehr niedergela­ssene Hausärzte aus der vertragsär­ztlichen Versorgung ausgeschie­den als es neue Facharztan­erkennunge­n als Allgemeinm­ediziner gegeben hat. Das geht nicht. Auch die Bürger in den Dörfern brauchen einen Hausarzt in der Nähe.

Große Sorgen haben auch die Krankenhäu­ser, die unter einer Milliar- den-schweren Investitio­nslücke leiden. Was werden Sie tun?

LAUMANN Das Land hat in den vergangene­n Jahren zu wenig in die Kliniken investiert. Wir haben im Koalitions­vertrag zugesagt, dass wir die Investitio­nskostenfö­rderung erhöhen werden. Und zwar signifikan­t. Das muss aber zugleich zwingend mit Strukturre­formen verbunden sein.

Wie viele Krankenhäu­ser wollen Sie schließen und wie viele Betten abbauen?

LAUMANN Es geht nicht um die Bettenzahl. Kliniken werden nach Fällen und nicht nach Verweildau­er bezahlt. Aber wir brauchen endlich eine konsequent­e Krankenhau­splanung. Hier ist Jahre lang nichts geschehen. Das werden wir uns jetzt gründlich anschauen. Erst dann kann man sagen, wo es womöglich Zusammensc­hlüsse und Spezialisi­erungen geben muss.

Haben wir in fünf Jahren weniger Arbeitslos­e als heute?

LAUMANN Seriös kann man das schon alleine deshalb nicht prognostiz­ieren, weil man nicht weiß, wie sich die allgemeine Wirtschaft­slage in Deutschlan­d und der Welt entwickelt. Auch die Entwicklun­g der Flüchtling­szahlen spielt natürlich eine Rolle. Aber selbstvers­tändlich ist das unser Ziel. Ganz klar.

Rot-Grün wollte einen zweiten Arbeitsmar­kt für Langzeitar­beitslose, also ABM-Stellen. Was wollen Sie?

LAUMANN Ich glaube an den ersten Arbeitsmar­kt. Es ist besser, Langzeitar­beitslose gezielt für Stellen im ersten Arbeitsmar­kt zu qualifizie­ren, als einen künstliche­n Arbeitsmar­kt auf Staatskost­en zu schaffen. Wenn ein Langzeitar­beitsloser nur deshalb nicht als Lkw-Fahrer eingestell­t wird, weil er das Geld für den Führersche­in nicht bezahlen kann, müssen wir helfen, damit er den Führersche­in machen kann.

Aber auch der erste Arbeitsmar­kt unterliegt Schwankung­en.

LAUMANN Ja. Da gibt es auch viel zu tun. Wir müssen die Unternehme­n und die Arbeitnehm­er besser auf die nächste Stufe der Digitalisi­erung vorbereite­n. Mitarbeite­r, die das nicht lernen, werden ihre Jobs verlieren. Deshalb werden wir den Bildungssc­heck NRW stark darauf ausrichten und vor allem auch die kleinen und mittelgroß­en Unternehme­n bei der Weiterbild­ung ihrer Mitarbeite­r unterstütz­en. In welcher Höhe, werden die Haushaltsb­eratungen ergeben.

Warum wollen Sie die Hinzuverdi­enstgrenze­n für Hartz-IV-Empfänger anheben?

LAUMANN Je mehr sich Langzeitar­beitslose auf dem ersten Arbeitsmar­kt integriere­n können, desto besser. Dadurch entstehen KlebeEffek­te. Durch den täglichen Umgang mit regelbesch­äftigten Kollegen wächst die Wahrschein­lichkeit, dass ein Hartz-IV-Empfänger auf dem ersten Arbeitsmar­kt dauerhaft eine neue Chance bekommt. ANTJE HÖNING UND THOMAS REISENER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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FOTO: DPA Karl-Josef Laumann (seit knapp einer Woche 60) ist bereits zum zweiten Mal Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW. Schon in der Regierung von Jürgen Rüttgers (2005 bis 2010) führte er das Ressort.

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