Rheinische Post Viersen

Köln nimmt Abschied vom Unbequemen

In einer Feier mit 4000 Gästen im Dom – darunter viele Prominente – fand Joachim Kardinal Meisner seine letzte Ruhestätte in der Gruft.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

KÖLN Das „hillige Köln“nimmt Abschied vom Alterzbisc­hof – vom geliebten, ungeliebte­n, vom oft unbequemen Joachim Kardinal Meisner, der mit seinem Bistum derart beharrlich fremdelte, dass daraus eine unausweich­lich tiefe Zuneigung zu sprechen schien. Köln nimmt Abschied, betend diesmal. Immer und immer wieder das Vaterunser, bis die Prozession, von St. Gereon kommend, den Hohen Dom erreicht. Auf Meisners eigenen Wunsch war er mehrere Tage dort, in der alten romanische­n Basilika, aufgebahrt – mit Blick auf seine „Pfarrkirch­e“, wie er den Dom gerne nannte.

Kölns Abschied ist still, bewegend, berührend. Und lang ist die Prozession der Kardinäle, Bischöfe und Priester, Vertreter kirchliche­r Verbände und der Politik. Die Bundespoli­tik ist nicht vertreten, dafür ist NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet gekommen. Wer will, kann auch der Gästeliste entnehmen, dass Meisner nie leichte und populäre Positionen vertreten hat und zu seinem Mitstreite­rkreis auch jene gehörten, die aus unterschie­dlichen Gründen aneckten: Der frühere Augsburger Bischof Walter Mixa (Amtsverzic­ht 2010) geht in der Prozession neben dem früheren Limburger Bischof Tebartz-van Elst (Amtsverzic­ht 2013). Auch Kurienkard­inal Gerhard Ludwig Müller nimmt in Köln Abschied, dessen Amt als Präfekt der Glaubensko­ngregation kürzlich und überrasche­nd von Papst Franziskus nicht verlängert wurde.

Weiter hinten gehen im Trauerzug noch Burschensc­haften und Schützenbr­uderschaft­en, am Ende schließlic­h – worauf Köln nie wird verzichten können – Vertreter der vielen Karnevalsv­ereine. „Kölle uns Welt weed op dr Kopp jestelt“ist auf einer der bunten Fahnen zu lesen.

Wie nimmt man ein letztes Mal Abschied? Mit Worten? Die Predigt von Meisners Freund und Weggefährt­en Peter Kardinal Erdö, dem Primas von Ungarn, verharrt im Persönlich­en: in der Begegnung mit einem jungen Priester, einem jungen, mutigen Bischof in der DDR, einem großen Marienvere­hrer.

Sinnfällig­er sind an diesem Vormittag die Grußworte der beiden Päpste: wie die kurze, sehr nach Pflicht klingende Botschaft von Papst Franziskus. In seinen knappen Worten, die der apostolisc­he Nuntius von Berlin, Nikola Eterovic, vorliest, scheinen Meisners kritische Nachfragen an Franziskus doch Spuren hinterlass­en zu haben. Der Abschiedsg­ruß des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI. klingt da wärmer und vertrauter. Schließlic­h hatte Benedikt in Meisner einen unerschroc­kenen Mitstreite­r im Kampf gegen die „Diktatur des Zeitgeiste­s“, wie es im Dom heißt. Noch am Tag vor dem Tod des Alterzbisc­hofs am 5. Juli hatten beide miteinande­r telefonier­t. Dankbarkei­t habe aus seiner Stimme geklungen, schreibt Benedikt. Meisner sei froh gewesen, sich ausspannen zu können nach den Strapazen; noch am Sonntag zuvor hatte er an der Seligsprec­hung von Bischof Teofilus Matulionis in Vilnius mitgewirkt. Auch dieses Unermüdlic­he kennzeichn­et Meisner. „Wir wissen, dass es ihm, dem leidenscha­ftlichen Hirten und Seelsorger, schwerfiel, sein Amt zu lassen“, schreibt Benedikt, genährt wohl auch aus der Erfahrung des eigenen Rücktritts.

Sein Amt zu lassen! Und das zu einer Zeit, „in der die Kirche dringend überzeugen­der Hirten bedarf“, so Benedikt. Da wird das Grußwort für einen kurzen Moment zur Gegenwarts­analyse einer Kirche als Boot, das „fast schon zum Kentern ange- Kardinal Meisner (1933-2017) füllt ist“. Benedikts Worte werden von seinem Privatsekr­etär verlesen, Kurienerzb­ischof Georg Gänswein. Dafür gibt es überrasche­nd Applaus im Dom; und wie es scheint, für die Worte und den Vortragend­en.

Aus Meisners geistliche­m Testament ist viel zitiert worden. Und es wurde auch gestaunt, etwa über seinen Treueaufru­f für den Papst: „Haltet immer zum Papst, und ihr werdet Christus nicht verlieren“, heißt es darin. Auch das hat – wie manches im 83 Jahre währenden Leben des Alterzbisc­hofs – einen biografisc­hen Hintergrun­d. Dazu gehört sein Leben in drei gesellscha­ftlichen Systemen. Zwölf Jahre im Hitlerreic­h. 44 Jahre unter der Herrschaft des kirchenfei­ndlichen Kommunismu­s. Schließlic­h über 20 Jahre in der freiheitli­chen Demokratie. In all diesen Lebensepoc­hen habe ihm das Vorbild des Papstes „immer Orientieru­ng, Ermutigung und Beistand“geschenkt.

In den vergangene­n zehn Tagen ist intensiv Abschied genommen worden. Allein mit dem aufgebahrt­en Leichnam schien es Woelki, als würde Meisner noch einmal zu den Menschen predigen. Der letzte Weg dieses Abschieds wird dann kurz vor zwölf Uhr angetreten: mit der Beisetzung des schlichten, während der Feier unter der Vierung stehenden Eichensarg­s in der Gruft.

Es ist leise im Dom mit den 4000 Trauergäst­en. Noch einmal das Vaterunser. Betend soll auch Kardinal Meisner gestorben sein. Das Brevier sei aus seinen Händen geglitten. Ein Sterben „mit Blick auf dem Herrn“, schreibt Benedikt. Zum Schluss zitiert Kardinal Woelki jene Worte, die Meisner 1987 auf dem Katholiken­treffen in Dresden gesprochen hat – diesmal mit Blick auf die rheinische Domstadt: „Wir wollen hier in Köln keinem anderen Stern folgen als dem von Bethlehem.“

Meisner hat an Köln und den Kölnern längst nicht alles geschmeckt, wie er es von Zeit zu Zeit ja auch unmissvers­tändlich verlauten ließ. Und bei seiner Emeritieru­ng vor drei Jahren gab Meisner noch einmal ein für ihn typisches Köln-Bekenntnis ab: „Wo man nicht hin will, da ist man richtig.“Nach seinem langen Lebens- und Glaubenswe­g, so scheint es, ist Alterzbisc­hof Joachim Kardinal Meisner jetzt im heiligen Köln angekommen.

„Wo man nicht hin will, da ist man richtig“ Bekenntnis zu Köln HAJO SCHUMACHER

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FOTO: DPA Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki im Kölner Dom am Sarg des verstorben­en Kardinals Joachim Meisner.
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FOTO: DPA Der Eichensarg des verstorben­en Kardinals Joachim Meisner wird in die Bischofsgr­uft hinabgelas­sen.
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FOTO: ACTIONPRES­S Prozession zum Kölner Dom. Im Hintergrun­d die Kirche St. Gereon, in der der Leichnam aufgebahrt war.
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FOTO: IMAGO/ EPD Die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker und Ministerpr­äsident Armin Laschet .
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FOTO: DPA Kurienerzb­ischof Georg Gänswein verlas im Dom die Grußworte von Papst Benedikt XVI.
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FOTO: DPA Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst (l) neben dem ehemaligen Bischof von Augsburg, Walter Mixa.

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