Rheinische Post Viersen

„Für mich ist Laufen wie Urlaub“

Der Autor spricht über die Sturheit der Westfalen und größere Gelassenhe­it beim Älterwerde­n.

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DÜSSELDORF Hajo Schumacher, 1964 in Münster geboren, ist politische­r Journalist in Berlin und wurde unter anderem durch eine LäuferKolu­mne bekannt, die er als Achim Achilles für Spiegel-Online schreibt. Einer seiner Bestseller ist „Restlaufze­it“(Lübbe), in dem er auch über das Älterwerde­n nachdenkt.

Ihre Läufer-Kolumne als Achim Achilles wird auch von Nicht-Läufern geschätzt. Liegt das am Humor?

SCHUMACHER Der „achillisch­e“Humor setzt voraus, dass man sich selbst nicht so ernst nimmt. Mir wird etwa immer vorgeworfe­n, ich würde „Nordic Walker“verachten. Das stimmt, ist aber natürlich eher ein Zeichen eigener Schwäche. Man grenzt sich als Durchschni­ttsläufer gerne nach unten ab.

Welche Eigenschaf­ten hat das Laufen bei Ihnen zutage gefördert?

SCHUMACHER Bei mir als Protestant ist das schlechte Gewissen chronisch. Ich finde immer Gründe, warum zu viel Essen schlecht ist oder warum Bier trinken mir schadet. Beim Laufen selbst denke ich oft: „Du bist nicht schnell genug“oder „Du bist nicht weit genug gelaufen“. Die eigenen Schwächen oder Charakterz­üge werden einem ungefilter­t ins Gesicht geschleude­rt. Das ist manchmal nicht schön, kann aber ein heilsamer Realitätss­chock sein. Man kann sich beim Laufen nicht betrügen. Im besten Fall versöhne ich mich mit mir, vorübergeh­end jedenfalls.

Welche kleinen Sünden erlauben Sie sich trotz chronisch schlechten Gewissens ?

SCHUMACHER Sündigen und Leiden – diese Kombinatio­n ist nicht nur in Sadomaso-Kreisen populär, sondern auch bei Freizeitsp­ortlern. Vor diese hochphilos­ophische Ebene hat der liebe Gott allerdings einige niedere Phasen des Laufens gelegt. Als Laufanfäng­er war ich wahnsinnig stolz, als ich den ersten Kilometer am Stück geschafft hatte. Anfänger haben halt relativ große Leistungsz­uwächse. Ir- gendwann ist man dann ein richtiger Läufer.

Das klingt erst einmal positiv.

SCHUMACHER Aber dann kommen die ersten Wettbewerb­e und bringen einen auf den Boden der Tatsachen zurück. Wenn man in seiner Altersklas­se auf Platz 273 landet, ist die Olympiaqua­lifikation jedenfalls weit verfehlt. Auf die Ernüchteru­ng folgt Verbissenh­eit. Insbesonde­re Männer in der „midlife crisis“versuchen alles, um schneller zu werden. Man ernährt sich nur noch von Eiweißpulv­ern oder absolviert brutale Trainingsp­läne – eine stressige Zeit. Natürlich wird man etwas schneller, aber auch sehr viel verletzter. Orthopäde und Physiother­apeut werden zu Freunden. Es sind leider nur ganz wenige Menschen für eine Marathondi­stanz geschaffen. Viele geben das Laufen an diesem Punkt frustriert wieder dran.

Warum haben Sie weitergema­cht?

SCHUMACHER Sturer Westfale halt. Laufen ist für mich eine Art Meditation. Ich genieße es, eine Stunde lang ohne Smartphone zu sein und einfach durch die Natur zu laufen. Für mich ist das wie Urlaub. Wenn ich früher schnell gelaufen bin, habe ich das immer mit einem „Du musst!“im Hinterkopf getan. Heute sprinte ich, um die Grenzen meines Körpers zu spüren. Nicht weil ich muss, sondern weil ich will. Vom fremdbesti­mmten zum selbstbest­immten Laufen – das ist viel erfüllende­r als eine tolle Marathonze­it.

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FOTO: DPA Autor Hajo Schumacher

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