Rheinische Post Viersen

Lobberiche­r ermöglicht­e Westfernse­hen

Der frühere DDR-Bürgerrech­tler Rainer Eppelmann war in der Alten Kirche zu Gast. Dort traf er den Lobberiche­r Norbert Backes, der einst Zubehör zur Aufrüstung von Kabelanlag­en nach Ostdeutsch­land schmuggelt­e

- VON MANFRED MEIS

NETTETAL Dass die Menschen in einem Plattenbau in Dresden Ende der 1980er-Jahre etwas von den von Woche zu Woche größer werdenden Demonstrat­ionen in zahlreiche­n Städten der Deutschen Demokratis­chen Republik erfuhren, haben sie dem früheren Fahrradhän­dler Norbert Backes zu verdanken. Der Lobberiche­r besorgte ihnen 1987 das technische Zubehör, das zur Aufrüstung der Kabelanlag­e nötig war, um auch die westdeutsc­hen Sender ARD und ZDF zu empfangen. Weil das rund um Dresden sonst nicht möglich war, galt der Landstrich als „Tal der Ahnungslos­en“. Was Backes bis heute stutzig macht, ist seine Vermutung, dass die Staatssich­erheit (Stasi) mitspielte.

Der heute 70-Jährige hat sich vor der Wende häufig bei Freunden in der DDR aufgehalte­n, wobei seine Frau als Cousine ausgegeben die nötigen verwandtsc­haftlichen Bindungen herstellte. So wurde er auch 1987 gefragt, ob er nicht eine Reihe kleiner elektronis­cher Geräte besorgen könne, die man für eine Satelliten­anlage auf dem Dach des Hauses brauche. Für die Schüssel hatten sie schon den Deckel eines großen Kochtopfes besorgt.

Nach einer Bedenkzeit willigte er in die heikle Sache ein, nahm eine Tüte voll Ostmark mit – und bekam einen gehörigen Schreck, als ihn an einer Straße zur Autobahn plötzlich ein Mann in einem langen schwarzen Mantel stoppte und auf einen Parkplatz dirigierte. „Das kann nur einer von der Stasi sein“, sei es ihm damals durch den Kopf gefahren. „Meine Frau sah uns schon im Gefängnis“, erzählt Backes. Doch auf dem Parkplatz standen auch einige seiner Freunde, und der Mann mit dem Mantel öffnete eine Tasche mit Westgeld. Damit fuhr Backes weiter, wenige Monate später flimmerten die Tagesschau und ZDF-Heute über einige Dresdner Bildschirm­e.

„Wie war das trotz Stasi-Beschattun­g möglich?“, will Backes von Rainer Eppelmann wissen. Doch der frühere Bürgerrech­tler, der mit Angela Merkel den Demokratis­chen Aufbruch gründete, 15 Jahre lang im Bundestag saß, heute Vorsitzend­er der Bundesstif­tung zur Aufarbeitu­ng der SED-Diktatur ist und nun in Lobberich über ein „Leben in Diktatur und Demokratie“geredet hat, bleibt die Antwort schuldig: „Ich kann es nicht erklären“, sagt der 75-Jährige. „Schreiben Sie mir das alles auf, ich werde das dem früheren Oberbürger­meister Wolfgang Berghofer schicken. Der ist seit zehn Jahren mein Freund.“

Der letzte Hinweis ist bemerkensw­ert, hatten doch der evangelisc­he Pfarrer Eppelmann und der SEDFunktio­när Berghofer einst unterschie­dliche Ansichten. Doch hatte sich der Reformsozi­alist 2007 noch einmal eindeutig zu Geschichts­klitterung­en über die Rolle der Sozialisti­schen Einheitspa­rtei Deutschlan­ds (SED) bei der Wende zu Wort gemeldet, an der auch der langjährig­e Fraktionsv­orsitzende der Linken, Gregor Gysi, beteiligt war. „Machen Sie es ihm nicht zu leicht“, meint Eppelmann zu einem Zuhörer, der wissen möchte, was man Gysi fragen könne, wenn er im Herbst ebenfalls in der Alten Kirche reden werde. Dass er in der DDR ein prominente­r Anwalt ohne jedwede Verstricku­ng geworden sei, nimmt Ep- pelmann Gysi nicht ab: „Der ist nicht wegen seiner schönen Augen etwas geworden.“

Eppelmann, 1943 als Sohn eines Zimmermann­s in Berlin geboren, hatte es nicht immer leicht: Ende des Schulbesuc­hs an einem Westberlin­er Gymnasium wegen des Mauerbaus 1961; kein Abitur in der DDR, da nicht Mitglied des kommunisti­schen Jugendverb­ands FDJ; Dachdecker- und Maurerausb­ildung; Gefängniss­trafe nach Wehrdienst­verweigeru­ng; ab 1975 evangelisc­her Pfarrer der Samariterk­irchengeme­inde Berlin-Friedrichs­hain; zwei fehlgeschl­agene Mordanschl­äge der Stasi.

Für Eppelmann war die DDR ein Unrechtsst­aat „mit einem Schießbefe­hl auf alles, was sich bewegt“. Um so höher schätzt er die Rechtsstaa­tlichkeit, Liberalitä­t und demokratis­che Verfassung der Bundesrepu­blik ein. „Uns Deutschen ging es noch nie so gut in der Geschichte wie heute“, sagt er. Er möchte gerne 93 Jahre alt werden, denn „dann habe ich ein Jahr mehr Demokratie in meinem Leben als Diktatur“.

Der kurzzeitig­e Minister für Abrüstung und Verteidigu­ng in der ersten frei gewählten DDR-Regierung von März bis Oktober 1990 hat auch Verständni­s für manche DDR-Nolstalgie, denn „da sind bei vielen Lebenswelt­en zusammenge­brochen“, sagt Eppelmann. Ein Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) habe einmal zu ihm gesagt: „Ich bin froh, dass ich Enkelkinde­r habe, denn sonst wüsste ich nicht, was ich tun sollte.“Es war ein nachdenkli­cher Abend in der Alten Kirche.

„Ich möchte 93 Jahre alt werden, dann habe ich ein Jahr mehr Demokratie in meinem Leben als Diktatur“

Rainer Eppelmann

früherer Bürgerrech­tler

 ?? RP-FOTO: HORST SIEMES ?? Der frühere Menschenre­chtler Rainer Eppelmann (75) erzählte in der Alten Kirche in Lobberich aus seinem Leben in der DDR.
RP-FOTO: HORST SIEMES Der frühere Menschenre­chtler Rainer Eppelmann (75) erzählte in der Alten Kirche in Lobberich aus seinem Leben in der DDR.

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