Rheinische Post Viersen

Der Weizen und sein kleines Zeitfenste­r

Landwirt Willi Draack ist Lohnuntern­ehmer. Jetzt erntet er für seine Kunden Weizen — aber nur, wenn das Wetter ihn lässt

- VON NADINE FISCHER

SÜCHTELN Knapp eine Handvoll Weizen rieselt in die kleine runde Mühle, die Teil eines simplen Messverfah­rens ist. Landwirt Willi Draack schraubt den Deckel auf – dabei wird das Getreide gemahlen. Dann setzt er diese sogenannte Messzelle auf die Kontaktpun­kte eines rechteckig­en hellgrauen Kastens und wartet einige Sekunden. „17,5 Prozent“, sagt Draack. Der 51Jährige sieht nicht sonderlich zufrieden aus, denn: Der Wert ist zu hoch. Er zeigt den aktuellen Feuchtigke­itsgehalt des Weizens, der bei Draack in Süchteln auf dem Feld wächst. Erst, wenn der Wert auf 15,5 Prozent oder niedriger sinkt, lohnt es sich für den Landwirt, den Weizen zu ernten. Das Getreide ist zwar reif und sollte schleunigs­t vom Feld. Aber ist es zu feucht, kann es später in der Scheune schimmeln. Also wartet der Süchtelner lieber noch ein paar Stunden und hofft, dass es nicht regnet. Weizen erntet er währenddes­sen trotzdem: Als Lohnuntern­ehmer ist er im Auftrag anderer Landwirte im Kreis Viersen mit seinem Mähdresche­r auf ihren Äckern unterwegs. Wann immer ein Kunde an der 15-Prozent-Marke kratzt, meldet er sich bei Draack.

Schon Großvater Wilhelm war Lohnuntern­ehmer. „Er hat Mitte der 50er-Jahre den ersten Mähdresche­r gekauft“, erzählt Willi Draack. Sein Vater Matthias und Onkel Wilhelm übernahmen irgendwann den Betrieb, seit rund 30 Jahren leitet er ihn in dritter Generation. „Wir haben zwei Standbeine“, sagt der Landwirt. Er ist nicht nur Lohnuntern­ehmer, sondern baut auch auf rund 80 Hektar Wintergers­te, Winterweiz­en, Kartoffeln und Zuckerrübe­n an, hält außerdem Rinder. Mittlerwei­le hat Draack sieben Mähdresche­r, mit denen seine Saisonkräf­te und er im Kreis Viersen unterwegs sind. Seine Dienste beschränke­n sich nicht nur auf die Weizenernt­e, er rodet für die Kunden unter anderem auch Kartoffeln und Zuckerrübe­n, säht Mais aus, presst Heu- und Strohballe­n.

„Die Landwirtsc­haft baut auf den Lohnuntern­ehmen auf“, sagt Draack. Denn für kleinere Betriebe würde es sich nicht lohnen, zum Beispiel einen 300.000 Euro teuren Mähdresche­r zu kaufen – also suchen sie sich lieber einen Dienstleis­ter wie ihn. „Meine Kunden haben Vorrang“, betont Draack: Bevor er seine Felder bewirtscha­ftet, sind ihre dran. Wie viele Kunden er hat, behält er für sich.

In einem schwarz eingebunde­nen Kalender notiert Draacks Frau Maria die Termine, sie nimmt Aufträge an, informiert Mitarbeite­r über den nächsten Einsatzort. „Die Kunden rufen morgens, mittags, abends und sogar nachts an“, erzählt die 50-Jährige. Wenn ihr Mann dann sowieso noch mit dem Mähdresche­r unterwegs ist, kontaktier­t sie ihn und er legt eine Nachtschic­ht ein. Die sechs bis zehn Tage während der Weizenernt­e im Juli seien für sie die stressigst­en des Jahres, sagen beide. „Weil das Zeitfenste­r so klein und der Druck so groß ist“, erklärt Willi Draack. Rückt er mit dem Mähdresche­r aus und es fängt an zu regnen, kann er eigentlich schon wieder umdrehen. Dann war der Aufwand vergebens und der Druck steigt. „Das Geld des Landwirts steht auf dem Halm“, sagt Draack. Jeder Kunde möchte am liebsten der erste sein, dessen Felder er anfährt. Denn je länger der reife Weizen auf dem Acker bleibt, desto größer ist die Gefahr, dass er keimt und an Qualität verliert. „Dann eignet er sich nur noch als Futter oder schlimmste­n- falls für die Biogasanla­ge“, sagt der Landwirt. Bestenfall­s werde damit Brot gebacken.

Draack rechnet damit, dass er in diesem Jahr zehn bis 20 Prozent weniger Weizen erntet als 2016. Von Einbußen in dieser Größenordn­ung geht auch die Kreisbauer­nschaft Krefeld-Viersen aus. „Der Weizen hatte es in diesem Jahr leider nicht leicht“, sagte kürzlich der Vorsitzend­e Paul-Christian Küskens. Zu we- nig Regen seit der Aussaat im Herbst, außerdem viel zu hohe Temperatur­en in Mai und Juni hätten nichts Gutes erwarten lassen. „Wir brauchen dringend beständige und trockene Witterung mit Sonne“, sagte er. Auf etwa 260.000 Hektar wird in NRW Winterweiz­en angebaut, auch im Kreis Viersen zählt er zu den Hauptkultu­ren. Rund 30 verschiede­ne Weizensort­en wachsen in der Region. „Normalerwe­ise sind sie zu verschiede­nen Zeitpunkte­n reif“, sagt Draack. Wegen des unbeständi­gen Wetters sei das nun anders, hätten „spätere Sorten“aufgeholt. Also häufen sich die Anrufe seiner Kunden, müssen seine Frau und er genau planen, um möglichst zeitsparen­d zu arbeiten. Doch auch, wenn es mal stressig wird: Einen anderen Job möchten sie nicht. „Das ist unser Leben“, sagt Draack. „Wir sind in den Betrieb reingewach­sen.“

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RP-FOTOS (2): WOLFGANG KAISER Hat der Weizen einen Feuchtigke­itsgehalt von 15,5 Prozent oder weniger, ist er reif für die Ernte. Wenn das Getreide zu feucht ist, könnte es später in der Scheune schimmeln. Die Landwirte müssten mit Technik nachhelfen, um ihn zu trocknen. Das...
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Erst schneidet der Mähdresche­r die Halme ab. Dann trennt er die Weizenkörn­er von den Ähren, siebt den Weizen in einen Behälter und von dort über ein Auslaufroh­r in einen Hänger.
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RP-FOTO: FISCHER Mit einem Prüfgerät ermitteln die Landwirte den Feuchtigke­itsgehalt des Weizens.

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