Was von Dublin übrig bleibt
LUXEMBURG Bei dem Wort Spielfeld denkt Ahmad S. nicht an Fußball. Er denkt an das Ende einer sehr langen, unbequemen Reise. Eine Reise, die ihn wegführen soll von Elend und Krieg in der Heimat, hin zu einem Leben in Sicherheit. Diese Reise von Ahmad S. ist seine Flucht – und sie endet in Spielfeld. Dort liegt die Grenze; auf der einen Seite Slowenien, auf der anderen Spielfeld in der Steiermark, in Österreich. Der Syrer Ahmad S. will in die Republik der Alpen. Aber die österreichischen Grenzbeamten sind unnachgiebig, sie weisen ihn im Februar 2016 ab.
Doch auch die Slowenen haben nicht auf den dreifachen Familienvater gewartet. Die zuständige Behörde will Ahmad S. nach Kroatien abschieben. In das Land also, das nach der Dublin-III-Regel, die die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union regelt, eigentlich für ihn zuständig wäre. Dort nämlich hat Ahmad S. nach Griechenland, das aber durch die große Menge der dort ankommenden Flüchtlinge von der Regel ausgenommen ist, zum ersten Mal EU-Boden betreten. Laut der Verordnung aus dem Jahr 2013 hätte Kroatien entscheiden müssen, ob es dem Syrer Schutz gewährt. Ahmad S. will nicht nach Kroatien und hat gegen seine Abschiebung geklagt und damit auch gegen die Asylpolitik der EU.
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat gestern gegen Ahmad S. entschieden. Auch zwei afghanische Schwestern, die sich gleichzeitig gegen ihre Abschiebung aus Österreich nach Kroatien zur Wehr setzten, hatten keinen Erfolg. Die höchsten europäischen Richter haben in einem komplizierten Grundsatzurteil entschieden: Selbst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, selbst wenn sehr viele Asylsuchende gleichzeitig in einen EU-Staat kommen, gilt immer noch und ohne Einschränkungen die Dublin-III-Regel.
Entbrannt hatte sich der Streit an dem Wort „illegal“. Ahmad S. und die beiden Afghaninnen hatten argumentiert, dass sie nicht illegal in die EU eingereist seien, weil kroatische Behörden sie per Bus an die Grenze zu Slowenien gebracht hatten. Daraus hatten sie das Einverständnis über ihren Aufenthalt geschlossen. Wäre ihre Einreise nicht illegal gewesen, dürfte sich ihre Verteilung auch nicht nach der Dublin-III-Regel richten. Denn diese greift nur bei illegalen Einreisen. Auch wenn Beamte viele Flüchtlinge über die Landesgrenze „durchwinken“, wird deren Einreise nicht legal. Das hat der Gerichtshof entgegen dem Votum der britischen Generalanwältin Eleanor Sharpston festgehalten.
Der Spruch des Gerichts war deswegen mit Spannung erwartet worden, weil er Deutschland betrifft. Es ist indirekt eine Entscheidung über den Moment, als die Bundesregierung am 4. September 2015 die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge über Österreich nach Deutschland einreisen ließ.
Zu dieser Zeit gab es in Deutschland eine positive Stimmung gegenüber den Flüchtlingen, die aus dem syrischen Bürgerkrieg flohen. Den Bürgern war das Foto eines ertrunkenen dreijährigen Flüchtlingsjungen an einem türkischen Strand von zwei Tagen zuvor präsent. Auch die Nachricht von dem Lastwagen mit 71 von Schleppern allein gelassenen und auf der Flucht erstickten Menschen, der auf einer österreichischen Autobahn entdeckt worden war, war noch keine zwei Wochen alt. Die Regierung hatte ihre Prognose für die Zahl der 2015 erwarteten Flüchtlinge bereits auf 800.000 korrigiert. Am Ende wurden es fast eine Million.
Am 4. September machte sich eine Gruppe von rund 2000 Flüchtlingen auf den Weg von Budapest an die österreichische Grenze. Ungarns Ministerpräsident schickte noch ohne Zusagen seiner europäischen Nachbarn Busse, die die Flüchtlinge an die österreichische Grenze verfrachten sollten. Der damali-
„Es ist eine Herrschaft des Unrechts“
Horst Seehofer (CSU)
Bayerischer Ministerpräsident im Februar 2016