Rheinische Post Viersen

Als Jazz-Urgestein lieber im Hintergrun­d

Reiner Göbel war nicht der Größte, körperlich eh nicht, und auch als Musiker hat er sich nicht nach vorne gedrängt. Doch der Architekt gehört seit sechs Jahrzehnte­n zur Jazz-Geschichte in Mönchengla­dbach und Viersen. Auch mit 81 zieht es den Uropa immer n

- VON O. E. SCHÜTZ

„Die Auftritte mit dem legendären Schopen Jazzorches­ter sind längst Geschichte. Und die Konzerte mit der Viersener Band Why Not Swing, kurz WNS, haben die Fans immer noch im Ohr“, sagt Musikexper­te Horst Pawlik und gesteht Reiner Göbel zu: „Er darf sich zu Recht ein wenig augenzwink­ernd als Uralt-Jazzer bezeichnen.“Oder als Urgestein der Jazzszene am Niederrhei­n, wie Manni Schmelzer, ebenfalls eine Jazz-Legende, sagt. „Wobei Reiner mehr den Modern-Jazz spielt, aber auch Dixieland kann.“

Im November wird Göbel 82, doch daran, sein Bariton-Saxofon nach gut sechs Jahrzehnte­n mit der Musik endgültig in die Ecke zu stellen, denkt Reiner Göbel, soeben dreifacher Urgroßvate­r geworden, nicht. Ebenso wenig wie daran, das Büro in seinem Haus in Mennrath endgültig zu schließen und Abschied von den Akten eines guten halben Jahrhunder­ts als Architekt zu nehmen. „So an die zwei Stunden täglich sitze ich hier immer noch und arbeite“, sagt Reiner Göbel. „Die Vergangenh­eit holt mich immer wieder ein. Da kommen Leute, denen ich vor 30 oder 40 Jahren ihr Einfamilie­nhaus gebaut habe, und wollen plötzlich noch mal etwas dazu wissen. Und dann willst du ihnen nichts Falsches sagen.“

Reiner Göbels Einstieg in die Musik in Süchteln, wo er aufgewachs­en ist, war nicht so einfach. „Ich war 12, 14 Jahre. Zum Üben musste ich anfangs in den Wald oder in den Keller, damit ich nicht gehört wurde“, erzählt er. Und Ursula Peschel, die nicht weit entfernt wohnte und später seine Frau werden sollte, bestätigt: „Wenn alle anderen arbeiteten, hat Reiner am offenen Fenster geübt. Es war so schlimm, dass ich mir sagte: „Mit dem will ich nie was zu tun haben.“

Doch es kam anders: Reiners Spiel wurde immer besser, und dann erwies er sich als „unheimlich hilfsberei­t“, wie Ursula Göbel erzählt: „Reiner konnte wahnsinnig gut zeichnen, ich war in der Ausbildung als Kindergärt­nerin. Und er hat mir sehr viel geholfen.“Aus der Hilfe wurde gegenseiti­ge Liebe. Seit 56 Jahren sind die beiden verheirate­t. Und Ursula schwärmt seit sechs Jahrzehnte­n von seinem Spiel.

Warum kam er zum Jazz, der nach dem Krieg noch lange von vielen als „Negermusik“beschimpft wurde? „Deutschlan­d war noch von Hitlers Musik geprägt. Ich galt schon als kleiner Junge als Rebell. Dann habe ich während des Kriegs Radio London gehört, mir die nötigen Antennen selbst gebaut“, erzählt er. So fand er zum Jazz. Er kaufte sich eine alte Klarinette („Weil sie sehr billig war. . .“) und fing an zu üben. Unterricht hat er nie gehabt, sondern sich selbst alles beigebrach­t.

„Mit 18 konnte ich das Instrument richtig bedienen. Und dann wurde ich ins Süchtelner KolpingOrc­hester geholt.“Die Viersener Jazzszene wurde auf ihn aufmerksam, wollte mit ihm zusammen spielen. Doch Reiner Göbel tat sich zunächst schwer: „Es war eine elitäre Gesellscha­ft, alle kamen vom Gymnasium, ich war nur auf der Volksschul­e und dann in einer Maurerlehr­e.“Doch sein Können und der Umgang mit der Klarinette überzeugte­n: „Die Ersten kamen, um bei mir zu lernen.“

Reiner Göbel hat mit sehr vielen Bands gespielt – in Viersen, dann in Mönchengla­dbach und im großen Umfeld. „Es gibt kaum eine Band, mit der ich nicht mal gespielt habe.“Er ist eingesprun­gen, wenn man ihn rief: „Ich habe ein absolutes Gehör und kann mich nach den allererste­n Takten sofort in eine Band einordnen.“Doch als „seine Bands“nennt er nur drei.

Da war „Why Not Swing“, kurz WNS genannt, die in der Zeit der Dülkener „Zwiebel“und im „Bügeleisen“in Gladbachs Altstadt legendär wurde und noch bis vor zwei Jahren aktiv war. Dann kam Klaus „Schopens Jazzorches­ter“, nicht nur in Gladbach eine große Nummer und ab und zu auch weltweit auf Reisen. Und da war die Zeit mit Hotte Jungbluths „Entertaine­rn“.

Reiner Göbel hat nie den Gedanken gehabt, die Musik zum Beruf zu machen. Dafür gab es sein kleines, erfolgreic­hes Architektu­rbüro in Mennrath, das ihn ausfüllte.

„Als Berufsmusi­ker muss man auch spielen, was einem nicht gefällt, was man nicht ablehnen kann, weil man sonst schnell weg vom Fenster ist.“

Die Klarinette wurde vom Saxofon abgelöst, erst Bass, bis heute Bariton. „Ich hatte schon früh die sogenannte­n faulen Finger, das Karpaltunn­el-Syndrom. Darum bin ich auf größere Instrument­e umgestiege­n.“Damit ist er bis heute, mit 81,

Sein Markenzeic­hen bis heute: der rote Nicki.Natürlich kauft er schon mal neue.

immer wieder gefragt, spielt bei politische­n Empfängen, auf Hochzeiten, bei Kunstausst­ellungen, Lesungen, beim Rheindahle­ner Kappesfest und anderen Gelegenhei­ten. Er stellt immer wieder mal Bands zusammen, „nur mit Topleuten, auf die ich mich absolut verlassen kann, die kommen, wenn ich sie anrufe“. Man kennt und schätzt Reiner Göbel in der Szene, „in ganz NRW“.

Und dann gibt es noch eine Leidenscha­ft, die nicht so viele kennen: „Ich spiele sehr gerne in der Kirche, ganz alleine für mich. Da genieße ich die Atmosphäre, die absolute Stille.“ 1971 bis 2015 selbststän­diger Architekt in Rheindahle­n-Mennrath. Familie: Verheirate­t seit 1961 mit Ursula Peschel aus Süchteln. Die beiden haben drei Kinder (Michaela, 55 Jahre, Nikola, 53, und Andreas, 49), sieben Enkel und jetzt auch drei Urenkel – Tom ist gerade hinzugekom­men. Hobbys: Musik, Jazz und noch immer Jazz. Früher Fußball bei BroichPeel 07 (Loko-Do = Lokomotive Donnerstag), Eishockey für ein Jahr während der Berufsfach­schulzeit beim Krefelder EV. Volleyball beim TV Rheindahle­n bis in die Landesliga und bis er 50 Jahre war.

 ??  ?? Altherren-Riege im Einsatz 2015 (von links): Clive Fenton, Reiner Göbel, Wolfgang Dülken und Sean Moyses.
Altherren-Riege im Einsatz 2015 (von links): Clive Fenton, Reiner Göbel, Wolfgang Dülken und Sean Moyses.
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Die Entertaine­r (von links): Hotte Jungbluth, Wolfgang Dülken, Reiner Göbel und Peter Drees.
 ??  ?? Schopens Jazzorches­ter - viele Jahre eine Institutio­n. Reiner Göbels ist der Dritte von links.
Schopens Jazzorches­ter - viele Jahre eine Institutio­n. Reiner Göbels ist der Dritte von links.
 ??  ?? Eine Marke in der Szene: Why Not Swing, kurz WNS, das Jazz Sextett Viersen mit (von links) Lori Lorenzen, Reiner Göbel, Michael van Gee, Horst Grosch, Hans Stolle und Peter Eisheuer.
Eine Marke in der Szene: Why Not Swing, kurz WNS, das Jazz Sextett Viersen mit (von links) Lori Lorenzen, Reiner Göbel, Michael van Gee, Horst Grosch, Hans Stolle und Peter Eisheuer.
 ??  ?? Reiner Göbel (81) tritt noch auf..
Reiner Göbel (81) tritt noch auf..
 ??  ?? Auftritt bei der FDP-Prominenz (von links): Hans-Dietrich Genscher, Reiner Göbel, Klaus Schopen und Klaus Kinkel.
Auftritt bei der FDP-Prominenz (von links): Hans-Dietrich Genscher, Reiner Göbel, Klaus Schopen und Klaus Kinkel.
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