Rheinische Post Viersen

Erdogan gerät innenpolit­isch unter Druck

Der Prozess gegen die „Cumhuriyet“-Journalist­en wird zur Belastung für die türkische Regierung.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL Recep Tayyip Erdogan gibt weiter Vollgas. Er habe kein Vertrauen mehr in die westlichen Verbündete­n der Türkei, sagte Erdogan laut Medienberi­chten vor wenigen Tagen hinter verschloss­enen Türen in einer Rede vor Politikern seiner Regierungs­partei AKP. Auch innenpolit­isch sieht sich der Präsident von Gegnern umgeben und will Posten in der AKP verstärkt mit treuen Gefolgsleu­ten besetzen. Doch selbst in seiner eigenen Anhängersc­haft wachsen Zweifel am harten Kurs. Insbesonde­re der Prozess gegen die Journalist­en der Zeitung „Cumhuriyet“und der Streit mit Deutschlan­d werden für den Präsidente­n zur politische­n Last.

Ein Gericht in Istanbul hatte am Freitagabe­nd sieben von elf inhaftiert­en „Cumhuriyet“-Journalist­en für die Dauer des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt, für die vier prominente­sten Erdogan-Kritiker der Zeitung jedoch eine Fortsetzun­g der teilweise seit neun Monaten andauernde­n Untersuchu­ngshaft ange- ordnet. Die Tatsache, dass sich die Anklage gegen die säkularen Medienvert­reter auf den absurden Vorwurf einer Zusammenar­beit mit dem islamische­n Prediger Fethullah Gülen stützt, entlarvt das Verfahren nach Ansicht vieler Beobachter als Schauproze­ss, mit dem Kritiker mundtot gemacht werden sollen.

Selbst Erdogans früherer politische­r Weggefährt­e und Ex-Präsident Abdullah Gül kritisiert öffentlich die Inhaftieru­ng der Journalist­en durch die von der Regierung kontrollie­rte Justiz. Die Stellungna­hme des in der AKP nach wie vor hochangese­henen Gül zeigt, dass der Unmut bei den türkischen Konservati­ven weit verbreitet ist. Auch Abdülkadir Selvi, ein für seine engen Kontakte zur Regierung bekannter Kolumnist der Zeitung „Hürriyet“, verlangt die Freilassun­g der regierungs­kritischen Kollegen.

Die Diskussion über den „Cumhuriyet“-Prozess trifft die Regierung zu einem Zeitpunkt, an dem sie wegen ihres Taktierens im Streit mit Deutschlan­d ohnehin in der Kritik steht. So bemüht sich das Kabinett zwar, deutsche Investoren zu beruhigen, angesichts der Berliner Warnungen vor willkürlic­hen Verhaftung­en von Bürgern in der Türkei. Zugleich muss Ankara eingestehe­n, dass den deutschen Behörden tatsächlic­h eine Liste mit angeblich terrorverd­ächtigen Unternehme­n zugeleitet wurde – Erdogan spricht von einem Missverstä­ndnis, das inzwischen bereinigt sei.

Während Regierungs­politiker in Reden über die Deutschen herziehen, legte sich Parlaments­präsident Ismail Kahraman laut Opposition­sangaben einen neuen Dienst-Mercedes im Wert von 1,3 Millionen Euro zu.

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FOTO: REUTERS Hat kein Vertrauen in den Westen: Präsident Erdogan.

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