Auf dem Boden der Tatsachen
Deutschland scheidet bei der Frauen-EM im Viertelfinale nach dem 1:2 gegen Dänemark aus.
ROTTERDAM Nadine Angerer hatte eine Grußbotschaft an Nadia Nadim gesendet. Die Ex-Nationaltorhüterin Angerer (38), als Torwarttrainerin Kollegin von Nadim beim USKlub Portland Thorns, hatte Nadim beim Kurznachrichtendienst Twitter geärgert: „Nadia, kennst du den Song ‘ Time To Say Good-Bye?’“Zwei Tage später steht die Offensivkraft der dänischen FrauenfußballNationalmannschaft im Bauch des Rotterdamer Stadions und lächelt in die Kameras. „Nein, nein. ich werde das Lied jetzt nicht anstimmen“, sagt die 29-Jährige. Vor dem Spiel auf der Pressekonferenz hatte sie das noch gemacht und Angerer musikalisch gekontert: „Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei.“
Tatsächlich sollte Nadim Recht behalten. Die deutschen Fußballerinnen sind erstmals seit 1987 bei einer Europameisterschaft schon im Viertelfinale gescheitert. Das Team von Bundestrainerin Steffi Jones unterlag Dänemark 1:2. Wie eine angeschlagene Boxerin taumelte die deutsche Mannschaft im Kollektiv über den Rasen, hilflos, abwartend. Ein grausames Bild einer großen Frauenfußball-Nation, die bereits acht Mal den kontinentalen Nationenwettstreit gewinnen konnte – zuletzt sechs Mal in Folge.
Von Dominanz war von Anfang an nichts zu spüren. Die Däninnen verloren mit zunehmender Spieldauer immer mehr die Scheu. Und das Engagement sollte sich auszahlen. Denn besonders der Abwehrverbund der DFB-Auswahl leistete nur in sehr begrenztem Maße entsprechende Gegenwehr.
Trotz früher Führung gab Deutschland nach dem Ausgleich der Däninnen komplett die spielerische Linie auf. Torfrau Almuth Schult oblag es fortan, den Ball weit in die gegnerische Hälfte zu dreschen, statt einen einigermaßen geordneten Spielaufbau einzuleiten. „Wir haben einfach nicht die nötige Mentalität auf den Platz bringen können“, sagt sie. „Die Chancen waren wieder da, aber wir waren nicht konsequent genug.“Bei so viel Selbstkritik konnte man ihr nachsehen, dass sie danach das Klagelied anstimmte, die frühe Anstoßzeit nach der Spielabsage am späten Samstagabend habe sie komplett aus dem Rhythmus gebracht. Unbestritten war es sicher unglücklich, dass die Partie bereits um 12 Uhr nachgeholt wurde – mit den Bedingungen musste Dänemark ebenfalls klarkommen.
Das Problem war viel simpler. Niemand wollte die Verantwortung übernehmen, niemand drängte sich auf. Das ist nicht das erste Mal währen dieser EM passiert, sondern hat sich schon in den Partien der Vorrunde wiederholt gezeigt: Offenbar mangelt es dem Team an der nöti- gen Hierarchie, wenn schon keine Einzelspielerin derart überragt. Dzsenifer Marozsán sollte eine der Anführerinnen sein. Doch diese Rolle konnte eine der besten Spielerinnen der Welt nicht oder nur unzureichend ausfüllen. Im Dress der deutschen Nationalmannschaft wirkte sie völlig von der Rolle. Marozsán gibt kleinlaut zu Protokoll: „Das war einfach viel zu wenig.“
Steffi Jones hatte vor der EM leise ein mögliches Scheitern angekündigt. Das Turnier, sagte sie, komme möglicherweise ein wenig zu früh. Vielleicht auch für sie – schließlich hat sie noch keine Erfahrung auf dem Posten. „Natürlich hinterfrage ich jetzt meine Entscheidungen. Wir werden die EM analysieren, dann werden wir sehen, ob es vom System her passte, ob wir anders entscheiden hätten müssen“, sagt die 44Jährige. „Die Enttäuschung ist sehr groß. Man fragt sich, was schiefgelaufen ist und was wir nach den Gruppenspielen nicht verstanden haben.“Von einem Rücktritt will Jones nichts wissen. „Die Entscheidungsträger sitzen beim DFB. Die werden mit mir in den nächsten Tagen zusammensitzen und entscheiden, wie es weitergeht“, erklärt Jones. „Meine Motivation ist das, und ich möchte gerne weitermachen.“Nach Informationen dieser Redaktion ist das auch die derzeitige Tendenz der Funktionäre.