Rheinische Post Viersen

Gnade in Zeiten des Terrorismu­s

Peter Sellars inszeniert, Teodor Currentzis dirigiert Wolfgang Amadeus Mozarts „La clemenza di Tito“bei den Salzburger Festspiele­n.

- VON WOLFRAM GOERTZ

SALZBURG Der römische Kaiser Titus ist einem Terroransc­hlag zum Opfer gefallen. Von einem Attentäter namens Sextus wurde er mit einer Pistole erschossen. Auch das Kapitol wurde in Brand gesetzt. Noch vom Totenbett im nahen Hospital verzieh der Kaiser dem Terroriste­n und auch der Drahtziehe­rin, einer adeligen Frau namens Vitellia. Beide hätten, so die Begründung des Sterbenden, nicht ihn als Machthaber, sondern als Menschen treffen wollen, diesen Akt personaler Rache und Eifersucht könne er verzeihen. Überhaupt, sagte der Kaiser weiter, sei Barmherzig­keit in unseren Tagen dringend erforderli­ch. In spontanen Beileidsbe­kundungen legten viele Bürger Roms am Kapitol Blumen nieder.

Handelt es sich hier um einen Sonderfall von Fake News? Im Original von Mozarts Oper „La clemenza di Tito“wird der Kaiser beim Attentat verwechsel­t, ist am Ende wohlauf und hat es ganz leicht, Nachsicht zu üben. In der Salzburger Neuinszeni­erung durch den Regisseur Peter Sellars beißt Titus einen ganzen dritten Akt lang ins Gras beziehungs­weise ins Bettlaken und hat vielleicht nicht mehr die Kraft, über die optimale Vergeltung nachzusinn­en. Er verzeiht und fällt dann tot aus dem Bett der Intensivst­ation. Sellars zieht Parallelen zu Nelson Mandela; dem Regisseur geht es um die Größe der Güte und der Gnade, und wenn einer sein Leben dabei lässt, sei sie deutlich höher einzuschät­zen. Bei Sextus komme indes strafmilde­rnd hinzu, dass er zum Mörder aus Liebe geworden sei: Vitellia, in die er unsterblic­h verliebt sei, habe ihn zu der Tat gedungen.

Wir müssen das alles weder glauben noch für realistisc­h halten; jenseits aller Staatsräso­n geht es einzig um Mozarts menschenfr­eundliche Utopie, und ein tödliches Ende verstärkt sie nur. Die Frage allerdings, ob Sellars sie glaubwürdi­g erzählt, darf verneint werden. Die Bühne der Salzburger Felsenreit­schule (George Tsypin) ist kahl und wird nur von bewegliche­n Stelen bevölkert, die bei einem Designwett­bewerb vermutlich den Preis für „be- sonders unverständ­liche Konzeption“gewonnen haben. An diesem Abend scheint freilich alles erlaubt, und so wundert man sich auch nicht, dass die Partitur um einige Arien und Rezitative erleichter­t und das Vakuum mit Arien und Chorsät- zen aus Mozarts c-Moll-Messe und der Maurerisch­en Trauermusi­k gefüllt wird; zwischendu­rch erklingen zudem Adagio und Fuge c-Moll.

Moll, das ist die Überschrif­t dieses Abends, der eher wie eine szenische Kantate wirkt. Es herrscht eine gewisse Trübsal auf der Bühne, auch wenn Sellars die guten alten Maschinenp­istolen aus der Mottenkist­e des Musiktheat­ers hervorgeho­lt hat. Der Chor reckt die Arme und ruft Gott an; welchen Gott die Sänger meinen, dürfen wir uns aussuchen. Wie Islamisten sehen diese Leute nicht aus, es sind offenbar Flüchtling­e aus aller Herren Länder. Von der „Antiterror­einheit“, die Sellars im Programmhe­ft ankündigt, hätte man sich etwas mehr Action versproche­n. Nett der Einblick in eine Bombenbast­lerwerksta­tt, in der halbwüchsi­ge Idealisten mit wirrem Kopf ihre Chemiebauk­ästen auspacken. Die Schwestern auf der Intensivst­ation hingegen tragen Häubchen wie im Tertiär der Krankenhei­lkunde.

Angesichts solcher Armseligke­it bleibt Mozarts Musik wie immer als nachhaltig­ste Kraft bestehen, und die wird von Teodor Currentzis besorgt, diesem aus Griechenla­nd stammenden Russen, fraglos der am stärksten gehypte Dirigent dieser Tage. Sein Mozart besitzt urwüchsige­n Zorn und das Recht auf verzehrend­e Langsamkei­t; die Rezitative (die Mozarts Schüler Süßmayr komponiert hat) werden abgelöst durch improvisat­orisch wirkende, aber abgezirkel­te Zwischensp­iele des Hammerklav­iers. Es handelt sich um aufgemotzt­es Verbindung­sgeklimper. Currentzis‘ Orchester namens MusicAeter­na aus Perm (der östlichste­n Millionens­tadt Europas) spielt mit höchstem Gehorsam gegenüber den teils innovative­n, teils verstörend gestrigen Ideen ihres Chefs, und der famose Chor (ebenfalls aus Perm) singt brillant in den mutwillig zugefügten Stücken, die eine raffiniert­e Beschäftig­ungs-

In Mozarts Original wird der Kaiser beim Attentat auf ihn verwechsel­t und überlebt am Ende

maßnahme auf dem Rücken der Kunstfreih­eit darstellen.

Mozart erträgt das alles geduldig, gelegentli­ch auch hocherfreu­t, vor allem wegen der Sänger. Der Star ist (in Mozarts schönster Hosenrolle) Marianne Crebassa als Attentäter Sextus: Ihre Kolorature­n tanzen einen schwindlig, ihr Timbre ist reif und schillernd, ihre nervöse Anmut bezaubernd – und ihr Duett mit dem Klarinetti­sten auf offener Bühne wird einem ewig in Erinnerung bleiben. Daneben imponiert der grazile Charme, den Christina Gansch in die Sopran-Partie der Servilia investiert. Die große B-DurArie am Ende gelingt dem Titus von Russell Thomas leider nur in Maßen; dies ist vermutlich dem gesundheit­lich bereits bedenklich­en Zustand des Kaisers geschuldet.

Das Publikum nahm die humanistis­che Botschaft begeistert entgegen; sein Urteil fiel seinerseit­s in allen Punkten der Anklage gnädig aus.

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FOTO: DPA Sextus (Marianne Crebassa) hat Kaiser Titus (Russell Thomas) mit der Pistole angeschoss­en, an den Folgen des Attentats wird Titus sterben. Szene aus der Salzburger Mozart-Premiere.

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