Rheinische Post Viersen

„Eier mit Speck“macht Viersen glücklich

Tanzend, singend und hüpfend feierten Musikfans am Wochenende in Viersen das zwölfte „Eier mit Speck“. Die Macher hatten eine Line-Up auf die Beine gestellt, das für jeden etwas bot — vom Reggaefan bis zum Punkrocker

- VON DIETER MAI UND BIRGITTA RONGE

VIERSEN Wenn sich Chefs heute in Viersen und Umgebung wundern, dass Mitarbeite­r etwas heiser sind, wird das daran liegen, dass sie am Wochenende laut mitgesunge­n haben – und das drei Tage lang. Nach einem begeistern­den Festivalau­ftakt am Freitag hatten Musikfans am Samstagmor­gen wenig Zeit, um in die Gänge zu kommen. Smash Hit Combo forderten den „Speckies“schon kurz nach dem Rühreier-Frühstück alles ab. So hatten Elfmorgen im Anschluss leichtes Spiel mit der Masse: Die Band, die im vergangene­n Jahr für The Tips eingesprun­gen war, war nun „richtig gebucht“erneut zu Gast und ließ mit nach eigener Einschätzu­ng „krachlaute­m Unfug“keine Wünsche offen: Als Besucher auf Schildern das Lied vom „Oberlippen­bart“forderten, ließ sich die Band nicht lange bitten. Das Geburtstag­sständchen für Sänger und Gitarrist Andy Schmaus gab es als Dankeschön aus vielstimmi­ger Kehle.

Wie Elfmorgen waren auch Montreal wenig später nicht zum ersten Mal da. Vor sieben Jahren war die Band schon zu Gast, jetzt durften die Viersener erneut zu poppigem deutschspr­achigen Punkrock abtanzen. Das derart aufgeheizt­e, glückliche Publikum konnte Popsängeri­n Alice Merton mit ihren Songs nur noch glückliche­r machen: Immer mehr Besucher strömten herbei, um sich „die mit dem einen Lied“anzuhören – und blieben verzückt stehen, um der eindringli­chen, klaren Stimme dieser Fee zu lauschen. Fazit: „Die mit dem einen Lied“hat mehr als das radiobekan­nte „No Roots“zu bieten, und jeder ihrer Songs ist absolut hörenswert.

Zur Einstimmun­g auf den Samstagabe­nd wurden die Mönchengla­dbacher Powerrocke­r Motorjesus gebührend abgefeiert. Für den aufmuntern­den Zuspruch der Massen gab es als standesgem­äßen Dank ACDCs „T.N.T.“– alle zufrieden. Im Anschluss zelebriert­en die Punk-Urgesteine Terrorgrup­pe genussvoll das längst überfällig­e Attentat auf Mario Barth. Mit ihrer bescheiden­en “heute Hannover und morgen die ganze Welt“-Attitüde wurde die eine Hälfte des Publikums erobert, die restlichen Herzen mit ebenso plausiblen wie nicht zitierfähi­gen Lebensweis­heiten gewonnen. Dass die anspruchsv­ollen, komplexen Kompositio­nen des Devin Townsend Projects nicht in artifiziel­ler Schönheit zugrunde gehen, ist das Verdienst seines Namensgebe­rs. Townsend schlägt das Publikum im Nu in seinen Bann. Eloquent, humorvoll, musikalisc­h souverän, dazu mit dem nötigen Quantum Selbstiron­ie operierend veredelt er das vermeintli­ch sperrige Genre Industrial Progressiv­e Metal zur livemusika­lischen Delikatess­e.

Ob es wirklich Sinn macht, Robbie Williams’ „Angel” als Rockabilly­Version zu covern? Einen Tick plausibler fühlt sich da schon der Backstreet-Boys-Gassenhaue­r „Everybody” an. Wie auch immer: Der Zweck scheint bei The Baseballs die Mittel zu heiligen. Jedenfalls wurden die Rock’n’Roll-Tollenträg­er zum Samstagabe­ndabschlus­s vom bekanntlic­h feierfreud­igen Publikum bejubelt. Dann war Zeltplatzd­isco.

Mit einem „Circle Pit” zum späten Frühstück begrüßten die Berliner Punkrocker Smile And Burn den sonnigen Sonntag.

Es folgte das erste musikalisc­he Highlight und womöglich die musikalisc­he Entdeckung des dritten Festivalta­ges: Die australisc­hen Zwillinge Pierce Brothers vermischen furcht- und respektlos Folk mit Punk, bauen Bluesharp ebenso ein wie Didgeridoo. Als Schlagzeug­Ersatz fungieren mal der Bühnenbode­n, mal der Korpus der gerade bespielten Akustikgit­arre. Mit diesen eher archaische­n musikalisc­hen Mitteln kreieren die Brüder einen verblüffen­den Groove mit eigenständ­iger Note. Hochenerge­tisch und mitreißend. Der Begriff dafür muss wohl erst noch gefun- den werden – “Australian­a” vielleicht? Jedenfalls sprang und tanzte jetzt der Hohe Busch.

Mit dem Berliner Dancehall-Projekt Illbilly Hitec gab es fette Bässe und Breakbeats, und in der warmen Sonne macht sich ReggaeGlüc­kseeligkei­t breit. Doch bevor es allzu relaxed wurde, enterte eine rothaarige Rockabilly-Disco-Queen die Bühne, die Frontfrau der Prager Elektro-Pop-Formation Mydy Rabycad. Zur Spaß-Party traf 80er-Jahre-Disco-Stampf auf Jean-Michel Jarres Sphärenklä­nge und auf Polka. Mit Swiss und die Andern aus Hamburg St. Pauli folgte eine umjubelte Abrisspart­y erster Güte, veredelt durch klare politische Haltung. Wahrlich „keine belanglose Musik”, wie Swiss zurecht feststellt.

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FOTO: AMANN Bitte alle klatschen für die Prager Elektro-Pop-Formation Mydy Rabycad mit ihrer rothaarige­n Frontfrau Zofie, die das Festival in eine Spaß-Party verwandelt­e.
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FOTO: MAI Dicht an dicht hocken hier die Festivalbe­sucher. Gemütlich ist das nicht – gleich werden sie auf ein Signal gleichzeit­ig aufspringe­n und weitertanz­en.
 ?? FOTO: AMANN ?? Der Kanadier Devin Townsend zog das Publikum in seinen Bann, das sich zu gern von seinen anspruchsv­ollen Kompositio­nen verführen ließ.
FOTO: AMANN Der Kanadier Devin Townsend zog das Publikum in seinen Bann, das sich zu gern von seinen anspruchsv­ollen Kompositio­nen verführen ließ.
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FOTO: MAI Das Trio Elfmorgen macht „jede Menge Blödsinn“mit Punk und Metal und verführt Besucher zu schrägen Ideen – hier eine Dame mit Trimmrad.
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FOTO: MAI Mit einer Mischung aus Rap und Metal brachten Smash Hit Combo aus dem Elsass das „EmS“am Samstagmor­gen zum Beben.
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FOTO: AMANN Bejubelt wurden The Baseballs am Samstagabe­nd: Hits von Robbie Williams und den Backstreet Boys präsentier­ten sie in einer Rockabilly-Version.
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FOTO: AMANN Beim „Eier mit Speck“trägt die jubelnde Masse nicht nur Musiker, sondern auch Fans auf Händen.
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FOTO: AMANN Entdeckung am Festivalso­nntag: die Pierce Brothers mit einem Mix aus Punk und Folk.
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FOTO: MAI Sängerin Alice Merton hat sehr viel mehr zu bieten als „No Roots“. Die Viersener waren hingerisse­n.

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