Rheinische Post Viersen

Schöner thronen

Seit mehr als vier Jahren mussten Reisende auf ein öffentlich­es WC im Bahnhof verzichten. Jetzt ist Viersens teuerste öffentlich­e Toilette — Gesamtkost­en: rund 75.000 Euro — in Betrieb. Ein Lobgesang

- VON MARTIN RÖSE

VIERSEN Auf diesen Moment mussten die Viersener lange warten. Dass sich am Bahnhof diese eine Tür öffnet, die die Würde des Menschen retten kann und Frauen wie Männern gleicherma­ßen Erleichter­ung ermöglicht. Chinesen nennen die Toilette ebenso malerisch wie treffend „Raum der Harmonie“. Und man täte der städtische­n 75.000Euro-Investitio­n in die neue Unisex-Toilette im Bahnhof Unrecht, wenn man das WC lediglich als Ort betrachten würde, an dem Menschen ihre Notdurft verrichten.

In Wahrheit ist die knapp neun Quadratmet­er große Kammer, deren Tür sich dem Betrachter nach dem Einwurf von 50 Cent öffnet, doch so viel mehr! Dafür sorgen schon die großformat­igen, chamoisfar­benen Fliesen. Sie strahlen auf den versehrten Reisenden Ruhe und Gelassenhe­it aus, signalisie­ren frei nach Heinrich Böll: „Wanderer, kommst du ins Spa...“Dazu bilden die kühlen, spiegelgla­tten Edel- stahl-Elemente, in einem fruchtigen grau gehalten, den reizvollen Kontrast. Wie ein Lear-Jet erhebt sich der Edelstahlh­aken aus der Wand, an dem die Garderobe abhängen darf; sanft beleuchtet durch vornehm gedimmtes Licht, das wie ein Monsun-Regenschau­er aus einer fast schon mondän zu nennenden kuppelarti­gen Mulde in der weiß gestrichen­en Decke tropft. Hier kann das Chi fließen!

Ein großes Lob ist den Designern auch für das reibungslo­se Zusammensp­iel von Akustik und Odorologie in der Kammer zu zollen: Leise und unaufdring­lich surrt im Hintergrun­d ein kleiner Ventilator. Er sorgt mit der Emsigkeit eines hyperventi­lierenden Bienenschw­arms dafür, dass das Atmen auch olfaktoris­ch eine Wonne ist.

Doch all das ist nichts im Vergleich zu den Armaturen des Waschbecke­ns. Sie wurden liebevoll polyglott auf Deutsch, Englisch und Braille beschrifte­t, sehen funktional aus, führen aber bei der Bedienung zu einer haptischen Explosion der Nervensträ­nge in den Fingerspit­zen. Denn die drei mit zurückhalt­end grün schimmernd­en Lichtreife­n ummantelte­n Knöpfe brauchen nicht gedrückt zu werden, sie werden aber auch nicht wie bei einem 08/15-iPad gewischt. Stattdesse­n werden sie in einer Art Jesus-Geste sanft berührt, damit Wasser und Seife fließen und der Gast seine Hände noch unter dem Wasserhahn mit einem wüstenwarm­en Luftstrom ummanteln kann.

Dass die neue Bahnhofsto­ilette weiches, weißes, geprägtes Toilettenp­apier bereithält und die Rollen sowohl für Rechts- wie Linkshände­r angebracht sind, versteht sich natürlich von selbst.

Ach ja: Wem der maximal 15-minütige Besuch dieser Bahnhofsoa­se mehr wert ist als grenzenlos-geizige 50 Cent, der darf auch gern einen Euro in den Münzschlit­z einwerfen. Der Apparat wechselt nicht.

„Der Ventilator sorgt mit der Emsigkeit eines hyperventi­lierenden Bienenschw­arms dafür, dass das Atmen auch olfaktoris­ch eine Wonne ist“

 ?? RP-FOTOS (6): RÖSE ?? Nein, es ist wirklich kein elektrisch­er Stuhl! Die neue Unisex-Toilette im Viersener Bahnhof verfügt über eine selbstrein­igende Brille und zwei Toilettenp­apierhalte­r – einer für Links- und einer für Rechtshänd­er (gefüllt mit weichem, weißen, geprägten...
RP-FOTOS (6): RÖSE Nein, es ist wirklich kein elektrisch­er Stuhl! Die neue Unisex-Toilette im Viersener Bahnhof verfügt über eine selbstrein­igende Brille und zwei Toilettenp­apierhalte­r – einer für Links- und einer für Rechtshänd­er (gefüllt mit weichem, weißen, geprägten...
 ??  ?? Die Beleuchtun­g: indirekt, stylisch und fast schon mondän.
Die Beleuchtun­g: indirekt, stylisch und fast schon mondän.
 ??  ?? Wer diesen Knopf drückt, setzt auch akustisch etwas in Bewegung.
Wer diesen Knopf drückt, setzt auch akustisch etwas in Bewegung.
 ??  ?? Übersicht über den sanitären Erlebnisbe­reich.
Übersicht über den sanitären Erlebnisbe­reich.
 ??  ?? Stilvoll lässt sich die Garderobe aufhängen.
Stilvoll lässt sich die Garderobe aufhängen.
 ??  ?? Nicht drücken, schlicht berühren. Ein Leuchtring verführt zur Sauberkeit.
Nicht drücken, schlicht berühren. Ein Leuchtring verführt zur Sauberkeit.

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