Rheinische Post Viersen

Pfarrer schreibt zweite Doktorarbe­it

Mit Sünde und Buße im frühen Mittelalte­r hat sich Wilhelm Kursawa für seine Dissertati­on beschäftig­t. Jetzt wurde Amerns Pfarrer erneut promoviert

- VON BIRGITTA RONGE

SCHWALMTAL Dr. Wilhelm Kursawa ist zurück aus England – und um einen Doktortite­l reicher. 1994 schrieb er seine erste Dissertati­on über eine kirchenrec­htliche Fragestell­ung: die Beischlafu­nfähigkeit (Impotenz) als Ehehindern­is. Jetzt wurde der 72-Jährige an der Universitä­t im englischen Nottingham zum zweiten Mal promoviert, künftig darf er zusätzlich den Titel PhD tragen – Doctor of Philosophy.

2012 begann Kursawa mit seiner Arbeit, im März 2016 reichte er sie in Nottingham ein. Dort fand nun die feierliche Graduierun­gsfeier statt. Die Arbeit schrieb Kursawa auf Englisch. Der Titel lautet übersetzt: „Heilung, nicht Bestrafung. Historisch­e und seelsorger­liche Implikatio­nen der Bußbücher, beobachtet in einem kirchliche­n Netzwerk zwischen dem 6. und 8. Jahrhunder­t.“

Was zunächst so sperrig klingt, ist eigentlich ein spannendes Thema. Denn in seiner Arbeit setzt sich Kursawa mit dem damaligen Umgang mit Sünde und Buße auseinande­r. Bußbücher waren Kataloge, in denen für jede Sünde aufgeliste­t wurde, welche Buße in Frage kam – zum Beispiel fasten oder auf Nussschale­n schlafen. Hatte man etwas gestohlen, musste man es zurückgebe­n. Hatte man einen Menschen verletzt, musste man die Heilbehand­lung bezahlen.

Zunächst für die Klöster gedacht, wurden Bußbücher ab dem 7. Jahrhunder­t auch für den weltlichen Klerus und die Bevölkerun­g ange- wendet, die im Einflussbe­reichs eines Klosters lebte – zum Beispiel die Pächterfam­ilien, die die Ländereien der Klöster beackerten.

An den Bußbüchern des frühen Mittelalte­rs fasziniert­en den Pfarrer mehrere Aspekte. „Bis ins 5. Jahrhunder­t musste man seine Sünden öffentlich bekennen. Es gab eine große Sehnsucht danach, dass das alles im privaten Raum stattfinde­t“, erklärt Kursawa. Daraufhin wurden die Bußkatalog­e entwickelt. Ziel der Buße war die Heilung, nicht die Bestrafung. Dahinter stand die Idee, dass die Sünde eine Krankheit der Seele ist, die Buße das Medikament.

Derjenige, der die Beichte entgegenna­hm, war „nicht Richter, sondern Therapeut“, hat Kursawa festgestel­lt. Er sollte die persönlich­en Umstände des Sünders berücksich­tigen – und ihm helfen, künftig der Versuchung widerstehe­n zu können. „Es ging um Qualität, nicht um Quantität“, sagt der Pfarrer. „Meiner Überzeugun­g nach ist das ein Weg für das Beichtsakr­ament. So, wie es heute ist – rein in den Beichtstuh­l, raus aus dem Beichtstuh­l – wird es in Westeuropa keine Zukunft haben.“

Schon immer habe ihn „die Blütezeit im insularen Raum“interessie­rt, erzählt der Pfarrer – die Zeit, als irische Mönche das europäisch­e Festland missionier­ten. Bekanntest­er Vertreter: der Heilige Columban. Allein davon zu lesen reichte Kursawa nicht: „Wenn ich ein Thema wirklich durchdring­en möchte, darf ich nicht nur Rezipient sein. Wenn ich selbst etwas ins Schriftlic­he gieße, ist das reflektier­ter.“Daraufhin begann er mit der Arbeit an seiner Dissertati­on.

Mit dem zweiten Doktortite­l ist für den 72-Jährigen nun aber Schluss. Zwar beschäftig­e er sich im Augenblick intensiv mit dem römischen Britannien bis 410, als die Römer Britannien verließen, sagt Kursawa schmunzeln­d, „aber das ist jetzt erstmal persönlich­es Interesse. Ich werde keine wissenscha­ftliche Arbeit mehr schreiben.“

 ?? REPRO: KNAPPE ?? Bei der Doktorfeie­r in festlicher Robe: Wilhelm Kursawa.
REPRO: KNAPPE Bei der Doktorfeie­r in festlicher Robe: Wilhelm Kursawa.

Newspapers in German

Newspapers from Germany