Ein Schlachthof in Familienhand
Aus einem Breyeller Viehhandel mit Schweinen und Rindern ist der Schlachtbetrieb Siemes in Viersen entstanden. Rund 1000 Schweinehälften werden in dem Familienbetrieb wöchentlich über das Zerlegeband transportiert
VIERSEN Johannes Siemes ist 70 Jahre alt und noch immer im Geschäft. Düsseldorf, Köln, Mönchengladbach, Duisburg und Aachen, zählt der Nettetaler auf, dort hätten die Schlachtbetriebe in den vergangenen Jahren schließen müssen. Schuld seien steigende Abgaben und fallende Einnahmen, Centbeträge, mit denen sich die Händler zu unterbieten versuchen.
Johannes Siemes lehnt sich auf seinem Stuhl nach vorne und runzelt die Stirn. Die Entwicklung missfällt ihm sichtlich. Doch der Schlachthof Siemes an der Gerberstraße in Viersen ist noch da, die Geschichte reicht mehr als 160 Jahre zurück. Der 70-jährige Inhaber, ein großer, kräftiger Mann mit Schnurrbart, Brille und aufrechtem Gang, ist stolz, noch nicht aufgegeben zu haben. Ein Erfolgsrezept haben er und seine Söhne, die mit ihm den Betrieb leiten, nicht, nur eine Mutmaßung. Grund dafür, dass der Schlachthof noch schwarze Zahlen schreibt, sei wohl der hohe persönliche Einsatz, sagt Sohn Martin (34), er zuckt mit den Schultern: „Weil wir mit drei Mann dahinterstehen.“
Den Grundstein für das heutige Unternehmen legte Vorfahr Jakob Siemes im Jahr 1850. In NettetalBreyell gründete er einen Viehhandel mit Schweinen, Rindern und Kälbern. Anfang der 1970er-Jahre fing Nachfolger Johannes Siemes mit der Schlachtung an, 1997 übernahm er das 10.000 Quadratmeter große Gelände an der Gerberstraße.
Nach und nach stiegen die Söhne ins Geschäft mit ein, erst der 34-jährige Metzgermeister Martin, dann sein Zwillingsbruder Peter, gelernter Industriekaufmann. Der älteste der drei, der „Wim“genannte Wilhelm (41), kümmert sich um den Viehhandel und die Landwirtschaft, die die Familie noch immer in Breyell hat. Zurückziehen will sich der Vater trotzdem noch nicht. „Immerhin arbeitet er schon nur noch bis mittags “, sagt Martin Siemes und grinst. Wenn Johannes Siemes die Büroräume im ersten Stock der Firma gegen 13 Uhr verlässt, liegen sieben Stunden Arbeit hinter ihm. Sohn Martin beginnt täglich um kurz nach Mitternacht, gegen 14.30 Uhr macht er Feierabend.
Im Schlachthof ist es an diesem Vormittag ruhig. Im Morgengrauen waren die Mitarbeiter mit der Schlachtung durch, nun säubert Frank Rombach (54) mit einem Hochdruckreiniger den Raum, in dem die Tiere zerlegt wurden. Etwa 40 Sekunden dauere das für eine Schweinehälfte, sagt Martin Siemes. Jeweils rund 1000 davon werden in fünf Nächten pro Woche über das Zerlegeband transportiert.
Landwirte aus der Region liefern die Tiere an. Sie kommen aus den Kreisen Viersen, Heinsberg und Kleve, manchmal sogar aus Borken im Westmünsterland. Kleinere Betriebe bringen 15 Tiere pro Lieferung, größere rund 150. Die Anlieferung beginnt in der Nacht. Hauptsächlich sind es Schweine, die in dem Schlachthof geschlachtet und verarbeitet werden, etwa 2500 pro Woche, rund 120.000 im Jahr. Die Zahl der Rinder ist deutlich kleiner. 30 bis 35 Tiere würden an der Gerberstraße wöchentlich geschlachtet, sagt Peter Siemes.
Zwischen Ankunft und Tötung liegen 30 bis 45 Minuten. Diese Ruhephase ist vorgegeben. Ein Mitarbeiter vom Kreisveterinäramt überprüft derweil den Gesundheitsstatus der Tiere. Sollte sich eines beispielsweise wegen einer Krankheit nicht für den Verzehr eignen, wird es dennoch geschlachtet. „Ein Tier, das einmal hier ist, bleibt auch hier“, sagt Peter Siemes. „Das gibt der Seuchenschutz vor.“Das Kreisveterinäramt ist bei jeder Schlachtung vor Ort, die Mitarbeiter entscheiden über die Genusstauglichkeit und dokumentieren dies durch Abstempeln der Tierhälften und Johannes Siemes Eingabe in eine Datenbank. „Jeder der Schritte muss dokumentiert sein“, sagt Peter Siemes.
Die Tiere kommen einzeln in die Schlachthalle. Mit einer Zange, durch die Strom mit einer Stärke von mindestens 1,3 Ampere fließt, werden sie betäubt, dann trennt ein Mitarbeiter mit einem sogenannten Hohlstechmesser die Halsschlagader durch. Das Tier entblutet, wie es in der Fachsprache heißt. Über Förderbänder an der Decke wird es zur nächsten Station transportiert. Das ist ein 63 Grad heißer Brühkessel, in dem Schweinen die Borsten und Kühen das Fell entfernt werden. Dahinter kommt eine Waschstraße, danach das Ausschlachtband. Dort entfernen Mitarbeiter das Geschlinge – den Magen-Darm-Trakt, die Luftröhre und die Lunge. Die Beschreibung der Siemes-Brüder ist sachlich, für sie ist die Schlachtung Alltag. Dass immer wieder Tierschützer vor den Toren dagegen protestieren, gehört für Johannes Siemes dazu. „Die Menschen wollen Fleisch essen, aber nicht, dass dafür Tiere sterben“, sagt er.
Mit ihrem Vater stehen die Brüder in einem der Kühlhäuser. Zwölf bis 13 Stunden wird das Fleisch dort runter gekühlt, bevor es den Schlachthof verlässt. Hinter den Brüdern hängen Schweinehälften, länger als die Männer groß sind. Wenn die Tiere zu ihnen gebracht werden, sind sie in der Regel sechs bis sieben Monate alt – und bringen etwa 90 Kilogramm auf die Waage.
Pro Kilogramm erhält der Bauer vom Schlachthof Siemes derzeit 1,70 Euro. Beeinflusst wird der Preis durch Angebot und Nachfrage auch auf dem internationalen Markt. „In Korea waren vor Kurzem Schweinebäuche plötzlich sehr gefragt“, sagt Martin Siemes. „Da ging der Preis in Deutschland direkt um etwa 40 Cent nach oben.“Zudem sei die Anzahl an Ferkeln hierzulande gerade deutlich kleiner als sonst. „Die angekündigten Änderungen bei der Schweinehaltung wie etwa größere Kastenstände haben viele Schweinebauern verunsichert“, sagt Martin Siemes. „Sie fragen sich, was noch kommt. Darum haben sie weniger Ferkel produziert.“
Familie Siemes sieht sich auch vom Kreis Viersen im Stich gelassen. 1,55 Euro zahlen sie nach eigenen Angaben pro Schwein, 9,84 Euro pro Rind als Gebühren für die Veterinär- und Lebensmittelüberwachung an den Kreis. Branchenriesen wie Tönnies im Ruhrgebiet würden nur einen Euro je Schwein bezahlen, sagt Johannes Siemes. „Wenn unsere Gebühren weiter angehoben werden, können wir nicht mehr mithalten.“
Die führenden Schweineschlachtunternehmen in Deutschland haben 2016 ihre Marktposition weiter ausbauen können. Wie aus dem aktuellen Schlachthof-Ranking der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands hervorgeht, bestimmen die zehn größten Betriebe den Markt mit einem Anteil von 76,7 Prozent (2015: 74,9). 55,7 Prozent der 59,4 Millionen zerlegten Schweine stammten demnach sogar nur aus drei Fleischunternehmen: Tönnies, Vion und Westfleisch.
Auch beim Nachwuchs sorgen sich die Siemes’ um die Zukunft. Jüngst legten Fleischerlehrlinge an der Gerberstraße ihre Prüfung ab. „Nur fünf für den Kreis Viersen, Krefeld und Mönchengladbach zusammen“, sagt Martin Siemes. Der letzte eigene Auszubildende sei vor drei Jahren fertig geworden, gerne hätte man einen neuen. Aber: „Wir finden keinen“, sagt Martin Siemes.
Wie groß der Gewinn pro Kilogramm Fleisch ist, können die Brüder Siemes nach eigenen Angaben nicht beziffern. „Mit ein paar Cent wären wir zufrieden“, sagt Martin Siemes. Etwas anderes kann er sich trotzdem beruflich nicht vorstellen: „Da ist man so reingewachsen.“
„Die Menschen wollen Fleisch essen, aber nicht, dass dafür Tiere sterben“