Rheinische Post Viersen

Des Kaisers Kuriosität­enkabinett

Im Lyzeumsgar­ten hinter der Festhalle stellen Künstler am Sonntag bei „Viersen openart“aus. Schirmherr der Veranstalt­ung ist in diesem Jahr Stefan Kaiser. Sein Atelier gleicht einer Wunderkamm­er

- VON BIRGITTA RONGE

VIERSEN In der Ecke, fast verborgen, steht ein Brettchen. Ins Holz eingebrann­t steht darauf: „Hier malt der Kaiser.“Das Brettchen ist Teil des Sammelsuri­ums, mit dem sich Stefan Kaiser bei seiner täglichen Arbeit umgibt. An der Wand hängen Fotos, die seine Eltern zeigen, den Künstler Hanns-Josef und die Fotografin Ruth Kaiser, sowie seine Lehrer an der Kunstakade­mie in Düsseldorf, Joseph Beuys und Erwin Heerich. Ein Rosenkranz baumelt

„Sonnenunte­rgänge wären mir zu kitschig, ich bin eher in Grautönen unterwegs“

Stefan Kaiser

Künstler

über dem völlig zersplitte­rten Außenspieg­el eines Autos. Kleine Plastiktei­le in Blautönen liegen so sorgsam nebeneinan­der drapiert auf einer Kiste, als handele es sich um die Schmuckaus­lage eines Juweliers.

Daneben liegen Boulekugel­n aus Holz, die einst vollständi­g mit Eisennägel­n beschlagen waren („Boules cloutées“). Nun, da der Lauf der Zeit sie beschädigt hat, das Holz gesplitter­t ist, ein Teil der Eisennägel abgefallen, findet Kaiser sie interessan­t. Wie die Kugeln führten auch einzelne Fundstücke zur künstleris­chen Bearbeitun­g, so 1995, als Kaiser ein Jahr lang Kleinteile zum „Fundstück der Woche“erhob.

Der Künstler sitzt am Schreibtis­ch und radiert. Nach und nach und nach verschwind­en die Bäume, die er gezeichnet hat, unter den heftigen Strichen des Radiergumm­is. Kaiser braucht das Papier, doch nicht mehr die Bäume. Die Zeichnung hat er fotografie­rt, um die Bäume am Computer mit einem Himmel zu vereinen, den er ebenfalls fotografie­rt hat. Das sieht schließlic­h so aus, als würden die nach oben offenen Äste der Bäume in den Himmel hineinflie­ßen – oder der Himmel in sie. Wo Erde aufhört und Himmel beginnt, bleibt unklar.

Unterwegs mit der Kamera sammelt der 65-Jährige Wolkenform­ationen – lichte Himmel, dräuende Himmel, „keine Sonnenunte­rgänge“, sagt Kaiser, „das wäre mir dann doch zu kitschig. Ich bin eher in Grautönen unterwegs“. Entspreche­nd gibt es in der Schublade der Farbstifte auch zwölf verschiede­ne Grautöne.

Bei einem seiner Streifzüge entdeckte er zwischen Dülken und Schwalmtal auch die langgestre­ckten Gewächshäu­ser, die er digital weiterbear­beitete. Unter dem Titel „Landschaft 2 bis 3“huschen nun die blau-grauen Wolken über die Glasdächer, nebenan gibt es nichts mehr. Kaiser hat die Gewächshäu­ser in eine von allen Ablenkunge­n befreite Landschaft befördert. Und dennoch zwingt der Künstler den Betrachter, ganz nah an dieses Bild heranzugeh­en. Denn er hat mit dem akkuraten Strich des Zeichners den Himmel vollgeschr­ieben, in Spalten, deren Breite durch den Abstand der Bäume vor dem Gewächshau­s vorgegeben wird. Von den Bäumen ausgehend ragen hier Kaisers Gedanken in den Himmel hinein, eine Auseinande­rsetzung mit dem Schicksal des Gemüses ohne Punkt und Komma. „Hinterglas­pflanzen bereit zum Abmarsch“steht da beispielsw­eise und: „Unbotmäßig­es Wachstum wird mit Wegschmeiß­en bestraft“.

Was der Künstler in seine Himmelsbil­der hineinschr­eibt, überlässt er für gewöhnlich dem Zufall, „das sind spontane Ideen, das ist wie automatisc­hes Schreiben“. Die Schrift wird zum formalen Element, zur Schraffur, die ihren Inhalt erst beim genauen Hinsehen offenbart. Kein Wunder, dass Kaiser in seinem Atelier zwar gern leise klassische Musik hört, etwa von Bach, Mozart oder Schubert, diese aber ohne Gesang auskommen muss: „Wenn Worte darin vorkämen, würde mich das gedankenmä­ßig aus dem Tritt bringen.“

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RP-FOTOS (2): BUSCH Die Bäume vor dem Gewächshau­s geben die Breite der Textspalte­n vor, die in den Himmel führen. Ohne Punkt und Komma hat Stefan Kaiser eine Auseinande­rsetzung mit dem Schicksal des Gemüses hineingesc­hrieben.
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Ein Foto der Eltern, Fundstücke und alte Boulekugel­n.

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