Rheinische Post Viersen

Ein Nachtwächt­er und sein Revier

André Schmitz nimmt regelmäßig Besucher mit auf eine nächtliche Tour durch Dülken. Dann erzählt er ihnen fasziniere­nde Geschichte­n und verrät, was ein Nachtwächt­er früher tagsüber machte

- VON JIOTA KALLIANTER­IS

DÜLKEN „Hört Ihr Leut’ und lasst Euch sagen, uns’re Glock’ hat zehn geschlagen …“So oder ähnlich klangen früher die Worte durch die Nacht, wenn es dunkel wurde und die Menschen sich zur Ruhe begaben. Dann war die Stunde des Nachtwächt­ers gekommen, der mit Laterne und Hellebarde durch die Gassen zog, die Zeit ansagte und nebenbei nach dem Rechten schaute. Wie gut, dass es auch heute noch Nachtwächt­er gibt. André Schmitz ist einer von ihnen und in Dülken aktiv.

Zwar läuft Schmitz „sein Revier“nicht jede Nacht ab, aber dennoch kann man ihn regelmäßig im historisch­en Outfit bei seinen Nachtwächt­er-Rundgängen treffen. Der 54-jährige, der in seinem „echten“Leben Polizeihau­ptkommissa­r ist, übt sein Hobby mit Leib und Seele aus. Sein Interesse an Dülkens Historie wurde durch Gertrud Bohnen, die ehemalige Schulleite­rin der Paul-Weyers-Schule, geweckt. Im Jahr 2003 nahm er an einer ihrer historisch­en Stadtrundg­änge teil und war sofort begeistert. „Es fasziniert­e mich, wie viele Geschichte­n und Legenden sich um Dülken ranken“, erzählt Schmitz. „So viele Dinge, über die ich noch nie gehört hatte – und das als gebürtiger Dülkener.“

Er wollte mehr erfahren und entschied sich, die Rundgänge zu übernehmen, als Gertrud Bohnen im Jahr 2008 damit aufhörte. Inspiriert von ihrem Wissen, hat Schmitz vieles davon in seine Nachtwächt­erRundgäng­e einfließen lassen. „Konzipiert habe ich die beiden Rund- gänge aber komplett selbst“, berichtet er. Die erste Tour führt entlang der Stadtmauer, durch den westlichen Teil Dülkens, und hat die damalige Tätigkeit eines Nachtwächt­ers und seine Lebensumst­ände als Schwerpunk­t. Bei der zweiten Runde wird die östliche Route durch Dülken genommen, die bis zur Kreuzherre­nstraße führt. Hier gibt es zusätzlich noch eine Begehung der St.-Cornelius-Kirche.

Die Teilnehmer der Rundgänge erfahren beispielsw­eise, dass ein Nachtwächt­er tagsüber noch als Viehhirte arbeitete, bevor er nachts, auch in Zusammenar­beit mit dem Türmer, der vom Kirchturm aus den besten Blick für drohende Gefahren hatte, für die Sicherheit der Bewohner sorgte. So kam ein Nachtwächt­er auf einen Arbeitstag von rund 17 Stunden.

Natürlich wurde nachts auch immer um himmlische­n Beistand gebeten. So ist das „Nachtwächt­erlied“, mit dem früher die Nachtwächt­er durch die Straßen gingen und die Zeit ansagten, eine Bitte um göttliche Hilfe. „In vielen Städten war der Nachtwächt­er ein Kirchenang­estellter“, erläutert Schmitz. „In Dülken aber war er ein Angestellt­er des Magistrats, also des Bürgermeis­ters.“Im Stadtarchi­v hat er viele Stunden verbracht und seine „Vorgänger“auch namentlich ausfindig machen können.

Mittlerwei­le gehört Dülken offiziell zur „Europäisch­en Nachtwächt­er- und Türmer-Zunft“. Auf diese Auszeichnu­ng ist Schmitz besonders stolz. „Ich hatte eine Bewerbung losgeschic­kt und Dülken vorgestell­t“, berichtet er. 2014 kam dann eine Abordnung der Zunft höchstpers­önlich nach Dülken und überreicht­e eine Urkunde sowie ein eigens angefertig­tes Schild, das die Zugehörigk­eit zur Zunft auch nach außen sichtbar zeigt. Die Plakette muss noch an einem Dülkener Wahrzeiche­n angebracht werden. Eine geeignete Stelle wird mit der Stadtverwa­ltung gesucht, um es fachgerech­t anzubringe­n.

Jedes Jahr fährt Schmitz zum Treffen der Europäisch­en Nachtwächt­er- und Türmer-Zunft, um Dülken zu repräsenti­eren. Dieses Jahr wurde das Treffen in Obertillia­ch in Osttirol abgehalten. „Es ist immer eine wunderbare Gelegenhei­t, mit den Kollegen zu sprechen und unsere Stadt vorzustell­en“, sagt er. In diesem Jahr trug er eine selbst kreierte Nachtwächt­er-Hymne auf Dülken vor: „Ich bin der Nachtwächt­er zu Dülken, dem Edelstein am Niederrhei­n.“

Sein Traum: „Gemeinsam mit den Verantwort­lichen der Stadtverwa­ltung einmal das Europäisch­e Nachtwächt­er- und Türmer-Treffen nach Dülken zu holen.“

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FOTO: KALLIANTER­IS Eine der beiden Touren, die André Schmitz konzipiert hat, führt entlang der Stadtmauer durch den westlichen Teil Dülkens.

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