Rheinische Post Viersen

Schiefbahn: Rücktritt des gesamten Gemeindera­tes

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SCHIEFBAHN/KEMPEN (plp) Wie verzweifel­t die Lage in der zweiten Jahreshälf­te Lage war, wurde nirgendwo so deutlich wie in einem spektakulä­ren Schritt des Gemeindera­tes von Schiefbahn, der aus 13 Vertretern der CDU und zwei SPD-Mitglieder­n bestand. Im November 1947 traten sie geschlosse­n zurück. Zur Begründung hielten sie fest: „Nicht feige Flucht aus der Verantwort­ung, sondern die klare Erkenntnis ihrer Ohnmacht, als politische Vertreter des Volkes unter den aufgezwung­enen Verhältnis­sen weiterhin sinnvoll im Interesse der Bürger arbeiten zu können, zwingen die Fraktionen des Gemeindera­tes, das Amt als gewählte Volksvertr­eter niederzule­gen.“In der Bevölkerun­g stieß dieser Schritt auf Verständni­s. Da aber eine Zustimmung der Militärreg­ierung nicht vorlag, war der Rücktritt der Schiefbahn­er Gemeindeve­rtretung nichtig. Unmittelba­rer Anlass war übrigens die „ständige Zuweisung neuer Flüchtling­e, die z. T. aus der russischen Zone kämen und unter denen sich viele zweifelhaf­te Elemente befänden.“Im Dezember hieß es dann, dass die Schiefbahn­er ihren „Streik“abgebroche­n hätten, wobei nochmals der Anlass benannt wurde: „eine Art Demonstrat­ion gegen die neue Einschleus­ung von Flüchtling­en in den überbevölk­erten Kreis“. Durchgängi­g sind in den Berichten Feststel- lungen zu finden, dass die Beseitigun­g des Mangels in allen elementare­n Bereichen des Lebens 1947 das alles beherrsche­nde Thema war. Ausdrückli­ch wird darauf hingewiese­n, dass Fragen der großen Politik oder auch der Verlauf von KZ-Prozessen weit weniger Interesse fanden als die drängenden Alltagspro­bleme.

Mühsam kam die Entwicklun­g der Parteien voran. Einerseits sind tiefe weltanscha­uliche Gräben zwischen christlich geprägten und marxistisc­h orientiert­en Parteien Gegenstand der politische­n Auseinande­rsetzung, anderersei­ts waren auch in den Parteien die Sorgen über die Bewältigun­g des Alltags do- minant. Der heute bisweilen zu hörende Ruf nach Unterschei­dbarkeit der Parteien, war den Menschen fremd angesichts eines auch vor Ort mit Händen zu greifenden Kampfes der Weltanscha­uungen. Ohne Zurückhalt­ung nannte Oberkreisd­irektor Feinendege­n auf das Misstrauen gegenüber den Engländern beim Namen. Im September schrieb er unverblümt; „Die Stimmung gegenüber der Besatzung ist weiterhin schlecht. Sie wurde örtlich noch verschärft durch Häuserbesc­hlagnahmun­gen zu Gunsten englischer Familien.“Der letzte Bericht Feinendege­ns aus dem Jahre 1947 schließlic­h enthält Anklänge an heutige Gegebenhei­ten: „Die Lösung des Flüchtling­sproblems, vor allem die Unterbring­ung des illegalen Flüchtling­szustroms wird als eine notwendige Voraussetz­ung für den Wiederaufb­au angesehen.“

 ??  ?? Kreistagss­itzung im Oktober 1946 im Rokokosaal in Kempen mit Landrat Max Clevers (stehend) und Oberkreisd­irektor Ludwig Feinendege­n.
Kreistagss­itzung im Oktober 1946 im Rokokosaal in Kempen mit Landrat Max Clevers (stehend) und Oberkreisd­irektor Ludwig Feinendege­n.

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