Rheinische Post Viersen

Hoffenheim zu Gast bei Gladbachs Trauma

Die Verbindung zwischen dem FC Liverpool und Borussia ist speziell. In den 70er Jahren gab es große Spiele, 1991 eine große Geste.

- VON KARSTEN KELLERMANN

MÖNCHENGLA­DBACH Der eine oder andere Borussen-Fan dürfte heute Abend etwas wehmütig sein. Dann nämlich, wenn die TSG 1899 Hoffenheim im zweiten Play-off zur Champions League an der Anfield Road beim FC Liverpool antritt. Zum einen, weil die Gladbacher ihr Team in diesem Jahr selbst gern im internatio­nalen Wettbewerb gesehen hätten. Zum anderen, weil die Hoffenheim­er bei ihrem EuropaDebü­t das Los bekommen haben, nach dem sich so viele Borussen jahrelang gesehnt hatten: die „Reds“.

Den Gladbacher­n war in den vier Europa-Jahren seit 2012 dreimal ein Gegner von der Insel vergönnt, doch die Liverpool-Sehnsucht wurde nicht gestillt. Die letzte Tour ging nach Glasgow in der Gruppenpha­se der Champions League, immerhin, schließlic­h ist der „Celtic Park“auch ein Kult-Tempel des Fußballs, und auch dort sangen alle Fans zusammen selig das „You’ll never walk alone“, den Song, der in der Version von Gerry Marsden und den Pacemakers zur inoffiziel­len Vereinshym­ne des FC Liverpool wurde. 2010 sang Marsden den Song live im Borussia-Park.

Die beiden anderen Britannien­Reisen führten die Gladbacher 2015 und 2016 nach Manchester und zweimal war der Gegner „City“. Nicht wenige Gladbach-Fans indes bezogen ihr Quartier im knapp 60 Kilometer entfernten Liverpool und reisten von dort am Spieltag nach Manchester.

Denn da ist diese spezielle Verbindung zwischen Borussia und den „Reds“aus Liverpool, die Jahr für Jahr ausgelebt wird in gegenseiti­gen Besuchen. Seit 1992 reisen Gladbach-Freunde nach Liverpool, seit 2007 kommen Liverpool-Anhänger in den BorussiaPa­rk. Im Stadionhef­t des FC Liverpool zum Hoffenheim-Spiel wird diese außergewöh­nliche FanFreunds­chaft ausführlic­h beschriebe­n. Eine Geste der Borussen-Fans, die 1991 nach der Stadion-Katastroph­e von Hillsborou­gh 21.000 Mark für die Familien der Opfer sammelten und nach Liverpool brachten, war ein Ursprung dieser innigen Beziehung. Ein anderer sind die großen Spiele beider Klubs in den 70er Jahren (damals spielte Hoffenheim noch in der B-Klasse Sinsheim Nord). Zusammenge­fasst heißt es in Borussias Chronik zum Thema: „Liverpool ist Borussias Trauma.“Denn was Hoffenheim möglicherw­eise heute bevorsteht, ein Scheitern gegen die „Reds“, hat Borussia schon dreimal auf höchster Ebene erlebt.

1973 gab es das erste Treffen in den beiden Uefa-Cup-Finalspiel­en. Genau genommen waren es jedoch zweieindri­ttel Spiele. Denn wegen sintflutar­tiger Regenfälle wurde das erste Spiel in Liverpool beim Stand von 0:0 nach 28 Minuten abgebroche­n. Borussia ging dann tags darauf beim zweiten, mithin vollständi­gen, Versuch an der Anfield Road 0:3 unter. „Angriffsla­wine führte zum Sieg“, titelte die Rheinische Post damals und staunte über den überragend­en Kevin Keegan. Das Rückspiel gewann Borussia 2:0, doch das reichte nicht trotz des taktischen Schachzugs von Hennes Weisweiler, seinen Star Günter Netzer quasi als „Sechser“aufzubiete­n, als vorgezogen­en Libero vor der Abwehrkett­e, um im Mittelfeld ein Übergewich­t zu haben.

1977, vor 40 Jahren also, war Liverpool dann Borussias Gegner im größten Spiel der Vereinsges­chichte: im Finale des Landesmeis­terwettbew­erbs in Rom. Mit Manndeckun­g und rasantem Konterspie­l will Borussia die „Reds“besiegen, doch die Briten kaufen ihnen den Schneid ab. Erneut spielt Kevin Keegan überragend und jubelt am Ende mit seinem Team. Nach dem 1:3 titelte die Rheinische Post: „Der Cup geht nach Liverpool.“

Ein Jahr später gab es das bislang letzte Pflicht-Meeting der Klubs, und zwar erneut im Landesmeis­terWettbew­erb. Borussia durfte in dem Fall daheim (besser: in Düsseldorf) vorlegen und tat das mit einem Knaller: Rainer Bonhofs Freistoß-Hammer kurz vor Schluss stellte den 2:1-Sieg sicher und hinterließ bei Liverpools Torwart Ray Clemence einen bleibenden Eindruck. „Bonhof schießt schneller als Wyatt Earp“, sagte er. Doch die Einschücht­erung reichte nicht für das Rückspiel. Erneut gab es an der Anfield Road ein 0:3. „Die Borussia wurde von einer Urgewalt niedergewa­lzt“, schrieb die RP. Dieses Mal war es Kenny Dalglish, den die Gladbacher nicht aufhalten konnten. Weil das 12:0 gegen Dortmund nicht zur Meistersch­aft reicht im Fernduell mit dem 1. FC Köln und es im Pokal im Viertelfin­ale ein 2:3 gegen Bremen gibt, bleibt Gladbach in der Saison erstmals seit 1974 ohne Titel. Und Liverpool ist jetzt erst recht Borussias internatio­naler Angstgegne­r. Nun könnte man meinen, dass eben darum das Los Liverpool eines aus der Kategorie „igitt“wäre für die Gladbach-Fans. Doch ist da dennoch die Sehnsucht nach Liverpool, nach Anfield. Um zu Gast bei Freunden zu sein, um die Seele des Fußball zu fühlen, wenn man durch das Tor mit dem Schriftzug „You’ll never walk alone“schreitet, aber ein bisschen vielleicht auch, um vielleicht endlich sportlich Revanche nehmen zu können. Indes sind die Borussen, was das Stadion in Liverpool angeht, in guter Gesellscha­ft. Die 14 Versuche anderer deutscher Teams, dort zu gewinnen, scheiterte­n ebenfalls in der Arena, über die es heißt: „Beim FC Liverpool schießt manchmal sogar das Stadion die Tore.“Borussia hat den Wahrheitsg­ehalt dieses Mythos selbst zu spüren bekommen. Heute Abend versucht Hoffenheim mit einigen Ex-Borussen (Havard Nordtveit, Lukas Rupp, Eugen Polanski und Nico Schulz) die traurige deutsche Serie in Liverpool zu beenden.

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FOTO: IMAGO Duell der Superstars am 10. Mai 1973: Borussias Günter Netzer wirft sich in den Schuss des mit zwei Treffern überragend­en Liverpoole­rs Kevin Keegan, doch aller Einsatz kann die Finalniede­rlage der Gladbacher nicht verhindern.
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FOTO: DPA Ex-Borusse Havard Nordtveit spielt jetzt für Hoffenheim.

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