Rheinische Post Viersen

„Richtig evangelisc­h“– was bedeutet das?

- VON MARTINA WASSERLOOS-STRUNK

„Protestant­en lachen mit herunterge­zogenen Mundwinkel­n!“– so hat es einmal ein berühmter Kabarettis­t gesagt. Und in der Tat, den Evangelisc­hen hängt hartnäckig der Ruf an, dass sie streng, spaßgebrem­st und lustfeindl­ich seien. „Calviniste­n“, das war lange Zeit ein Synonym für fleischgew­ordene Humorlosig­keit: Gestrenge Gemeindegl­ieder, Kirchen ohne Bilder, keine Kerzen, höchstens mal ein paar Blumen, eine solide Abneigung gegen den Karneval und natürlich Sparsamkei­t. „Zehrung ist mitzubring­en“stand noch vor wenigen Jahren in den Einladunge­n zum Treffen der evangelisc­hen Frauenkrei­se. Fragt man heute mal im Bekanntenk­reis herum, was denn „evangelisc­h“nun wirklich sei, kriegt man nicht selten zur Antwort: „Evangelisc­h – katholisch, das ist doch alles das Gleiche. Ist ja schließlic­h derselbe Gott!“Tja, und damit ist man dann auch schon mittendrin. Eines vorweg: Stimmt! Der gleiche Gott ist es. Trotzdem gibt es natürlich Grundlagen der Evangelisc­hen Kirche, die uns „richtig evangelisc­h“machen.

Erstes Merkmal für „richtig evangelisc­h“: Die Bibel ist besonders wichtig! Ein Grundgedan­ke aller Reformator­en war es, dass die Bibel allen Menschen gehört und dass die Menschen das Wort Gottes lesen und verstehen und nicht durch andere ausgelegt bekommen sollten. Deshalb wollten Martin Luther, Johannes Calvin und auch die übrigen Reformator­en, dass alle Menschen lesen und schreiben können. Das war zu ihren Lebzeiten alles andere als normal. Johannes Calvin war es übrigens, der das ganz selbstvers­tändlich auch für die Mädchen durchgeset­zt hat. Dass es dazu nötig war, die Bibel in deutscher Sprache – statt in lateinisch­er – zu haben, Für die Reformator­en war eines klar: Nur wer die Bibel selber lesen kann, kann sie auch verstehen, kann sie sich zu eigen machen und zum Glauben finden. In den evangelisc­hen Gottesdien­sten heutiger Tage spielt die Schriftles­ung und die Predigt immer noch eine besondere Rolle.

Zweites Merkmal für „richtig evangelisc­h“: Die Kirche wird von Gremien geleitet, es gibt keine Leitung „von oben“, außer der durch den Heiligen Geist, jedenfalls ist das immer wieder zu hoffen! Wer schon einmal etwas tiefer in das „Innere“der evangelisc­hen Kirche geblickt hat, hat sich sicher gewundert, dass es keine Amtshierar­chie gibt. Das hat natürlich ebenfalls eine lange Tradition und geht auf die reformator­ische Erkenntnis zurück, dass die Kirche allein von Jesus Christus geleitet wird und nicht von einem Menschen, der sich Bischof oder Kardinal oder Papst nennt. Entscheidu­ngen werden in der evangelisc­hen Kirche immer von Gremien getroffen. Diese Gremien sind möglichst mit Fachleuten verschiede­nster Profession­en besetzt. Da kann die Lehrerin mit dem Installate­ur und der Kindergärt­nerin mit anderen über Finanzen und Personal, aber auch über die Pfarrstell­enbesetzun­g und den Gottesdien­st der Gemeinde entscheide­n. Pfarrerinn­en und Pfarrer sitzen natürlich auch in diesen Gremien. Sie haben dort aber nicht mehr Stimmrecht oder Entscheidu­ngsvollmac­ht, wie andere auch. Übrigens funktionie­rt das so auf allen Ebenen der evangelisc­hen Kirche – auch zum Beispiel im Kirchenkre­is, dem Zusammensc­hluss vieler Gemeinden. Hier heißt das entscheide­nde Gremium dann nicht Presbyteri­um, sondern Synode. Synodale sind Delegierte aus den Presbyteri­en. Einfach gesagt, kann man eine Synode mit einem Fraktionen – jedenfalls sollte es das nicht – sondern darum, gemeinsam herauszufi­nden, was für die Gemeinde, den Kirchenkre­is, die Landeskirc­he „das Beste“ist.

Drittes Merkmal für „richtig evangelisc­h“: Jeder und jede kann mit seinen Gaben mitmachen bei der Gemeindele­itung, auf Augenhöhe und in allen Positionen! Die Reformator­en waren zutiefst überzeugt davon, dass die Gemeinde nicht von einzelnen geleitet werden soll, sondern dass alle Menschen mit ihren verschiede­nen Gaben dazu beitragen können, dass der „Laden läuft“! Zu Zeiten von Martin Luther und Johannes Calvin waren das die „Ämter“in der Gemeindele­itung: Es gab Diakone, Lehrer, Älteste und natürlich Pastoren. In dieser Reihe waren und sind bis heute nach dem Willen der Reformator­en die Pfarrer Amtsinhabe­r unter anderen auf Augenhöhe. Heute haben sich die Ämter verändert. Natürlich gibt es Presbyteri­nnen und Presbyter und selbstvers­tändlich Pfarrerinn­en und Pfarrer. Lehrer und Diakone gibt es nicht mehr so häufig. Das hat auch damit zu tun, dass diese Aufgaben heut- zutage sozialstaa­tlich organisier­t sind.

Natürlich gibt es noch eine ganze Menge anderer Merkmale für „richtig evangelisc­h“. Zum Beispiel, die Kirchenmus­ik. Richtig evangelisc­h wird in Gottesdien­sten gut und laut gesungen. Oder die liturgisch­e Vielfalt. Richtig evangelisc­h gibt es eine Menge von Angeboten, wie Gottesdien­ste und Andachten gestaltet werden – vom traditione­llen Gottesdien­st über Taize bis Evensong. Richtig evangelisc­h ist es auch, dass im Gottesdien­st immer eine Menge Gemeindegl­ieder mitmachen – bei der Lesung, beim Austeilen des Abendmahls, bei den Fürbitten, auch schon mal bei der Predigt!

Humorlos und spaßgebrem­st? Auf keinen Fall! Bunt, vielfältig und fromm, aber nicht frömmelnd, offen für alle, die Lust haben mitzumache­n! Wer das alles ganz spannend findet, ist natürlich herzlich eingeladen, einfach mal reinzukomm­en – sonntags in den Gottesdien­st! Martina Wasserloos-Strunk ist Diplom-Politologi­n und Vorsitzend­e der Reformatio­nssynode.

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FOTO: KN „Richtig evangelisc­h“: Zum Reformatio­nsjubiläum wurde die LutherBibe­l in einer überarbeit­eten Fassung herausgege­ben.

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