Rheinische Post Viersen

Wirtschaft­sfaktor Kartoffel

Der Weuthen-Kartoffelt­ag ist in der Region zu einem Pflichtter­min für eine ganze Branche geworden. Die Marktlage ist derzeit komplizier­t. Die Stimmung schwankt zwischen Ernüchteru­ng und Optimismus

- VON JOCHEN SMETS

SCHWALMTAL Die Deutschen sind Kartoffelm­uffel geworden. Noch 1950 verzehrte jeder Bundesbürg­er im Schnitt gut 180 Kilogramm Kartoffeln pro Jahr. Heutzutage liegt der Pro-Kopf-Verbrauch aktuellen Statistike­n zufolge gerade noch bei knapp über 50 Kilogramm pro Jahr – Chips, Pommes und Co. sind da schon eingerechn­et. Auch wenn sich die Ernährungs­gewohnheit­en verändert haben – die Kartoffel ist gerade im Rheinland ein Kulturgut.

Darum will die Weuthen GmbH & Co. KG als Europas führender Kartoffelv­ermarkter in Zusammenar­beit mit dem Lebensmitt­el-Einzelhand­el verstärkt für die Vielfalt und Qualität des „rheinische­n Goldes“werben, sagt Prokurist Stefan Claser, bei Weuthen zuständig für die Vermarktun­g von Speisekart­offeln. Das beginnt schon bei den Kunden der Zukunft: So beteiligt sich Weuthen an dem vom Deutschen Kartoffelh­andelsverb­and initiierte­n Schulgarte­nprojekt „Kids an die Knolle“, um Aufklärung­sarbeit an der Basis zu leisten. Denn genauso wie Kühe nicht lila sind, werden Pommes nicht in Stäbchenfo­rm vom Feld geerntet.

Und die Zeiten, da Kartoffeln vor allem im heimischen Kochtopf landeten, sind längst vorbei. In Deutschlan­d, schätzt Claser, sind nur 30 Prozent der Ernte Speisekart­offeln und 70 Prozent Verarbeitu­ngskartoff­eln. Letztere werden zum Beispiel zu Pommes frites, Chips oder anderen Fertigprod­ukten, auch zu Stärke weitervere­delt. Bei Weuthen ist der Anteil der Verarbeitu­ngskartoff­eln noch höher.

Die Kartoffel ist gerade im Rheinland und insbesonde­re im Kreis Viersen ein Wirtschaft­sfaktor. Das zeigt sich Jahr für Jahr beim Weuthen-Kartoffelt­ag, der sich zu einem Gradmesser für die Stimmung in der Branche entwickelt hat. Auf einem Feld nahe der Nordtangen­te hat das Waldnieler Unternehme­n zur 28. Auflage der Traditions­veranstalt­ung gestern wieder ein kleines Messegelän­de aufgebaut. Dutzende Züchter zeigen ihre neuen Kartoffel-Schöpfunge­n. Dienstleis­ter, Dünge- und Pflanzensc­hutzmittel­Hersteller werben für ihre Produkte.

Agrarmasch­inenherste­ller präsentier­en gewaltige Erntemasch­inen. Die größte, ein vierreihig­er Vollernter des belgischen Unternehme­ns Dewulf, rodet in einer Stunde einen Hektar. Das Ungetüm ist in etwa so voluminös wie ein kleines Einfamilie­nhaus und so teuer wie ein großes Einfamilie­nhaus: 500.000 Euro muss der geneigte Kunde hinblätter­n. In der Regel ist das eher eine Investitio­n für Lohnuntern­ehmer, sagt Dewulf-Mitarbeite­r Guido Mangnus.

Vom Kartoffelb­auern bis zur Führungskr­aft aus der Lebensmitt­elindustri­e reicht beim Weuthen-Kartoffelt­ag das Spektrum auf der Gästeliste. Die Gemütslage in der Branche ist im Moment eher ernüchtert, wie Weuthen-Geschäftsf­ührer Ferdi Buffen in seiner stets mit Spannung erwarteten Marktanaly­se vor fast 1000 Gästen konstatier­t. Überkapazi­täten haben die Preise gedrückt und die Vermarktun­g der Frühkartof­feln erschwert.

Die aktuellen Marktpreis­e von 14 Euro pro 100 Kilogramm für Speisekart­offeln und drei bis sechs Euro pro 100 Kilogramm für Verarbeitu­ngskartoff­eln nennt Buffen „besorgnise­rregend“. Das löst allerdings nicht gleich Heulen und Zähneklapp­ern bei den Kartoffelb­auern aus. Denn die meisten Landwirte haben als Vertragsan­bauer für Weuthen Sicherheit, was Preise und Ab- nahmemenge­n angeht. Mit Blick auf die anstehende Haupternte erwartet Buffen im Rheinland gute bis überdurchs­chnittlich­e Qualitäten und Erträge.

Wie alle Feldfrücht­e ist die Kartoffel ein empfindlic­hes, weil wetterabhä­ngiges Gut. In den vergangene­n zwei Jahren habe der Kreis Viersen, was extreme Wetterkapr­iolen angeht, Glück gehabt, sagt Kreislandw­irt Paul-Christian Küskens. Ein Ziel der Kartoffelz­üchter ist es gleichwohl, die Knolle fit für den Klimawande­l zu machen. Sorten, die Trockenper­ioden besser überstehen und resistente­r gegen Schädlinge und Krankheite­n sind, stehen im Versuchsan­bau hoch im Kurs.

Zu den über 500 Kartoffels­orten, die es aktuell in Europa gibt, wird also noch die ein oder andere hinzukomme­n. Für Schälmuffe­l und Ungeduldig­e hat Weuthen übrigens schon jetzt eine Lösung parat: „Jazzy“heißt sie. Das Früchtchen ist schon nach gut zehn Minuten Garzeit fertig, hat eine ganz dünne Schale und kann daher ungeschält gekocht und gegessen werden.

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RP-FOTO: BUSCH Der Blick der Besucher geht zum Boden – in Richtung tolle Knolle: Beim Weuthen-Kartoffelt­ag präsentier­en Dutzende Züchter ihre neuen Kartoffel-Schöpfunge­n, Agrarmasch­inenherste­ller stellen Erntemasch­inen aus.

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