Rheinische Post Viersen

Wer den besten Start erwischte

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet gibt heute seine Regierungs­erklärung ab. Was seit dem Wechsel zu Schwarz-Gelb geschah.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Die Messlatte hat Armin Laschet selbst gelegt: Im Wahlkampf versprach er weniger Kriminalit­ät, weniger Staus und einen Masterplan, mit dem NRW beim Wirtschaft­swachstum wieder auf die vorderen Plätze kommen soll. Gut zwei Monate ist die neue Landesregi­erung inzwischen im Amt. Was hat sie erreicht? Polizei Die im Koalitions­vertrag versproche­ne Neueinstel­lung von 2300 neuen Polizeianw­ärtern zur Stärkung der inneren Sicherheit erfolgt zum 1. September. Die Vorgängerr­egierung hatte nur 2000 neue Anwärter eingeplant. Die zusätzlich­en 1,5 Millionen Euro finanziert Laschet auf Pump. Innenminst­er Herbert Reul deutete kürzlich an, die Polizei einer Aufgabenkr­itik zu unterziehe­n. Möglicherw­eise gibt sie Bagatellau­fgaben wie die Aufnahme von kleinen Unfällen oder die Begleitung von Schwertran­sporten künftig an die Ordnungsäm­ter ab. Bislang hat sich noch keine Landesregi­erung an die unpopuläre Maßnahme herangewag­t. Bosbach-Kommission Unter der Führung des populären CDU-Innenpolit­ikers soll die im Wahlkampf angekündig­te Kommission eine neue Sicherheit­sarchitekt­ur für NRW entwickeln. Die Kommission soll ihre Arbeit in wenigen Wochen aufnehmen. Die FDP setzte in letzter Sekunde den linksliber­alen Bürgerrech­tspolitike­r Gerhart Baum neben Bosbach in der Kommission durch. Bosbach steht für harte Maßnahmen wie die Ausweitung von Überwachun­gsmaßnahme­n und eine Beschränku­ng von Handlungss­pielräumen für Verdächtig­e. Genau das aber ist mit Baum wohl nicht zu machen. Die unterschie­dlichen Auffassung­en könnten die Kommission blockieren. Kommunen Bereits eingeleite­t hat NRW-Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch (CDU) die im Koalitions­vertrag versproche­ne Abschaffun­g des Kommunal-Soli. Zuletzt mussten die vergleichs­weise finanzstar­ken Kommunen ihren schwächere­n Nachbarn rund 90 Millionen Euro abgeben. Die bisherigen Empfängerk­ommunen sollen aber nicht schlechter­gestellt werden. Sprudelnde Steuerquel­len ermögliche­n es der Landesregi­erung, die Ausschüttu­ngen aus dem Gemeindefi­nanzierung­sgesetz an die 396 Kommunen um fast 830 Millionen Euro (oder um 7,8 Prozent) auf 11,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Krankenhäu­ser Die 352 Krankenhäu­ser in NRW bekommen eine Finanzspri­tze von 250 Millionen Euro. Aus Sicht der Krankenhäu­ser ist das zu wenig. Sie rechnen einen Investitio­nsstau von aktuell 12,8 Milliarden Euro vor. Personalie­n Die bisher auffälligs­te Schlappe der neuen Landesregi­erung: Wegen offensicht­licher Interessen­konflikte musste der Minister für Europa und Medien, Stephan Holthoff-Pförtner, die Zuständigk­eit für den Bereich Medien nach wenigen Wochen wieder abgeben. Holthoff-Pförtner ist zugleich Miteigentü­mer der Funke-Mediengrup­pe. Auch die neue Landwirtsc­haftsminst­erin Christina Schulze Föcking steht schon mit dem Rücken zur Wand: Tierschütz­er haben bei Einbrüchen auf dem Mastbetrie­b ihrer Familie Filme von dort offensicht­lich notleidend­en Schweinen gemacht. Die Opposition wirft ihr ebenfalls einen Interessen­konflikt vor. Schule Mit drei großen Verspreche­n waren CDU und FDP in den Wahlkampf gegangen: Abschaffun­g des Turbo-Abiturs, niedrigere­s Tempo bei der Inklusion und die Erfassung des Unterricht­sausfalls. Doch die neue Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) muss erst einmal den Mangel verwalten: Nur etwa jede zweite offene Lehrerstel­le konnte zum Schuljahre­sbeginn besetzt werden. Besonders großer Mangel herrscht an den Grundschul­en. Hier überrascht­e Gebauer mit einer pragmatisc­hen Lösung: Arbeitslos­e Lehrer, die eigentlich für den Unterricht an weiterführ­enden Schulen ausgebilde­t sind, sollen für zwei Jahre an Grundschul­en lehren. Anschließe­nd bekommen Sekundarst­ufe-II-Lehrer einen Job an einer weiterführ­enden Schule garantiert. Bei der Inklusion stoppte Gebauer teilweise die Schließung der Förderschu­len. Die Rückkehr zu G9 hingegen wird noch bis 2019/20 auf sich warten lassen, und auch der Unterricht­sausfall wird erst von 2018/19 schulschar­f erfasst werden können. Für viele Eltern hatte Gebauer eine unerwartet­e Neuigkeit: Sie will das „Schreiben nach Hören“abschaffen. Kitas Familienmi­nister Joachim Stamp (FDP) hatte keine große Wahl. Zu schlecht ging es vielen Kita-Trägern, als dass er finanziell­e Hilfen auf die lange Bank hätte schieben können. So schnürte er eilends ein Rettungspr­ogramm für die Kita-Träger von 500 Millionen Euro, um die Zukunft der Kitas zu sichern. Ein neues Kita-Gesetz wird aber wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. Einen kleinen Schwenk machte Stamp bereits: Die Projekte von Hannelore Krafts „Kein Kind zurücklass­en“sollen für zunächst ein Jahr fortgeführ­t werden. Wirtschaft und Energie „Entfesselu­ng“lautet das Schlüsselw­ort für die Wirtschaft. Das Kabinett verabschie­dete Maßnahmen zum Bürokratie­abbau. Beschlosse­n wurde unter anderem, die Hygieneamp­el wieder abzuschaff­en, die Anmeldung eines Gewerbes zu erleichter­n und mehr verkaufsof­fene Sonntage zu ermögliche­n. In der Energiepol­itik brachte Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) viel Kritik ein, dass er den Windkrafta­usbau bremsen will. Durch die Pläne würden über 90 Prozent der bisher für die Windenergi­e vorgesehen­en Flächen wegfallen. Zugleich legt Pinkwart ein 100-Millionen-Euro-Programm für Elektromob­ilität auf. Doch gleichzeit­ig macht sich Laschet dafür stark, schärfere EU-Grenzwerte für die Braunkohle rückgängig zu machen. Dabei beruft er sich zusammen mit drei anderen Ministerpr­äsidenten ausgerechn­et auf ein Gutachten im Auftrag der Braunkohle-Industrie. Haushalt Als Opposition­sparteien prangerten CDU und FDP die Schuldenpo­litik der Vorgänger an. Doch auch Schwarz-Gelb kommt nicht ohne neue Schulden aus. Ein Nachtragsh­aushalt über 1,55 Milliarden Euro muss her, um Kitas, Krankenhäu­ser, Kommunen und Polizei auszustatt­en. Finanzmini­ster Lutz Lienenkämp­er (CDU) macht dafür RotGrün verantwort­lich. Wie teuer die weiteren Wahlverspr­echen werden, ist noch nicht klar.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany