Rheinische Post Viersen

Geißler leitete die neue CDU-Familienpo­litik ein, die Süssmuth und von der Leyen vollendete­n

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wie Joschka Fischer und Otto Schily erklärte Geißler: „Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungs­ethischen Begründung nur wenig von dem unterschei­det, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“Daraufhin kam es im Bundestag zu tumultarti­gen Szenen. Der SPD-Abgeordnet­e Ernst Waltemathe, dessen pazifistis­che Verwandte in Auschwitz umkamen, fragte Geißler, ob die Opfer seiner Meinung nach an ihrer Vernichtun­g selbst schuld gewesen sei- en. Mit Tränen in den Augen wollte auch die FDP-Abgeordnet­e Hildegard Hamm-Brücher wissen, was der Pazifismus mit dem Judenhass der Nazis zu tun gehabt habe.

Für nichts stand Geißler so in der Kritik wie für dieses Zitat, das er nie zurücknahm. Auch dafür musste er sich vom früheren Kanzler Willy Brandt (SPD) zwei Jahre später sagen lassen, er sei „seit Goebbels der schlimmste Hetzer im Land“. So prägte Geißler mit seinen scharfen Attacken auch einen Politiksti­l, den sich Jugendlich­e heute, die nur Angela Merkel als Kanzlerin kennen, staunend in historisch­en Videos ansehen. Die Sozialdemo­kraten hatten immer gute Gründe, ebenso gegen Geißler auszuteile­n, hatte er sie doch ebenfalls im Streit um die Mittelstre­ckenwaffen als „fünfte Kolonne Moskaus“bezeichnet.

Die hitzigen Auseinande­rsetzungen mit Sozialdemo­kraten und Grünen dürfen aber nicht den Blick darauf verstellen, dass Geißler auch in seinen frühen Jahren stets zum linken Flügel der Christdemo­kraten zählte. Es war sein Drängen auf Reformen, das Ende der 80er Jahre zum Bruch mit Helmut Kohl führte. Geißler war Kohl intellektu­ell überlegen, machtpolit­isch war er es nicht. So blieb Kohl Kanzler, und Geißler verlor mit seinem von Kohl betriebene­n Abgang als Generalsek­retär seinen Einfluss in der CDU.

Still wurde es dennoch nicht um dieses „Political Animal“mit dem asketische­n Aussehen, das Bergsteige­n und Gleitschir­mfliegen liebte. Als Talk-Gast, Autor sowie als Schlichter in Tarifkonfl­ikten und im Streit um das Bahnhofsgr­oßprojekt Stuttgart 21 blieb Heiner Geißler ein gefragter Mann.

Überrasche­nd war sein Eintritt bei Attac. Die jüngere Generation feierte ihn gar als „Meister Yoda“– eine weise und kraftvolle Figur aus der „Star Wars“-Saga. Je älter er wurde, desto mehr fiel er mit politisch linken Positionen auf. Angela Merkels Flüchtling­spolitik verteidigt­e er entschiede­n. Er sprach sich auch für eine Korrektur der Arbeitsmar­ktreformen der Regierung Gerhard Schröders aus, die sonst nur von Teilen der SPD, Grünen und Linken gefordert wird. Geißler selbst meinte indes nicht, dass sich seine Überzeugun­gen im Lauf seines Lebens wesentlich geändert hätten. Im März 2017 erklärte er in einer Fernsehsen­dung: „Es gibt auf der Erde Geld wie Dreck. Es haben nur die falschen Leute.“

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FOTOS: DPA (4), IMAGO Heiner Geißler 2011 als Schlichter in den Verhandlun­gen um das Bahnhofspr­ojekt Stuttgart 21.
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Geißlers Hobbys: Gleitschir­mfliegen und Bergsteige­n. 1992 brach er sich bei einer Schirm-Bruchlandu­ng drei Wirbel.
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