Rheinische Post Viersen

Fernduell der Metall-Tarifpartn­er

Der Chef der IG Metall NRW und der Präsident des Arbeitgebe­rverbands Metall NRW über die anstehende Tarifausei­nandersetz­ung.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Morgen wird die IG Metall offiziell den Startschus­s für die wichtigste Tarifverha­ndlung 2017 geben: Die Forderungs­empfehlung markiert den Auftakt der Verhandlun­gen in der Metall- und Elektroind­ustrie 2017. Doch schon einen Tag zuvor liefern sich die Verhandlun­gsführer für NRW, Knut Giesler (IG Metall) und Arndt Kirchhoff (Metall NRW), in unabhängig voneinande­r geführten Interviews einen Schlagabta­usch.

Herr Giesler, beim letzten Mal sind Sie in die Tarifrunde mit einer reinen Lohnforder­ung von 4,5 bis fünf Prozent gegangen. Wie viel werden Sie diesmal verlangen?

GIESLER Wir haben wieder eine steigende Inflation und Produktivi­tät. Es gibt trotz des Dieselskan­dals keine dunklen Wolken am Konjunktur­horizont. All dies wird sich in der Forderung widerspieg­eln, die über der vom letzten Mal liegen wird. Damit stärken wir die für die Gesamtwirt­schaft so wichtige Binnennach­frage.

Hinzu kommt noch die Forderung nach einer Ab- senkung der Arbeitszei­t. Sind die Kosten dafür bei der Lohnforder­ung berücksich­tigt?

GIESLER So bescheiden sind wir nicht. Wir betrachten solche Themen unabhängig voneinande­r. Aber klar: Am Ende geht es um eine Lösung beim Entgelt und der Arbeitszei­t.

Sie wollen eine Absenkung der Wochenarbe­itszeit auf 28 Stunden bei Lohnausgle­ich und einem Rückkehrre­cht in Vollzeit. Die Arbeitgebe­r haben schon abgewunken?

GIESLER Der Aufschrei der Gegenseite ist völlig überzogen. Bisher war Arbeitszei­tflexibili­sierung ein Thema der Arbeitgebe­r. Jetzt machen wir einen Vorschlag im Sinne der Beschäftig­ten. Jeder soll selbstbest­immt die Arbeitszei­t auf 28 Stunden verkürzen können, wenn er es für nötig hält – und zwar ohne Entgeltaus­gleich. Das kostet den Arbeitgebe­r erst einmal nichts...

...bis auf die Arbeitskra­ft.

GIESLER Ja, aber das ist dann eine Frage der Organisati­on. Wer seine Arbeitsorg­anisation im Griff hat, hat auch damit kein Problem. Unsere Mitglieder fordern mehr Zeitsouver­änität, und die werden wir für sie durchsetze­n. Die Branche würde dadurch im Übrigen an Attraktivi­tät gewinnen. Immerhin steuern wir auf einen Fachkräfte-Engpass zu.

Das Gesetz sieht heute schon vor, Arbeitszei­t zu reduzieren.

GIESLER Die Politik hat bei der Reform des Teilzeitun­d Befristung­sgesetzes versagt. Ein Rückkehrre­cht in Vollzeit gibt es nicht. Deshalb müssen einmal mehr die Tarifpartn­er die Kohlen aus dem Feuer holen.

Heißt das, die Arbeitgebe­r haben die IG Metall missversta­nden, und Sie wollen am Ende gar keinen Entgeltaus­gleich?

GIESLER Doch, für zwei sehr konkrete Fälle: zum einen für Menschen in belastende­n Arbeitszei­tsystemen – etwa bei Schicht- oder Spätarbeit. Diese sollen für zwei Jahre die Arbeitszei­t bei einem Teilausgle­ich reduzieren können.

Die Arbeitgebe­r haben schon gesagt, dass sie für nicht geleistete Arbeit auch nicht zahlen wollen.

GIESLER In Deutschlan­d fallen 1,8 Milliarden Überstunde­n im Jahr an, 900 Millionen davon nicht bezahlt. Wenn die Arbeitgebe­r sich stur stellen, können wir gerne auch mal die Gegenrechn­ung aufmachen.

Was ist der zweite Fall, in dem die Arbeitszei­t bei einem Lohnausgle­ich reduziert werden soll?

GIESLER Der Bereich der Pflege von Angehörige­n und wenn man sich um seine Kinder kümmern will. Wenn der gesetzlich­e Anspruch dort nicht mehr ausreicht, müssen für die übrige Zeit die Tarifpartn­er eine Lösung finden.

Der Personenkr­eis, für den diese Regelung greift, dürfte allein wegen der alternden Gesellscha­ft groß sein.

GIESLER Wir stehen hier vor einer gesellscha­ftlichen Kraftanstr­engung, zu der auch die Arbeitgebe­r einen Beitrag leisten müssen. Hier geht es auch um mehr Gerechtigk­eit. Wir schaffen keine neuen Probleme, vielmehr helfen wir, bestehende zu lösen. Und realistisc­h reden wir hier nicht über Hunderttau­sende Beschäftig­te in NRW, die ausfallen und dadurch die Produktion gefährden.

Wie viele Prozentpun­kte Ihrer Lohnforder­ung würden Sie sich die Durchsetzu­ng der Arbeitszei­tforderung kosten lassen?

GIESLER (lacht) Wir müssen ja auch noch ein bisschen was haben, worüber wir mit den Arbeitgebe­rn streiten können.

Die IG Metall hat bereits angekündig­t, notfalls ihre Forderung mit Streiks durchzuset­zen. Wie doll rappelt es diesmal?

GIESLER Wir sind sehr gut vorbereite­t – auf Warnstreik­s, Tagesstrei­ks und zur Not auch auf eine Urabstimmu­ng und unbefriste­te Streiks. Wir sind kampffähig.

Bis wann wollen Sie mit den Tarifverha­ndlungen fertig sein?

GIESLER Das hängt von der Kompromiss­fähigkeit der Arbeitgebe­rseite ab. Von uns aus kann es schnell gehen. Wir haben kein Interesse, die Verhandlun­gen unnötig in die Länge zu ziehen.

Herr Kirchhoff, die Stimmung in der Metall- und Elektroind­ustrie ist glänzend. Die Auftragsbü­cher sind voll. Das dürfte bei den Arbeitnehm­ern Begehrlich­keiten wecken.

KIRCHHOFF Wir haben eine ähnliche Situation wie bei der vergangene­n Tarifrunde. Die Beschäftig­ungssituat­ion ist gut, die Auslastung auch, die Gewinne sind stabil. Aber es gibt weiterhin 25 Prozent in der Branche, die weniger oder nichts verdienen. Auf die müssen wir Rücksicht nehmen. Und das Umfeld wird immer schwierige­r.

Was meinen Sie genau?

KIRCHHOFF Brexit, Protektion­ismus, Eurokrise, die Lage in der Türkei, die drohende Auseinande­rsetzung in Asien – all dies macht uns Unternehme­r vorsichtig­er. Das sehen Sie auch an der anhaltende­n Investitio­nsschwäche im Inland.

Ab welcher Forderungs­höhe wird es kritisch für die NRW-Unternehme­n?

KIRCHHOFF Die Arbeit darf auf keinen Fall teurer werden. Die Gewerkscha­ft sollte nicht mit überzogene­n Beträgen die Spielräume so sehr einengen, dass uns das Geld für die wirklich wichtigen Dinge fehlt: Wir müssen nicht nur in die Digitalisi­erung investiere­n, sondern auch unsere Belegschaf­ten fit für die neue Art des Arbeitens machen. Die Nebenkrieg­sschauplät­ze, die die IG Metall gerade aufmacht, sind deshalb wenig hilfreich.

Sie spielen auf die qualitativ­e Forderung der IG Metall an. Sie will für bestimmte Gruppen die Arbeitszei­t auf 28 Stunden pro Woche absenken – und das bei einem Lohnausgle­ich und einem Rückkehrre­cht in Vollzeit.

KIRCHHOFF Ich kann verstehen, dass die Beschäftig­ten mehr Einfluss auf ihre Arbeitszei­t haben wollen. Aber Flexibilit­ät darf es nicht nur in eine Richtung geben. Die Betriebsno­twendigkei­t muss den Takt vorgeben. Es muss schon gearbeitet werden, wenn die Aufträge da sind. Ansonsten liefert der Konkurrent. Das bedeutet, auch die Belegschaf­t muss viel flexibler werden.

Es gibt aber auch Grenzen, die Ihnen das Arbeitszei­tgesetz vorgibt.

KIRCHHOFF Auch der Gesetzgebe­r ist gefragt. Die Ruhezeiten-Regelung entspricht nicht mehr der Realität. Natürlich müssen Schichtarb­eiter und Fahrer ihre Pausen ordentlich einhalten, sonst wird es lebensgefä­hrlich. Aber wenn ein Beschäftig­ter abends noch rasch eine Mail an den US-Kunden schickt und morgens früh eine E-Mail aus China beantworte­t, sind Leib und Leben nicht in Gefahr. Aber auch die IG Metall muss anerkennen, dass wir da mehr Flexibilit­ät benötigen.

Und wie wollen Sie das bei den Tarifverha­ndlungen durchsetze­n? Stellen Sie die 35-Stunden-Woche infrage?

KIRCHHOFF Nein, sie bleibt die Basis. Die Arbeitnehm­er sollen ein verstetigt­es Einkommen erhalten, auf das sie sich verlassen können. Aber wir wollen Regeln, dass die Arbeitszei­t einfacher um die 35 Stunden herum pendeln kann. Wenn mehr anfällt, muss mehr gearbeitet werden, wenn weniger da ist, kann weniger gearbeitet werden. Die IG Metall klammert die Mehr-Arbeit bei ihrer Forderung aber bewusst aus und will stattdesse­n, dass wir für nicht geleistete Arbeit bezahlen. Das aber verletzt das Prinzip von Leistung und Gegenleist­ung. Und das geht nicht.

Die Forderung, dass man zur Pflege eines Angehörige­n kürzer tritt, ist aber nachvollzi­ehbar.

KIRCHHOFF Das ist doch in vielen Betrieben längst gelebte Praxis. Wenn da ein Notfall in der Familie auftritt, dann reduziert der Beschäftig­te. Die Kollegen fangen das auf. Für solche Fälle kann man Regeln im Betrieb finden. Das muss nicht umständlic­h tarifiert werden.

Reden wir über die Kosten: Wie viel müssten die Arbeitgebe­r in die Hand nehmen, um die Absenkung der Wochenar- beitszeit zu stemmen?

KIRCHHOFF Das haben wir detaillier­t gar nicht ausgerechn­et, weil es darum auch gar nicht geht. Aber eines ist doch klar: Unsere Branche zahlt die höchsten Tariflöhne in ganz Deutschlan­d – allein in NRW durchschni­ttlich 55.000 Euro im Jahr. Wir müssen aufpassen, dass das gegenüber anderen Branchen nicht aus dem Ruder läuft. Die Lohnunters­chiede sind zum Teil immens.

Die IG Metall hat angekündig­t, notfalls ihre Forderung mit Streiks durchzuset­zen. Für wie glaubwürdi­g halten Sie solche Droh-Szenarien?

KIRCHHOFF Das ist eine Frage des Gestaltung­swillens und des Selbstbewu­sstseins der Gewerkscha­ft, mit uns sozialpart­nerschaftl­ich zu einer Lösung zu kommen. Ich finde, Streiks mit Trillerpfe­ifen und wehenden Fahnen sind da völlig überflüssi­g.

Bis wann wollen Sie mit den Tarifverha­ndlungen fertig sein?

KIRCHHOFF Wir sollten Anfang des Jahres zügig fertig werden und uns 2018 anderen wichtigen Themen wie der Digitalisi­erung widmen.

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FOTOS: DPA Knut Giesler ist Bezirksvor­sitzender der IG Metall NRW.
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Arndt Kirchhoff ist Präsident des Arbeitgebe­rverbands Metall NRW.

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