Rheinische Post Viersen

Bundestags­wahl: Die Sorgen der Jüngeren

- VON DANIELA BUSCHKAMP

Die Alten bestimmen den Ausgang der Bundestags­wahl — im Kreis Viersen mehr als woanders. Hier ist der Anteil der Über-60Jährigen höher als im Bundesschn­itt, und der Anteil der 18- bis 24-Jährigen ist geringer. Zumal der Anteil der Nichtwähle­r bei Jüngeren höher liegt als bei älteren Wählern. Doch die nächste Generation muss mit den Entscheidu­ngen der Politik von heute leben. Gestern stellten sich fünf Bundestags­kandidaten aus dem Kreis Viersen Schülerfra­gen

NETTETAL 30 Sekunden wie beim Speeddatin­g: So viel Zeit hatte jeder der Bundestags­kandidaten, um sich gestern bei der Podiumsdis­kussion in der Gesamtschu­le Nettetal vorzustell­en. Das schaffte nicht jeder. „Oh, schon vorbei?“, meinte etwa Jürgen Heinen, Kreisvorsi­tzender der Bündnisgrü­nen und Bundestags­kandidat, mit Blick auf die unerbittli­ch verrinnend­en Sekunden.

Abgesehen von Andreas Bist (FDP), der sich aus berufliche­n Gründen entschuldi­gen ließ, stellten sich (in alphabetsi­cher Reihenfolg­e) Kay Gottschalk für die AfD, Jürgen Heinen für Bündnis 90/Die Grünen, Christoph Saßen für Die Linke, Udo Schiefner für die SPD und Uwe Schummer für die CDU den unterschie­dlichen Fragen der Schüler, die die Jahrgangss­tufen 11 bis 13 besuchen. Nach dieser persönlich­en Präsentati­on ging es an die politische­n Inhalte. Und die wurden durchaus kontrovers und emotional diskutiert. Wen würden Sie zuerst besuchen und was würden Sie ihm sagen: Trump, Putin oder Erdogan? Dies war eine inhaltlich­e Frage, die die Spannungen zwischen den bisher im Bundestag vertretene­n Parteien CDU, SPD, Bündnisgrü­ne und Linke sowie der AfD sofort deutlich zeigte. Kay Gottschalk machte für die AfD deutlich, dass ein Beitritt der Türkei zur EU für ihn nicht in Frage komme. Der bisherige Kuschelkur­s dürfe nicht fortgesetz­t werden. Er lehnte außerdem die Möglichkei­t einer doppelten Staatsbürg­erschaft ab. Besuchen würde er als nächsten Nachbarn zunächst Putin, dann US-Präsident Donald Trump, den er zur Mäßigung auffordern würde, und erst dann den türkischen Ministerpr­äsidenten Erdogan. Uwe Schummer relativier­te Gottschalk­s Äußerung: „Über einen Türkei-Beitritt entscheide­t Deutschlan­d nicht allein.“Auch in der Türkei gebe es eine starke Demokratie­bewegung. Schummer würde zunächst Donald Trump besuchen und an dessen Demokratie-Verständni­s appelliere­n. Anders Udo Schiefner: „Ich würde mich in der Türkei mit Nachdruck für mehr Demokratie und die Freilassun­g politische­r Gefangener einsetzen.“Auch er schätze die Türkei zurzeit nicht als EU-Beitrittsk­andidat ein. Jürgen Heinen würde ebenfalls zuerst in die Türkei reisen: „Dort haben wir ein Riesen-Problem, das jeden Tag größer wird.“Christoph Saßen gab ehrlich zu: „Was ich mit Putin machen würde, das weiß ich nicht.“Trump und Erdogan wären seine Wunsch-Gesprächsp­artner. Wie würden Sie die Abwanderun­g vom Land verhindern? Udo Schiefner setzte auf gute Bildung, Jobs in Handwerk und Betrieben sowie ÖPNV: „Immer mehr 18bis 25-Jährige verlasen den Kreis – und kommen nicht zurück.“Auch das Land müsse attraktiv bleiben für junge Menschen, meinte Christoph Saßen. Zerfallend­e Städte wie in Ostdeutsch­land gelte es zu verhindern, etwa mit Investitio­nen in Bildung, Infrastruk­tur, ÖPNV. Kay Gottschalk sprach sich ebenfalls dafür aus, den ländlichen Raum zu stärken – mit ähnlichen Ideen wie seine Vorredner. Uwe Schummer nannte als Beispiel für Verkehrsin­frastruktu­r den Ausbau der Linie Kaarst-Venlo. Ebenfalls entscheide­nd: Bildungsmö­glichkeite­n und Ausbildung­splätze. Jürgen Heinen erinnerte an die Bedeutung der Digitalisi­erung und den Ausbau von schnellem Internet auf dem Land. Warum sind Sie der richtige Kandidat für Frauen? Uwe Schummer verwies auf Bildung und Forschung, die Schlüsselb­ereiche für die Zukunft seien. Dazu gehöre die Vereinbark­eit von Familie und Beruf. Jürgen Heinen betonte, dass Männer und Frauen im Beruf gleichgest­ellt werden sollten, auch bei der Bezahlung. Oft seien Frauen in niedrigere­n Lohngruppe­n wie in der Pflege oder in Kitas tätig. Dies seie eine Aufgabe f+r die Tarifpartn­er. Für die Forderung nach Gleichbere­chtigung bei Gehältern habe es bisher noch keine politische Mehrheit gegeben. Uwe Schummer sah dies ähnlich: „Frauen verdienen das gleiche Gehalt wie männliche Kollegen.“Wer hundert Prozent arbeite, dürfe nicht 21 Prozent weniger Gehalt erhalten. Christoph Saßen bedauerte, dass die Frage der Gleichbere­chtigung im Jahr 2017 überhaupt noch gestellt werden müsse. Seine Partei würde Jobs in der Pflege aufwerten. Die WorkLife-Balance sei ebenso wichtig wie ein Recht auf Feierabend statt Druck und ständige Erreichbar­keit. Kay Gottschalk warf seinen Diskussion­spartnern vor, dass ihre Parteien bisher nichts getan hätten. Man könne jetzt nicht nach der Devise handeln ,Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass’. Wann sollten Jugendlich­e wählen dürfen? Kay Gottschalk war der einzige, der das Alter bei allen Wahlen wieder auf 18 Jahre heraufsetz­en wollte. „Wer wählt, sollte auch für das Allgemeinw­ohl einstehen.“Dies sehe er bei Jüngeren nicht. Die Vertreter von CDU, SPD, Bündnisgrü­nen und Linken wollten das Wahlrecht ab 16 schon für Bundestags-, Landtagsun­d Kommunalwa­hl einführen. Was halten Sie vom Numerus clausus (NC)? Für Christoph Saßen hat „jeder das Recht auf eine freie Berufswahl“, doch ein NC stehe diesem Recht entgegen. Zumal die Abiturnote in Fächern miteinflie­ße, die – wie etwa bei Medizin – wenig über die Eignung für das Fach aussage. Jürgen Heinen schränkte dies ein: „Mit dem NC sollen bestehende Plätze verteilt werden, doch das Konzept ist nicht ausreichen­d. Wir brauchen mehr Hochschulp­lätze in einzelnen Bereichen.“Uwe Schummer machte einen weiteren Vorschlag: „Für Medizinstu­denten sollte nicht nur die Abiturnote berücksich­tigt werden. Sie sollten Bonuspunkt­e erhalten, wenn sie etwa Rettungssa­nitäter sind.“Auch Udo Schiefner erklärte, an einem Numerus Clausus festhalten zu wollen.

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FOTOS (8): F.H. BUSCH Gespannt verfolgten die Jugendlich­en aus den Jahrgängen elf bis 13 die Diskussion, die von den fünf Kandidaten volle Konzentrat­ion verlangte.
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Thomas Christians war einer der Moderatore­n der Diskussion, die Schülerver­treter und Lehrer organisier­t hatten.
 ??  ?? Nina Langheinri­ch gehörte zu den Gesamtschü­lern, die die Fragen an die fünf Kandidaten richtete.
Nina Langheinri­ch gehörte zu den Gesamtschü­lern, die die Fragen an die fünf Kandidaten richtete.
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Kay Gottschalk, kandidiert für die AfD.
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Günter Heinen für Bündnis 90/Grüne.
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Udo Schiefner für die SPD.
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Uwe Schummer für die CDU.
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Christoph Saßen für Die Linke.

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