Rheinische Post Viersen

Analoger Wein in digitalen Bremsschlä­uchen

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Was bitteschön war das für ein frustriere­nder Wahlkampf? Ein Wahlkampf, fantasielo­s und von irrational­er Angst getrieben: unser schönes Deutschlan­d, umzingelt von Migranten, Terroriste­n und Robotern! Altbekannt­e Floskeln von Wohlstand und Gerechtigk­eit, ausgericht­et auf die Ängste einer alternden Gesellscha­ft. Auf Menschen, die durch den digitalen Wandel mehr zu verlieren als zu gewinnen haben (oder das zumindest befürchten). Genauso könnte man plakatiere­n: „Kuchen statt Cookies!“oder „Gestern ist gut für uns alle!“

Für diejenigen, denen gestern noch nicht gestrig genug war, gab es diesmal rechts von der CSU ein Nostalgie-Sammelbeck­en, eine Art Nazi-Bällebad. Schlimm genug, wie es die AfD geschafft hat, die anderen Parteien in einen Wettstreit zu zwingen, wer am entschiede­nsten gegen Flüchtling­e vorgeht. In so mancher

Wo ist die Vision einer Gesellscha­ft, auf die man sich freuen kann? Der Wahlkampf ist frustriere­nd fantasielo­s und von PlaceboStr­eitigkeite­n um das Renteneint­rittsalter geprägt. Wir brauchen mehr.

Polit-Talkshow rieb man sich verwundert die Augen und fragte sich, ob da ein noch ein Grüner spricht oder schon Alexander Gauland.

Was mich aber ratlos zurückläss­t, ist die unfassbare Bräsigkeit der Parteien, wenn es um das Morgen geht. Wo ist die Vision einer Gesellscha­ft, auf die man sich freuen kann? Eine Gesellscha­ft, die Lust aufs Neue macht ohne bewährte Werte und Tugenden zu verraten? Eine Gesellscha­ft, geprägt von Experiment­ierfreude, von Offenheit und Neugier, statt die immer gleichen Verteilung­s- und Verteidigu­ngskämpfe.

Wer bei Twitter angemeldet ist und bei Facebook Werbung schaltet, hat noch lange keine Digitalstr­ategie. Auch der FDP, die einen bemerkensw­erten Wahlkampf im Netz hingelegt hat, fällt im Wahlprogra­mm nicht mehr ein, als Steuerentl­astungen und Industriel­obbyismus. Analoger Wein in digitalen Bremsschlä­uchen.

Im Digitalsek­tor haben wir Deutsche mit Ausnahme von SAP nichts, aber auch rein gar nichts vorzuweise­n. Kein Smartphone, keine Suchmaschi­ne, kein WhatsApp. Wir brauchen keine Autobahn-Maut, sondern schnelles Internet. Deutschlan­d ist beim Glasfasera­usbau OECD-Schlusslic­ht. Sogar Kolumbien und Chile haben ein schnellere­s Datennetz. Wir brauchen keinen Placebo-Streit um das Renteneint­rittsalter oder mehr Hartz IV. Wir brauchen Bildung 4.0, die unsere Kinder befähigt, im Wettlauf mithalten zu können.

Allein mit einem Update bekommen wir die Probleme nicht in den Griff. Spätestens 2021 brauchen wir neue Hardware, in unseren Autos genauso wie im Bundestag. Richard Gutjahr ist Moderator für das Bayerische Fernsehen und Blogger. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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