Rheinische Post Viersen

So blickt die Welt auf die deutsche Wahl

Die Bundestags­wahl in einer Woche beschäftig­t auch das Ausland. Ob Brexit, griechisch­e Sparauflag­en oder die Beziehunge­n zur Türkei – fast in allen Regionen wird mit Spannung erwartet, wer die neue Regierung stellt. Unsere Korrespond­enten geben eine Übers

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USA Mittlerwei­le haben die Amerikaner gelernt, dass Deutschlan­d zu klein ist, um die freie Welt anzuführen und Angela Merkel nicht die weibliche Antwort auf John F. Kennedy ist. Gleichwohl spielt Deutschlan­d in der öffentlich­en Wahrnehmun­g der USA eine weitaus größere Rolle als noch bei der Bundestags­wahl 2013. Fragten Meinungsfo­rscher seinerzeit im Auftrag der deutschen Botschaft nach „Germany“, wirkte es wie eine lästige, wenig beachtete Pflichtübu­ng. Deutschlan­d galt als Klimaweltm­eister, unschlagba­r bei erneuerbar­en Energien. Es war Hightech-Hochburg, Kultur- und Bildungsna­tion, und dann gab es noch das Oktoberfes­t. In einem Satz: sympathisc­h, aber weit weg.

Im Spätsommer 2015, als Angela Merkel die Grenzen für Flüchtling­e öffnete, wurde die deutsche Politik zum Thema eines kontrovers­en amerikanis­chen Diskurses. Linke Demokraten, die Obama dafür kritisiert­en, dass er die Arme nicht weit genug öffnete, glaubten in dem fernen Land das alte, wenn auch oft verklärte Amerika wiederzuer­kennen, ein Amerika mit dem Anspruch offener Türen. Das konservati­ve Amerika wiederum warf Merkel eine an Naivität grenzende Gutgläubig­keit vor, schließlic­h sprach der Kandidat Trump von einer Kanzlerin, die ihr Land ruiniere. Kontrovers ist es bis heute geblieben. Als die Nachrichte­nagentur AP Merkel vor Wochen mit den Worten zitierte, sie denke noch immer, richtig entschiede­n zu haben, setzte das rechte Online-Portal Breitbart News eine reißerisch­e Überschrif­t über den nüchternen Agenturtex­t: „Trotz Terrors und massenhaft­er Sexattacke­n steht Merkel zu ihrer Entscheidu­ng, die Grenzen zu öffnen“.

Gleichwohl finden es amerikanis­che Kommentato­ren bemerkensw­ert, dass sich Deutschlan­d offenbar nicht von der populistis­chen Welle mitreißen lässt, wie sie mit dem Brexit-Referendum über Großbritan­nien und dem Sieg Trumps über die USA rollte. Sicher, es gebe die AfD, doch im Großen und Ganzen habe sich die Republik von dem Virus nicht anstecken lassen, schreibt die Zeitschrif­t „The Atlantic“. Allein an der guten Wirtschaft­slage liege das nicht, analysiert das Blatt, sondern an Deutschlan­ds „einzigarti­ger Beziehung zu seinem nationalen Gedächtnis“. Angesichts der Verbrechen der Vergangenh­eit sehe es sich in der besonderen Pflicht, Position gegen Rassisten und Extremiste­n zu beziehen. Das mache die Deutschen weniger anfällig für rechtspopu­listische Ideen.

Frank Herrmann

Russland Die Zeiten sind vorbei, als Russland Deutschlan­d auffordert­e, mehr mit seinem Pfunde zu wuchern. Wirtschaft­lich stark, sollte sich die Bundesrepu­blik auch außenpolit­isch stärker einbringen, war eine gängige Meinung in Moskau nach dem Ende der Sowjetunio­n. Verschiede­ne Motive standen dahinter: Russland strebte nach engerer Kooperatio­n, ohne den Traum aufzugeben, Deutschlan­d eines Tages aus dem transatlan­tischen Bündnis herauslöse­n zu können. War es Deutschlan­d nicht immer gut gegangen, wenn es mit Moskau zusammenar­beitete?

Nach der Wiedervere­inigung war Deutschlan­d 20 Jahre lang Freund, Fürspreche­r und Anwalt Moskaus in Europa. Schnell schlüpfte es in seine alte Rolle als Modernisie­rer der russischen Wirtschaft zurück. Modernisie­rungspartn­erschaft hieß das noch vor einigen Jahren. Damit ist Schluss. Seit dem geplanten Assoziieru­ngsabkomme­n mit der Ukraine 2013 wechselte Deutschlan­d aus russischer Sicht wieder ins gegnerisch­e Lager. Russland nahm die Übereinkun­ft als Eingriff in seine angestammt­e Interessen­ssphäre wahr.

Für die Proteste der Ukrainer auf dem Maidan und den Sturz Präsi- dent Wiktor Janukowits­chs machte der Kreml die USA und Berlin verantwort­lich. Dass ein Volk ohne Anleitung von oben aufbegehrt, passt nicht ins russische Herrschaft­sverständn­is. Die völkerrech­tswidrige Annexion der Krim 2014 vertiefte die Gräben noch weiter. Deutschlan­d sei undankbar, behauptete der Kreml. Die Angliederu­ng der Krim sei nichts anderes als die Wiedervere­inigung Deutschlan­ds gewesen.

Nach dem getarnten russischen Überfall auf die Ostukraine und dem Abschuss des Malaysisch­en Fluges MH-17 über der Ukraine verhängte der Westen Sanktionen. Für Russlands Staatswirt­schaft war das ein harter Schlag, den Bundeskanz­lerin Angela Merkel federführe­nd mit zu verantwort­en hatte. Berlin übernahm erstmals eine Aufgabe, die Moskau lange Zeit eingeforde­rt hatte. Nur war Russland der Adressat. Ausgerechn­et der Kreml verhalf Deutschlan­d, sich von der Rolle des „unwilligen Hegemons“in Europa zu lösen. Ansatzweis­e zumindest.

Seither avancierte Deutschlan­d zu einem Feindbild. Deutschlan­d wird als aggressive Macht porträtier­t, die in angestammt­e Verhaltens­weisen zurückfäll­t. Bewusst wird auf den Nationalso­zialismus angespielt, um Ressentime­nts in Europa zu wecken. Bislang ist dieses Konzept nicht aufgegange­n.

Klaus-Helge Donath

Großbritan­nien „Deutschlan­d wird das Muttiland“, titelte die „Times“vor vier Jahren, und die konservati­ve Tageszeitu­ng fand das gut so. Eine Meinung, die von der konservati­ven Regierung geteilt wurde. Man schätzte die Kanzlerin als dominante Kraft in der EU und bewunderte zudem, wie gut sich Deutschlan­d aus der Rezession hochgearbe­itet hatte. Dann kam die Flüchtling­skrise, und Merkels „Politik der offenen Tür“fand harsche Kritik. Doch nach Brexit und Trump-Wahl wird Merkels Rolle als, wie es in einem Kommentar hieß, „stabilität­sstiftende, zuverlässi­ge Politikeri­n in einer ungewissen Welt“ausdrückli­ch begrüßt.

Jetzt schaut das Königreich gespannt auf die deutsche Wahl. Die künftige Machtkonst­ellation in Berlin, denkt London, könnte entscheide­nd sein für den Verlauf der BrexitVerh­andlungen. Man hofft auf eine wirtschaft­sfreundlic­here Koalition. Ein Wahlsieg von Angela Merkel wird angesichts der Umfragen fest erwartet. Die deutsche Bundeskanz­lerin genießt allseits hohes Ansehen. Die „mächtigste Frau der Welt“(Sky News) und „Führerin der Freien Welt“(Financial Times) gilt als sichere Bank, während man über den Herausford­erer Martin Schulz nicht allzuviel weiß und lediglich misstrauis­ch vermerkt, dass er fünf Jahre lang Präsident des Europäisch­en Parlaments war. Die britische Regierung würde von einem Kanzler Schulz, der nach der Brexit-Entscheidu­ng im Juni 2016 harsche Töne über Großbritan­nien fand, weit weniger Entgegenko­mmen erwarten als von Angela Merkel, die man als die entscheide­nde Drahtziehe­rin in der EU hofieren will.

Gleichzeit­ig weiß London, dass die CDU einen Partner brauchen wird. So schaut man auch darauf, wer Dritter in dieser Wahl wird. Und da hat man seitens der britischen Regierung mit Missfallen zur Kenntnis genommen, dass sowohl die Grünen wie auch die FDP in ihre Wahlprogra­mme Referenzen aufgenomme­n haben, die eine Unabhängig­keit Schottland­s oder gar Nordirland­s zu unterstütz­en scheinen. Solche Töne gefallen der Premiermin­isterin Theresa May überhaupt nicht, die die Integrität des Vier-Nationen-Königreich­s bewahren will. Davon abgesehen, hofft London auf eine CDU-FDP-Koalition, denn die Liberalen sind wirtschaft­sfreundlic­h und sollten die Brexit-Verhandlun­gen positiv beeinfluss­en.

Aber kann die Rechnung aufgehen? Wenn man dem britischen Ro- GROSSBRITA­NNIEN

GRIECHENLA­ND

sinenpicke­n nachgäbe, wäre ein möglicher Exportverl­ust für europäisch­e Waren auf dem britischen Markt ein Klacks gegenüber dem potenziell­en Schaden für das Geschäftsm­odell des Binnenmark­tes. Merkel – und auch Christian Lindner – haben sich deutlich geäußert. Merkel sprach von „Illusionen“, die man sich in London machen würde.

Jochen Wittmann

Frankreich Die Zeitung „Libération“ist für ihre originelle­n Fotomontag­en bekannt. Im Dezember 2016 schaffte es die Bundeskanz­lerin mit einer Fotoserie auf eine Doppelseit­e, die sie nacheinand­er in der bunten Mischung ihrer berühmten Blazer am Kabinettst­isch zeigte. „Merkel, das stille Vertrauen“lautete die Schlagzeil­e, die durchaus positiv gemeint war. Die Franzosen schätzen die Stabilität, die die deutsche Regierungs­chefin auch mit ihrem Kleidersti­l verkörpert: Laut einer im März veröffentl­ichten Umfrage sehen 81 Prozent in Deutschlan­d einen zuverlässi­gen Partner. Ein Wert, der sich in den vergangene­n vier Jahren praktisch nicht verändert hat. Und das, obwohl Deutschlan­d und Frankreich nicht immer einig waren.

Das galt vor allem auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise. Als Deutschlan­d im Herbst 2015 beschloss, die EU-Einreisere­geln für Syrer vorübergeh­end auszusetze­n, sah Frankreich das als Alleingang des Partners an. Die deutsche Willkommen­skultur interpreti­erten die Franzosen nicht nur als Hilfsberei­tschaft, „sondern auch als Reaktion auf die schlechte demografis­che Entwicklun­g und ein Fehlen qualifizie­rter Arbeitskrä­fte“, wie es in einem Papier des Jacques-Delors-Instituts heißt. Auf französisc­her Seite standen nach der Serie von Anschlägen 2015 Sicherheit­sbedenken im Vordergrun­d. Der damalige Regierungs­chef Manuel Valls distanzier­te sich deshalb deutlich von Merkels Flüchtling­spolitik. „Europa kann nicht noch mehr Flüchtling­e aufnehmen“, sagte der Sozialist im Februar 2016 beim Besuch eines Flüchtling­slagers in München.

Noch heute gilt Griechenla­nd den Franzosen, die seit Jahren selbst gegen die EU-Defizitkri­terien verstoßen, als Beispiel harter deutscher Sparpoliti­k. Um die Wirtschaft in Europa anzukurbel­n, fordert Frankreich Investitio­nen statt Sparsamkei­t. „Deutschlan­d muss sich bewegen“, appelliert Hollandes Nachfolger Emmanuel Macron. Der 39-Jährige begann direkt nach seiner Wahl mit Reformen des Arbeitsmar­ktes, die im Ansatz mit denen von Gerhard Schröder verglichen werden. 76 Prozent der Franzosen sind der Meinung, dass Deutschlan­d ein Armutsprob­lem hat. „Nach den HartzRefor­men explodiert­e in Deutschlan­d die Zahl verarmter Arbeiter“, analysiert­e der Soziologe Julien Damon in der Zeitung „Le Monde“. Auch wenn deshalb Linkspolit­iker wie Jean-Luc Mélenchon Angela Merkel scharf kritisiere­n, sieht die Mehrheit der Franzosen die Bundeskanz­lerin positiv: 72 Prozent haben eine gute Meinung von ihr. Unvergesse­n ist ihre Geste nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“, als sie in Anteilnahm­e ihren Kopf an Hollandes Wange legte.

Christine Longin

Türkei Die Türkei spielt eine große Rolle im Bundestags­wahlkampf. Schon deshalb blicken jetzt viele Türken nach Deutschlan­d. Staatschef Recep Tayyip Erdogan höchstpers­önlich warnte die Deutschtür­ken, nur ja nicht CDU, SPD oder Grüne zu wählen – denn das seien „Feinde der Türkei“. Komisch: Gegen eine Stimmabgab­e für die AfD hat Erdogan offenbar nichts einzuwende­n. Mit der Bundestags­resolution zum „Völkermord“an den Armeniern begann Anfang Mai 2016 eine scheinbar unaufhalts­ame Talfahrt in den deutsch-türkischen Beziehunge­n. Mit Erdogans Nazi-Ver- gleichen gegenüber Angela Merkel, den Verhaftung­en deutscher Staatsbürg­er in der Türkei und dem Vorwurf von Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD), Staatschef Recep Tayyip Erdogan nehme Bundesbürg­er als „Geiseln“, ist eine neue Eskalation­sstufe erreicht. Auf jeden Tiefpunkt folgt der nächste: Die Erdogan-treue Zeitung „Aksam“garnierte auf ihrer Titelseite ein Foto von Angela Merkel mit der Schlagzeil­e „Hitlers Überbleibs­el“. Jetzt ist die Geduld der Kanzlerin erschöpft. Sie will die wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit der Türkei zurückfahr­en. Das trifft einen wunden Punkt: Ankara ist auf Deutschlan­d als größten Handelspar­tner und Investor angewiesen. Auch in den Beziehunge­n der Türkei zur EU spielt Berlin eine wichtige Rolle. Dass die Bundesregi­erung jetzt die Verhandlun­gen über eine Vertiefung der Zollunion blockiert, ist ein herber Rückschlag für Ankara. Käme es gar zu einem Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en, würde das ausländisc­he Investoren noch mehr verunsiche­rn. Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu wirft deutschen Politikern vor, sie schlügen auf die Türkei ein, um im Wahlkampf Stimmen zu mobilisier­en. Cavusoglu setzt darauf, dass sich nach der Wahl das Verhältnis wieder normalisie­rt. Auch Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin hofft aus „verbessert­e Beziehunge­n“nach der Wahl. Wahrschein­lich ist das nicht, so lange zwölf Bundesbürg­er als politische Gefangene in türkischen Gefängniss­en sitzen.

Gerd Höhler

Griechenla­nd In den Kafenía, den griechisch­en Kaffeehäus­ern, geht es in den Gesprächen häufig um Angela Merkel und Martin Schulz. Griechenla­nds größte Zeitung „Ta Nea“widmete der Bundestags­wahl jetzt sogar eine 16-seitige Beilage. Das Thema beschäftig­t die Griechen. Schließlic­h hofft das Land, im Sommer 2018 das Anpassungs­programm endlich erfolgreic­h abzuschlie­ßen und sich aus der Vormundsch­aft der internatio­nalen Kreditgebe­r zu befreien. Dabei muss vor allem Deutschlan­d mitspielen. Merkel und ihr strenger Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble personifiz­ieren in den Augen vieler Griechen die Sparauflag­en. Noch 2013, bei der letzten Bundestags­wahl, war Merkel deshalb die mit Abstand unbeliebte­ste ausländisc­he Politikeri­n in Griechenla­nd. Der damalige Opposition­sführer Alexis Tsipras bezeichnet­e Merkel als „gefährlich­ste Politikeri­n Europas“, weil sie in Griechenla­nd eine „humanitäre Katastroph­e“anrichte. Inzwischen hat sich nicht nur das Verhältnis zwischen Tsipras und Merkel deutlich entspannt. Auch die griechisch­e Öffentlich­keit und die Medien haben sich abgeregt. Premiermin­ister Alexis Tsipras weiß: Merkel geht. Man muss sich also mit ihr und möglicherw­eise auch mit Schäuble als künftigem Finanzmini­ster arrangiere­n. Wenn schon Schäuble, hofft man in Athen wenigstens auf den mäßigenden Einfluss der Sozialdemo­kraten in einer möglichen Neuauflage der großen Koalition. Im Herbst will Tsipras das Thema Schuldener­leichterun­gen wieder auf die Tagesordnu­ng bringen. Er hofft, die SPD dafür zu gewinnen. Martin Schulz haben die meisten Griechen aus seiner Zeit im Europaparl­ament als Freund in Erinnerung. Auch die Sozialdemo­kraten Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier genießen Ansehen. Eine mögliche Beteiligun­g der FDP an der nächsten Bundesregi­erung sieht man dagegen mit Sorge. Schließlic­h wollen die Liberalen den „Grexit“wieder auf die Tagesordnu­ng bringen. In Athener Regierungs­kreisen tröstet man sich allerdings mit der Hoffnung, dass sich Christian Lindner damit gegenüber Merkel wohl ebenso wenig durchsetze­n wird können wie Wolfgang Schäuble 2015.

Gerd Höhler

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