Rheinische Post Viersen

Uraufführu­ng von Fatma Aydemirs „Ellbogen“

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Prekäre Milieus auf die Bühne zu bringen, ist heikel. Sobald die Schauspiel­er verkleidet und ihr Gehabe unwahr wirken, werden die Figuren vorgeführt, ausgestell­t, verraten. Und so fürchtet man sich anfangs ein wenig, als vier Darsteller­innen im Central des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses auf eine Wand aus wuchtigen Lautsprech­erboxen klettern und diese billigen TrashKlamo­tten tragen und reden wie aufsässige, deutschtür­kische Mädchen in der Berliner U-Bahn. Da sieht und hört man nur Klischees.

Doch bald beginnt ein klug verteiltes Rollenspie­l. Plötzlich ist eine der jungen Frauen ein schmierige­r Kaufhausde­tektiv, der die Hauptfigur Hazal beim Klauen erwischt, eine andere steckt sich die Hand in den Hosenbund und gibt Hazals Macho-Bruder, die andere lässt die Schultern sacken und ist der Loser aus der Nachbarsch­aft, bei dem sich die Clique zum Kiffen trifft. So verteilt Regisseur Jan Gehler die Figuren des Romans „Ellbogen“der Berliner Journalist­in Fatma Aydemir raffiniert auf die Darsteller­innen, mache Jesus Christus „lächerlich“, zitieren brasiliani­sche Zeitungen aus der Urteilsbeg­ründung. Bereits in Europa hatte das Stück wiederholt Proteste ausgelöst, wurde aber auch wegen seiner Toleranz-Botschaft gelobt. strebt eben nicht nach zweifelhaf­tem Realismus, sondern lässt ein Gespinst aus Stimmen, Posen, Lebensgesc­hichten entstehen; und der Zuschauer gräbt sich immer tiefer in ein soziales Feld, das von einem Gefühl beherrscht ist: Frust.

Hazal und ihre Freundinne­n sind in Deutschlan­d geboren, ihre Eltern stammen aus der Türkei; die jungen Frauen wehren sich gegen die Enge daheim und sind dem Dadraußen nicht gewachsen. Denn für den Kampf in der Konkurrenz­gesellscha­ft um Abschlüsse und Jobs sind sie schlecht gerüstet. Sie wissen das, sie sind nicht doof, aber ohnmächtig. Doch sie nennen die anderen „Opfer“und halten zusammen: wenigstens bei den Freundinne­n gibt es Anerkennun­g. Als sie dann aber nicht in einen angesagten Club gelassen werden, entlädt sich die angestaute Aggression – und irgendein Typ muss dran glauben.

Gehler inszeniert das mit präzisen, reduzierte­n Mitteln, wenn die Mädchen etwa in die Disco ziehen, genügt für den Ortswechse­l ein wenig Licht. Allerdings liegt die ganze Last, den Romantext lebendig zu machen, bei den Schauspiel­erinnen.

Die ergreifen die Chance, führen das Gepose der Mädchen erst vor, schlüpfen aber mehr und mehr in ihre Figuren, wecken Anteil. Vor allem Cennet Rüya Voß verwandelt die zweite Hälfte des Abends in ein ergreifend­es Solo, weil sie so ruppig, kindisch sein kann und zugleich so verletzlic­h – und unendlich einsam.

Mit „Ellbogen“öffnet das Schauspiel­haus die Tür in eine soziale Wirklichke­it, die oft analysiert wird, aber selten erlebt. Die Vorlage bedient zwar manches Klischee, gibt aber unsentimen­tale Einblicke in eine Lebenswelt, die längst Teil von Deutschlan­d geworden ist.

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FOTO: JANSCH Cennet Rüya Voß als „Hazal“in der Uraufführu­ng von „Ellbogen“.

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