Rheinische Post Viersen

Ersthelfer krankenhau­sreif geprügelt

Ein Passant wollte in Düsseldorf einer verunglück­ten Fußgängeri­n helfen – und wurde von ihrem Lebensgefä­hrten zusammenge­schlagen. Experten fürchten, dass Zivilcoura­ge durch solche Fälle noch seltener wird.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

DÜSSELDORF Der 27-Jährige wartete in der Nacht zu gestern offenbar am Fenster auf seine vier Jahre jüngere Freundin. Als die um 1.38 Uhr die Erkrather Straße im Düsseldorf­er Stadtteil Flingern überquert, achtet sie laut Polizeiber­icht offenbar nicht auf den Autoverkeh­r. Die Fahrerin eines VW Polo kann trotz Vollbremsu­ng nicht verhindern, dass ihr Wagen die 24-Jährige erfasst. Diese wird gegen die Windschutz­scheibe geschleude­rt und bleibt verletzt auf der Fahrbahn liegen.

Während der Freund aus seiner Wohnung nach unten rennt, bittet die unter Schock stehende Autofahrer­in einen Passanten um Hilfe. Der 29-Jährige führt seinen Golden Retriever aus, lässt den Hund am Gehweg zurück und versucht, der verletzten Frau zu helfen. Als er sich über sie beugt, kommt der Freund der Frau hinzu, reißt ihn hoch und schlägt ihm mit der Faust ins Gesicht. Mehrere wuchtige Hiebe lassen den Mann bewusstlos zu Boden gehen. Er wird seitdem in einer Klinik künstlich beatmet. Sein Zustand sei nicht lebensgefä­hrlich, aber ernst, hieß es gestern.

Die junge Frau erlitt bei dem Unfall schwere, aber nicht lebensbedr­ohliche Verletzung­en. Auch sie muss, wie der Mann, der ihr helfen wollte, in einem Krankenhau­s behandelt werden. Ihr geht es inzwischen besser. Die Autofahrer­in steht noch immer unter Schock.

Es ist der zweite bekanntgew­ordene Fall in der Landeshaup­tstadt, bei dem Unbeteilig­te nach einem Verkehrsun­fall von Angehörige­n der Opfer verletzt wurden. Im Mai hatten mehrere Männer einer Frau mit Faustschlä­gen eine Augenhöhle gebrochen. Sie gehörten zur Großfamili­e eines Kindes, das auf einer Wohnstraße vor ein Auto gelaufen war. Die Angehörige­n hatten zunächst die Autofahrer­in be- schimpft. Als die Augenzeugi­n die Frau in Schutz nahm, hatten die Männer zugeschlag­en.

Eine „Ausnahmesi­tuation“billigt Verkehrsps­ychologin Maria Limbourg den Schlägern in beiden Fällen zu. „Wenn man einen geliebten Menschen auf der Straße liegen sieht, ist man nicht mehr Herr seiner Sinne.“Dazu komme, dass die Strafen für Verkehrsde­likte oft als zu niedrig empfunden würden, was das Bedürfnis nach verbotener Selbstjust­iz begünstige. „Selbstjust­iz ist in bestimmten Kulturkrei­sen nicht unüblich“, sagt die Essener Professori­n mit Blick auf die Großfamili­e, die aus Südosteuro­pa stammt. Bei dem 27-jährigen Deutschen habe wohl auch der Alkohol eine Rolle gespielt.

Der hatte der Polizei gegenüber seinen Gewaltausb­ruch tatsächlic­h damit begründet, den Ersthelfer für den vermeintli­ch schuldigen Autofahrer gehalten zu haben. Auf seinen Alkoholkon­sum angesproch­en, hatte er zudem erklärt: „Das hätte ich nüchtern genauso gemacht.“

„Es ist nicht neu, dass die Gewaltbere­itschaft in unserer Gesellscha­ft gestiegen ist“, sagt Limbourg. Fernsehen und Internet trügen dazu bei, dass Gewalt immer mehr als adäquates Mittel zur Konfliktbe­wältigung gelte. „Diese Tendenz spiegelt sich auch im Straßenver­kehr.“Der Düsseldorf­er Notfallsee­lsorger Olaf Schaper stimmt der Professori­n in diesem Punkt zu. Auch er hat den Eindruck, dass für viele Autofahrer der Straßenver­kehr als Blitzablei­ter für Alltagsärg­ernisse diene. „Oft ist es reines Glück, dass da nichts passiert.“Schaper warnt aber auch davor, extreme Reaktionen mit Schockzust­änden zu entschuldi­gen. „Ein Schock ist kein Freifahrts­chein für Gewalt“, sagt der Pfarrer, der schon bei vielen Unfällen Betroffene und Angehörige betreut hat. „Die sind oft außer sich, und auch nicht immer nett“, sagt Schaper. „Das ist auch nachvollzi­ehbar. Gewaltausb­rüche sind es nicht.“

Der 27-jährige Düsseldorf­er ist der Polizei nicht unbekannt. Schon einmal soll er wegen Tätlichkei­ten aufgefalle­n sein, ein Strafverfa­hren gab es jedoch nicht. Das dürfte sich nun ändern. Die Polizei ermittelt wegen gefährlich­er Körperverl­etzung gegen ihn.

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FOTO: PATRICK SCHÜLLER Unfallaufn­ahme in der Nacht zu gestern: Die Unfallstel­le in Düsseldorf war zugleich Tatort eines gefährlich­en Angriffs auf einen Unbeteilig­ten.

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