Rheinische Post Viersen

Sehnsucht nach Jamaika und nach Robert

Schleswig-Holsteins Umweltmini­ster Habeck ist ein heißer Kandidat für den Grünen-Parteivors­itz. In Kiel regiert er mit Union und FDP.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Er will nicht viel Aufhebens machen um seine Person. Jedenfalls jetzt nicht, auf dem Höhepunkt des Bundestags­wahlkampfs. Vor allem möchte Robert Habeck der Katrin und dem Cem, den beiden Spitzenkan­didaten der Grünen, nicht die Show stehlen. Doch die Parteitags­regie auf dem Länderrat der Grünen vergangene­n Sonntag hat vorgesehen, dass auch Ländermini­ster etwas für die gute Stimmung in Berlin tun. So steht er dann doch auf der Bühne, drängt sich aber an den Rand, fasst sich kurz, zerzaust und mit ausgebeult­er Hose. „Wir können so viel mehr machen“, bricht es aus ihm heraus. Die Grünen stünden für Zukunftsth­emen, „denn gestern war schon!“Der Saal ist elektrisie­rt.

Habeck, als Energiewen­deminister eine der zentralen Figuren in Schleswig-Holsteins junger Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen, trifft einfach oft den richtigen Ton. Fast hätten sie ihn und nicht den bewährten, parteiinte­rn aber umstritten­en Cem Özdemir zum Spitzenkan­didaten gekürt. Habeck unterlag bei der Urwahl Anfang des Jahres nur mit 75 Stimmen. Geht es nicht gut aus für die Grünen am Sonntag, werden wieder viele sagen, mit Habeck wäre es besser gelaufen als mit Özdemir. Doch ganz gleich, wie sie abschneide­n, Habeck dürfte ohnehin der kommende Mann sein. Denn Özdemir will als Parteichef nicht nochmals antreten. Auch er sieht den 48-Jährigen als Idealbeset­zung. Verfehlen die Grünen ihre Wahlziele, käme der Wachwechse­l wohl nur schneller.

Für Habeck wollen sie sogar ihre Satzung ändern. Die Partei-Statuten erlauben es nämlich bisher nicht, dass ein Mitglied einer Landesregi­erung auch Mitglied im Bundesvors­tand ist. Der Kreisverba­nd Landau hat für den Grünen-Parteitag am 20. und 21. Oktober schon einen Antrag für die Satzungsän­derung vorgelegt. Stimmte der Parteitag dafür, wäre das eine „Lex Habeck“. Dann könnte Habeck sein Amt in Kiel noch für einige Zeit behalten und gleichzeit­ig den Chefposten in Berlin übernehmen. Für die Satzungsän­derung bräuchte es eine Zweidritte­lmehrheit. Viele im linken Parteispek­trum sträuben sich dagegen. Würde die Änderung scheitern, könnte Habeck dennoch nach Berlin wechseln. Er müsste Kiel dann nur schneller verlassen.

Personalde­batten sind allerdings nicht das, was die Grünen jetzt gebrauchen können, nicht unmittelba­r vor und vor allem auch nicht in den Wochen nach der Wahl. Glaubt man den Umfragen, landen die Grünen wohl nicht auf dem begehrten dritten Platz. Als ihre Wahlziele hatten Özdemir und Co-Spitzenkan­didatin Göring-Eckardt ausgegeben, zweistelli­g zu werden und in die nächste Bundesregi­erung zu kommen. Landen sie nur bei sieben, acht Prozent, wäre das für sich genommen wohl noch kein Debakel. Nur wenn dann auch noch die Regierungs­beteiligun­g scheitert, bliebe kein Stein mehr auf dem anderen in der Bundespart­ei.

Jamaika scheint vielen Vertretern vor allem des Realo-Flügels angesichts eines möglicherw­eise enttäusche­nden Wahlergebn­isses eine Art Rettungsan­ker zu sein. Nach dem Motto: Wenn schon nur Platz sechs, dann wenigstens die Regierungs­beteiligun­g. Die Grünen hätten 2017 eine viel größere Verantwort­ung als 2013, in die Regierung zu gehen, heißt es unisono. Sie müssten helfen, eine weitere große Koalition zu verhindern, die das Land nur lähme. Außerdem sei abzusehen, dass die SPD nicht noch ein Bündnis mit der Union eingehen würde. Also müssten die Grünen in die Bresche springen. Zudem sei jetzt die Chance da, Union und FDP den Kohleausst­ieg, die Mobilitäts­wende und mehr Hilfen für Familien abzuringen.

Vor allem im konservati­ven Südwesten drängen die Grünen regelrecht auf Jamaika. Die Partei habe derzeit „Zulauf wie noch nie“, auch wegen der Machtoptio­n Jamaika, heißt es dort. Die Grünen als Korrektiv von Union und FDP. Man verstehe die Umfrageerg­ebnisse nicht.

Auf dem linken Flügel um Fraktionsc­hef Anton Hofreiter sieht man das etwas anders. Hier erkennen sie beim besten Willen keine Möglichkei­t, wie die Grünen mit der flücht- lingsfeind­lichen CSU und der neoliberal­en FDP einen Koalitions­vertrag schließen könnten, der von einem Parteitag und per Mitglieder­entscheid abgesegnet werden müsste. Es sei ein Fehler von Özdemir, sich der Union so anzubieder­n, statt sich stärker von ihr abzugrenze­n. Im TV-Duett mit Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) habe Özdemir die Chance verpasst, die grüne Kritik an Schäubles Euro-Rettungspo­litik oder an dessen jahre- langer Duldung von krummen Steuerbetr­ügereien vorzubring­en. Es gibt sogar das Gerücht, eine Gruppe Parteilink­er um den früheren Umweltmini­ster Jürgen Trittin bereite einen internen Putsch vor, sollte die Wahl katastroph­al ausgehen.

So etwas würde die Krise der Partei aber nur vertiefen. Einer wie Habeck, der als strömungsu­nabhängig gilt und beide Flügel vereinen könnte, wäre dann umso mehr gefragt. Und er übt ja auch schon Jamaika.

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FOTO: DPA Nicht ohne mein Team: Die führenden Grünen Robert Habeck, Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter und Cem Özdemir machen ein Selfie (v.l.).

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