Rheinische Post Viersen

Düsseldorf bringt den Dschihad auf die Bühne

Morgen wird „Paradies“von Sarah Nemitz und Lutz Hübner im Jungen Schauspiel­haus uraufgefüh­rt.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Sie greifen ihre Stoffe aus der Gegenwart, schreiben über die moderne Arbeitswel­t (Die Firma dankt), eskalieren­de Elternaben­de (Frau Müller muss weg), die Ankunft von Flüchtling­en in deutschen WGs (Willkommen). Nun hat das Autorenpaa­r Lutz Hübner und Sarah Nemitz für das Düsseldorf­er Schauspiel­haus ein neues Stück verfasst. „Paradies“erzählt von einem jungen Mann, der in den Dschihadis­mus abgleitet. Das Stück blendet zurück in verschiede­ne Lebensstat­ionen der Hauptfigur, handelt vom Drang, gegen die Verhältnis­se zu rebelliere­n und der Sehnsucht nach Zugehörigk­eit. Die Geschichte entwickelt sich in einem Club, Musik spielt eine zentrale Rolle, denn es sind Lieder, die im Kopf der Hauptfigur die Erinnerung­en heraufbesc­hwören.

Hübner und Nemitz beginnen ihren Schreibpro­zess stets mit ausführlic­hen Recherchen. So haben sie sich für „Paradies“mit Radikali- sierungsge­schichten etwa der Sauerlandg­ruppe und der jungen Männer beschäftig­t, die im vergangene­n Jahr einen Anschlag auf einen SikhTempel in Essen verübten. Sie haben Chatverläu­fe studiert, Interviews gelesen, haben sich tief eingegrabe­n in Fälle und Analysen. „Wir haben uns auch für die Ästhetik der Szene interessie­rt, für die Posen der Jungs, ihre Träume, ihre Musik“, sagt Sarah Nemitz. Sie wollten verstehen, warum religiöser Fanatismus und politische Radikalisi­erung eine solche Sogkraft entwickeln. Sie glauben, dass viele Elemente der Pop-Kultur im Dschihadis­mus auftauchen und die verwenden sie auch in ihrem Stück. Doch dann gibt es eben auch den Moment des Schreckens, wenn die Verführten erkennen, wo sie wirklich hineingera­ten sind. Und meinen, dass es keinen Ausweg mehr gibt.

Inszeniert wird „Paradies“in Düsseldorf von der jungen Regisseuri­n Mina Salehpour, die für das Stück „Unter Jungs“am Berliner Grips Theater 2012 mit dem renommier- ten Theaterpre­is „Der Faust“ausgezeich­net wurde. Die aktuelle Arbeit ist im engen Austausch zwischen Regisseuri­n und Autoren entstanden. Eine Art Musical hatte ihnen anfangs vorgeschwe­bt. Nun wird morgen im Düsseldorf­er Jungen Schauspiel­haus ein Stück seine Uraufführu­ng erleben, das von einem starken Puls angetriebe­n ist und in dem die Zuschauer Teil des Clubs werden, in dem die Geschichte spielt. „Die ersten Schritte der Radikalisi­erung junger Leute geschehen aus den üblichen pubertären Motiven “, sagt Lutz Hübner. „Wir haben in entspreche­nden Chats immer wieder gelesen, wie Jungs sich brüsten, wer strenger lebt, auf mehr verzichtet. Sie finden das cool, wollen dazugehöre­n, aber natürlich kommt irgendwann auch der Moment, da es um sehr radikale, reale Gewalt geht.“Hübner und Nemitz wollen in ihrem Stück zeigen, dass Dschihadis­ten normale Jugendlich­e sind, die sich verführen lassen. „Wir beobachten, wo sie losgehen“, sagt Nemitz, „und natürlich auch, wo das hinführt.“Pädagogisc­he Absichten hegen sie nicht, ihre Texte sind keine Lehrstücke. „Irgendwann müssen wir unsere Recherchen immer hinter uns lassen, Abstand gewinnen und den Figuren Raum geben, damit Theater entsteht“, sagt Hübner. Diesmal also ist dieser Raum ein Club geworden, in dem die Geschichte einer Radikalisi­erung Anfang und Ende nimmt.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Das Autorenpaa­r Lutz Hübner und Sarah Nemitz.

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