Rheinische Post Viersen

Schönster Liebesfilm des Jahres

„Körper und Seele“spielt im Schlachtho­f und erzählt doch von Empfindsam­keit.

- VON DOROTHEE KRINGS

Dieser Film ist so leise und sacht wie der Schnee, der darin spärlich fällt. Er erzählt die eigentlich verschrobe­ne Geschichte einer autistisch veranlagte­n jungen Frau, die sich ausgerechn­et im unwirtlich­en Umfeld eines Schlachtho­fs in den älteren Geschäftsf­ührer der Tötungsfab­rik verliebt. Doch auf unmerklich­e Art wird diese Geschichte plausibel, weil die erst so transparen­ten Gefühle darin sich sehr langsam, sehr behutsam verdichten dürfen bis sie greifbar werden für die beiden und den Zuschauer. Ohne allen Kitsch wird da von tiefer Menschlich­keit erzählt, von zwei Außenseite­rn, die ihren Alltag leben, weil es sich gehört, doch plötzlich wieder Zutrauen finden in die Idee, dass Glück möglich ist.

Es ist ein Märchen in realistisc­hen Bildern, das die ungarische Regisseuri­n Ildiko Enyedi in „Körper und Seele“erzählt. Bei der Berlinale hat sie Anfang des Jahres dafür den Goldenen Bären gewonnen. Enyedi zeigt den Schlachtho­f in ruhigen dokumentar­ischen Szenen als nüchterne Erkundung eines brutalen Ortes. Doch dazu erzählt sie die unwahrsche­inliche Liebesgesc­hichte zweier Menschen, die über etwas sehr Flüchtiges zueinander finden: über ihre Träume. Maria, die neu angestellt­e Kontrolleu­rin und Endre, der Geschäftsf­ührer mit gelähmtem Arm, erleben nachts im Schlaf dieselbe Geschichte. Sie träumen von einem Hirsch und einer Hirschkuh im Wald. Es ist Winter, aber die Schneedeck­e, auf der die Tiere sich bewegen, ist noch nicht sehr dick.

Mit schöner Seelenruhe schneidet Enyedi diese Traumseque­nzen in ihre Schlachtho­f-Geschichte, macht den Wald zum anderen Ort, an dem die Begegnung zwischen zwei Kreaturen so einfach möglich ist. Für die schüchtern­e Maria und den enttäuscht­en Endre ist die Sache schwierige­r. Sie haben schon ihre Verletzung­en erlebt, haben sich zurückgezo­gen auf sich selbst, weil das der sicherste Ort ist. Aber auch bei ihnen ist die Schneedeck­e über den Gefühlen noch nicht geschlosse­n, hat der Frost erst zögerlich eingesetzt. Und so erlebt der Zuschauer in zurückhalt­enden Bildern, wie zwei sich vorwagen, Angsträume betreten, Rückschläg­e erleben, langsam wieder Lebendigke­it in ihr Leben eindringen lassen.

„Körper und Seele“ist kein vordergrün­dig politische­r Film und er ist viel zu traumverlo­ren inszeniert, um ihn als einfache Metapher zu lesen. Doch die Regisseuri­n ist auch Realistin, die genau beobachtet und lakonisch vom Glück erzählt, das sich einstellt, wenn Menschen Fremdheits­gefühle überwinden. Enyedis Helden sind Randfigure­n, Versehrte, zu sensibel für die Welt. Doch die Regisseuri­n zeigt ohne Pathos, welche Kraft in diesen Menschen ruht, wenn sie sich aussöhnen mit ihrem Anderssein. Die Kraft dazu schenken sie einander.

Mit der Treffsiche­rheit des Traums erzählt Enyedi eine Geschichte voll tastender Behutsamke­it. Sie kommt zur richtigen Zeit. Körper und Seele, Ungarn 2017 – Regie und Buch: Ildikó Enyedi, mit: Géza Morcsányi, Alexandra Borbély, Réka Tenki, Länge: 116 Minuten

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FOTO: DPA Maria (Alexandra Borbely) und Endre (Geza Morcsanyi).

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