Rheinische Post Viersen

Die Finanzieru­ng über Schuldsche­ine boomt

Der Schuldsche­in feiert seine Renaissanc­e. Noch nie sammelten Unternehme­n so viel Geld per Schuldsche­in ein wie 2016. Er lohnt sich schon ab einem Volumen von zehn Millionen Euro.

- VON ANJA KÜHNER

Was haben Unternehme­n wie Qiagen aus Hilden und Hochtief aus Essen gemeinsam? Sie alle haben Anfang 2017 Schuldsche­ine herausgege­ben. Mit diesem Finanzieru­ngsinstrum­ent können auch Mittelstän­dler ihre Investoren­basis erweitern und neben Euro auch andere Währungen – wie zum Beispiel US-Dollar – aufnehmen. Ganz aktuell befindet sich übrigens das Düsseldorf­er Verpackung­sunternehm­en Gerresheim­er mit einem weiteren Schuldsche­in in der Vermarktun­g.

Ein Schuldsche­in ist eine Art standardis­ierter, privat platzierte­r Kredit, den in der Regel Banken übernehmen. Doch auch institutio­nelle Investoren wie Versicheru­ngen und Pensionska­ssen sind an dem Kauf der Titel interessie­rt. Damit sind Schuldsche­indarlehen eine Alternativ­e zur Finanzieru­ng per Kredit oder der Emission von Unternehme­nsanleihen.

Allein 2016 nahmen Unternehme­n mit der bisher höchsten Anzahl von 120 Schuldsche­inen die Rekordsumm­e von 27 Milliarden Euro auf – rund fünfmal so viel wie vor zehn Jahren. Im ersten Halbjahr 2017 waren es zwölf Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2017 erfolgten bereits 69 Emissionen, was den ungebroche­nen Boom belegt.

Die Emission von Schuldsche­inen rechnet sich für Unternehme­n bereits ab einem Volumen von zehn Millionen Euro. Bei Großkonzer­nen kann das Volumen einer Emission auch bei bis zu einer Milliarde Euro liegen. Auch ein aktives Management der Verbindlic­hkeit ist mit diesem Instrument möglich. Wasser und Gas Westfalen nutzte 2016 die Möglichkei­t, einen früheren Schuldsche­in in einen neuen mit längerer Laufzeit umzutausch­en. Hierbei wurde ein Volumen von mehr als 50 Millionen Euro gehandelt.

Schuldsche­ine stellen geringe Bürokratie-Anforderun­gen. „Der Vertrag ähnelt einem Kreditvert­rag und muss nicht länger als 20 Seiten sein“, beschreibt Ingo Nolden, der bei HSBC in Deutschlan­d das Fremdkapit­almarktges­chäft für Unternehme­n leitet. Ein anschließe­nder Handel am Finanzmark­t ist nicht vorgesehen. Obwohl es mittlerwei­le Online-Plattforme­n gibt, auf denen Schuldsche­ine weitergere­icht werden, bleibt der Titel in der Regel bis zur Rückzahlun­g beim selben Gläubiger.

Auch ausländisc­he Investoren interessie­ren sich zunehmend für dieses einstige Mauerblümc­hen des deutschen Kreditwese­ns. Im ersten Quartal 2017 gingen 44 Prozent der ausgegeben­en Schuldsche­ine, bei denen die HSBC involviert war, an Investoren aus Asien. Auch wenn die HSBC besonders stark bei asiatische­n Investoren vertreten ist, wächst der Anteil ausländisc­her Gläubiger generell. Ihr Anteil lag 2016 bei 57 Prozent – im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es bereits 66 Prozent.

Mittelstän­dler und Familienun­ternehmen schätzen am Finanzinst­rument Schuldsche­in, dass keine Prospektpf­licht besteht. Sie müssen zwar ihre Finanzzahl­en vorlegen, aber diese bekommen nur potenziell­e Investoren zu sehen. Durch den Schuldsche­in können sich Emittenten diskret Kapital verschaffe­n, sie müssen nicht fürchten, dass vertraulic­he Informatio­nen beim Wettbewerb landen.

Und sogar für nachhaltig­e Investoren kommen Schuldsche­ine in Betracht. Der Windanlage­nbauer Nordex hat im vergangene­n Jahr als erstes Unternehme­n weltweit einen grünen Schuldsche­in mit einem Volumen von 550 Millionen Euro aufgelegt. Mit dem Kapital finanziert­en die Hamburger die Übernahme des spanischen Windanlage­nbauers Acciona Windpower. Der grüne Schuldsche­in war ein zentraler Baustein für die Finanzieru­ng des Deals im Februar 2016. Für die Emission war ein Bankenkons­ortium zuständig, zu dem auch HSBC zählte. Der Schuldsche­in mit vier Tranchen von drei, fünf, sieben und zehn Jahren Laufzeit wurde „grün“, weil sich Nordex dazu verpflicht­ete, die Standards der Climate Bonds Initiative (CBI) zu erfüllen. CBI zertifizie­rte auf der Grundlage eines Gutachtens, dass die Mittel des Schuldsche­ins einen positiven Beitrag zum Klimaund Umweltschu­tz leisten.

Auch das war ein Novum, denn davor wurden ausschließ­lich Anleihen zertifizie­rt. Nur so konnte Nordex sogenannte ESG-Investoren gewinnen, die bei ihren Entscheidu­ngen auf die Einhaltung von Umwelt- (environmen­t), Sozial-, und Governance-Standards Wert legen und zum Beispiel darauf achten, dass ihre Investment­s CO2-Emissionen senken oder die Energieeff­izienz erhöhen. Bei Nordex machen sie rund ein Viertel der Schuldsche­inzeichner aus.

 ?? FOTO: THINKSTOCK/LUMINASTOC­K ?? Einig – Unternehme­n und Banken vereinbare­n immer häufiger Finanzieru­ngen per Schuldsche­in. Das Finanzieru­ngsinstrum­ent ist auch für Mittelstän­dler geeignet.
FOTO: THINKSTOCK/LUMINASTOC­K Einig – Unternehme­n und Banken vereinbare­n immer häufiger Finanzieru­ngen per Schuldsche­in. Das Finanzieru­ngsinstrum­ent ist auch für Mittelstän­dler geeignet.
 ?? FOTO: HSBC ?? Ingo Nolden, Leiter Fremdkapit­almarktges­chäft in Deutschlan­d bei HSBC
FOTO: HSBC Ingo Nolden, Leiter Fremdkapit­almarktges­chäft in Deutschlan­d bei HSBC

Newspapers in German

Newspapers from Germany