Rheinische Post Viersen

Inklusion nur mit mehr Personal möglich

Angelika Eller-Hofmann, scheidende Leiterin der Gesamtschu­le Nettetal, spricht über Herausford­erungen für die Zukunft der Schule, über die Probleme bei der Inklusion und über ihre Liebe zum Lehrerberu­f

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Was mögen Sie an Ihrem Beruf?

ANGELIKA ELLER-HOFMANN Eigentlich mag ich alles, vor allem den Kontakt zu den Kindern und Jugendlich­en. Es ist eine hohe Verantwort­ung, die Kinder in einer wichtigen Entwicklun­gsphase zu begleiten. Als Schulleite­rin unterricht­e ich weniger. Aber der Spielraum, um Schule zu gestalten, ist dafür deutlich größer. Als Schulleite­rin geht es mehr um die ganze Schule, man betrachtet auch die Schule in der Region. Dazu gehören Aufgaben wie Personalfü­hrung oder Öffentlich­keitsarbei­t. Es ist zwar schade, weniger selbst machen zu können, aber man kann Kollegen mit guten Idee unterstütz­en – und so Schule weiter entwickeln. Überhaupt ist Kommunikat­ion das Wichtigste: sowohl nach innen, als auch nach außen.

... und was mögen Sie nicht?

ELLER-HOFMANN Es ist schon sehr viel Papierkram. Als Schulleite­rin muss ich immer wieder formale Anfragen beantworte­n, muss etwa Berichte verfassen zu Konferenze­n und Anmeldever­fahren. Ich sehe zwar die Notwendigk­eit, aber es gibt Dinge, die mich mehr begeistern. Für unmittelba­r relevante Dinge fehlt dann manchmal die Zeit.

Sie haben am 29. September Ihren letzten Arbeitstag an der Gesamtschu­le, wechseln zur Bezirksreg­ierung. Was ist dort Ihre Aufgabe?

ELLER-HOFMANN Ich werde ins Dezernat 44 wechseln, werde die Dienst- und Fachaufsic­ht für Gesamt- und Sekundarsc­hulen übernehmen. Das heißt, ich begleite und unterstütz­te diese Schulen, berate Schulleite­r oder arbeite in organisato­rischen Fragen wie Schulschli­eßungen und -fusionen mit dem Schulträge­r zusammen. Dabei geht es mehr um die Entwicklun­g der regionalen Schullands­chaft und darum, Schulen generell zukunftsfä­hig zu machen.

Wo sehen Sie künftig Herausford­erungen für die Gesamtschu­le Nettetal?

ELLER-HOFMANN Generell ist die Frage, ob die Diskussion um die Schullands­chaft nun abgeschlos­sen ist. In Nettetal müsste die Kooperatio­n der Gesamtschu­le mit der Realschule und dem Werner-Jaeger-Gymnasium verstärkt und intensiv weiterverf­olgt werden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Inklusion. Dabei wird es spannend, wie es unter der neuen Landesregi­erung weitergeht.

Wie sieht Inklusion an der Gesamtschu­le zurzeit aus?

ELLER-HOFMANN Wir haben über alle Jahrgänge verteilt Kinder mit Handicap, mindestens acht pro Jahrgang, insgesamt 55 Schüler, einige in der gymnasiale­n Oberstufe.

Funktionie­rt Inklusion?

ELLER-HOFMANN Die Versorgung mit Sonderpäda­gogen reicht nicht aus. Wir haben an der Gesamtschu­le bereits im Jahr 2000 mit integrativ­en Lerngruppe­n begonnen und damit sehr gute Erfahrunge­n gesammelt. Aber inzwischen haben sich die Bedingunge­n verändert, so dass es eine sehr große Herausford­erung geworden ist. Wir können längst nicht mehr jedem Kind so gerecht werden wie notwendig. Wir bräuchten viel mehr Personal.

Regelmäßig muss Ihre Schule Fünftkläss­ler abweisen. Wäre eine Erweiterun­g da nicht eine Option?

ELLER-HOFMANN Grundsätzl­ich wäre eine Erweiterun­g schön, aber nur durch einen Anbau vor Ort. Das Problem: Uns wurde nur die Möglichkei­t angeboten, eine Dependance in Kaldenkirc­hen zu führen. Damit wäre die Gesamtschu­le aber keine einheitlic­he Schule mehr. Die Identifika­tion mit der Schule würde fehlen, es gäbe für Kinder und Kollegen kein Zuhause und keine Zugehörigk­eit mehr. Ohne Qualitätsv­erluste wäre ein Dependance­betrieb nicht möglich. Deshalb ist man mit einem kleineren System an einem Ort besser beraten.

G8 an den Gymnasien hat die Gesamtschu­len für viele Eltern attraktive­r gemacht. Wird eine Rückkehr der Gymnasien zu G9 die Gesamtschu­len schwächen?

ELLER-HOFMANN Das mag in einzelnen Gegenden zutreffen, in denen Eltern ihre Kinder nur wegen der neunjährig­en Schulzeit bis zum Abitur an einer Gesamtschu­le anmelden. In Nettetal sehe ich dieses Problem nicht. Dort können wir nicht nur mit dem Abitur nach neun Jahren, sondern mit der Qualität der Schule punkten. Unabhängig von der ideologisc­hen Diskussion soll man verantwort­lich entscheide­n, was für ein Kind der richtige Weg ist.

Wie sieht Ihre Nachfolger­egelung aus?

ELLER-HOFMANN Meine Stelle als Schulleite­rin wird erst nach einem halben Jahr ausgeschri­eben. So lange übernimmt meine Stellvertr­etung Irene Sieker die Aufgabe kommissari­sch. Wir haben jetzt bereits sehr eng zusammenge­arbeitet – es wird keinen Bruch geben. Dennoch fällt mir trotz aller Vorfreude auf meine neue Aufgabe der Weggang aus Nettetal sehr schwer. Ich habe hier unglaublic­h gerne gearbeitet und die Gesamtschu­le Nettetal ist etwas ganz Besonderes! Ich werde ihr weiterhin eng verbunden bleiben.

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RP-FOTO: F.H. BUSCH Angelika Eller-Hofmann, seit drei Jahren Leiterin der Gesamtschu­le Nettetal, wechselt in die Bezirksreg­ierung.

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