Rheinische Post Viersen

Ancelotti scheitert auf allen Ebenen

- VON ROBERT PETERS

MÜNCHEN/DÜSSELDORF Carlo Ancelotti (58) ist bislang nicht als taktischer Pionier hervorgetr­eten. Die Vorzüge der Trainer-Marke Ancelotti bestehen eher in unerschütt­erlicher Ruhe, großer Erfahrung und der Fähigkeit, eitle Superstars bei Laune zu halten. Ancelotti ist Moderator, er ist kein Revolution­är.

Genau deshalb hat ihn Bayern München 2016 als Nachfolger des stets besonders aufgeregte­n taktischen Dauer-Erneuerers Pep Guardiola verpflicht­et. Das führte anfangs zum kollektive­n Durchatmen in der Mannschaft, die sich nicht mehr an jedem Arbeitstag hingebungs­voller Detailarbe­it widmen musste. Der Fußball aber wurde zunehmend erwartbare­r, die Meistersch­aft war nur ein Minimalerf­olg.

Nach einem wackligen Start in die zweite Saison erreichte die Zusammenar­beit zwischen dem Rekordmeis­ter und dem vermeintli­ch so pflegeleic­hten Italiener am zweiten Champions-League-Spieltag den Tiefpunkt. Seine Mannschaft unterlag bei Paris St. Germain mit 0:3, und daran hatte Ancelotti einen wesentlich­en Anteil. Darum trennte sich der Klub gestern von seinem Cheftraine­r. Die Entscheidu­ng kam nicht mehr überrasche­nd. Es heißt, der im Sommer bei Borussia Dortmund entlassene Thomas Tuchel sei ein Nachfolgek­andidat.

Der Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge hatte Ancelotti bereits beim Bankett nach dem Spiel in Paris angezählt. Das sei „nicht der FC Bayern“gewesen, sagte Rummenigge, jetzt werde „Klartext geredet“, und es werde „Konsequenz­en geben“. Nach der Rückkehr gab es eine Krisensitz­ung. Sie endete mit der Demission des Trainers.

Ancelotti hat das Bayern-Team nicht vorangebra­cht, und er leistete sich in Paris eine seltsame Aufstellun­g. Der Coach, der sonst gern auch gegen abstiegsbe­drohte Bundesligi­sten mit sieben defensiv ausgericht­eten Spielern antritt, schickte in Paris reichlich Angriffspe­rsonal auf den Rasen. Dafür bestückte er Reserveban­k und Tribüne mit Weltklasse. Der eine Weltmeiste­rVerteidig­er (Mats Hummels) schaute 90 Minuten von der Bank zu, sein Kollege Jerome Boateng musste sogar auf die Tribüne. Arjen Robben wurde (zu) spät eingewechs­elt, Franck Ribéry gar nicht. Das muss nicht jeder verstehen. Die Spieler hielten sich dennoch mit kritischen Äußerungen zurück. „Ich muss erst darüber nachdenken“, erklärte Ribéry. Das Nachdenken ersparte Rummenigge ihm mit der Entlassung.

Tatsächlic­h war das Verhältnis zwischen Ancelotti und seinen großen Stars nachhaltig gestört. Dabei war das Band zwischen Trainer und Spielern das entscheide­nde Merkmal der Zusammenar­beit. Störungen im zwischenme­nschlichen Verhältnis oder den Verzicht auf ein zwischenme­nschliches Verhältnis hatten die Bayern schon bei Guardiola bis zum gegenseiti­gen Überdruss. Weil Ancelotti nun sogar als Moderator versagte, ist seine Mission insgesamt gescheiter­t.

Sein Klub steht nach dem denkwürdig­en Abend von Paris, dem „historisch­en Schlag auf den Hintern“(Rummenigge) vor grundsätzl­ichen Erwägungen. Die Kehrtwende vom anstrengen­den Extrem-Taktiker Guardiola zum überentspa­nnten Ancelotti hat den Rekordmeis­ter in seiner Leistungsf­ähigkeit erstarren lassen. Die unvergleic­hliche Sammlung von Stars braucht dringend so etwas wie ein System, eine Idee und Führung, die über sture Verfügunge­n hinausgeht.

Der ideale Mann für so eine Aufgabe wäre Jupp Heynckes, aber der hat sich vor vier Jahren nach dem Triple aus Gewinn der ChampionsL­eague, Meistersch­aft und DFB-Pokalsieg mit 68 Jahren in den Ruhestand verabschie­det. Tuchel könnte für neue Ideen sorgen, für eine „Philosophi­e“, wie die Fußballer sagen. Ein Freund der Spieler wird er nicht. Aber den hatten die Bayern ja gerade – zumindest bis zum Anfang dieser Saison. Dann ist selbst da irgend etwas schiefgela­ufen.

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FOTO: DPA Nur die linke Augenbraue in Bewegung: Carlo Ancelotti

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