Rheinische Post Viersen

Populist = Pessimist

- VON FRANK VOLLMER

Optimismus, soll der Dramatiker Heiner Müller gesagt haben, Optimismus sei nur ein Mangel an Informatio­n. Gehen wir einmal davon aus, dieser Satz treffe zu (politisch ist er falsch, aber dazu später), dann sitzen im neuen Bundestag 94 besonders gut informiert­e Abgeordnet­e. Nämlich die 93 Mandatsträ­ger der Alternativ­e für Deutschlan­d plus Frauke Petry. Diese 94 sind sozusagen das Kondensat des Pessimismu­s in der deutschen Politik.

Denn die AfD ist von einer Aufwallung des Pessimismu­s in den Bundestag gespült worden. Zwar sind die Deutschen insgesamt durchaus zuversicht­lich – so maß Allensbach im Frühjahr eine Zustimmung von 51 Prozent zu der These, die Zukunftsau­ssichten der jungen Generation seien gut, ein viel besserer Wert als etwa in Frankreich. Die Sympathisa­nten der AfD scheinen eher unter den anderen 49 Prozent zu leben: Drei Viertel ihrer Wähler sagten im Sommer Ja zu dem Satz, Deutschlan­d gehe vor die Hunde. Nach der Landtagswa­hl in BadenWürtt­emberg 2016 sagten 93 Prozent der AfD-Wähler über ihre Partei, sie löse zwar Probleme nicht, nenne sie aber wenigstens beim Namen. Und jetzt im Bund haben die Wähler der AfD als einzige mehrheitli­ch ein negatives Motiv für ihre Entscheidu­ng genannt: Enttäuschu­ng über die anderen Parteien, nicht Überzeugth­eit von der, die sie am Ende gewählt haben.

Damit aus Pessimismu­s Wählerstim­men werden, fehlt noch ein Element: der Populismus der AfD. Populismus, übersetzt etwa: Volkstümli­chkeit, ist dabei nicht notwendige­rweise politisch rechts oder gar rechtsradi­kal. Populismus ist kein Standpunkt, Populismus ist eine Technik. Die Soziologin Karin Priester definiert ihn als Mix aus Ablehnung von Eliten, Politik und Institutio­nen, aus Moralisier­ung, Polarisier­ung und Personalis­ierung. Populismus kann sozialisti­sch sein, wenn die Linke gegen die Konzerne agitiert. Er kann sozialdemo­kratisch sein, etwa als Gerhard Schröder 2005 erfolgreic­h über Paul Kirchhof lästerte, den „Professor aus Heidelberg“und Schattenfi­nanzminist­er der Union. Er kann konservati­v sein, wenn Horst Seehofer 2016 von einer „Herrschaft des Unrechts“in der Flüchtling­skrise sprach.

Im Falle der AfD ist der Populismus eben nationalis­tisch, mit rechtsradi­kalen Einsprengs­eln. Die AfD hat die Diffamieru­ng zum Prinzip erhoben, die Diffamieru­ng von Minderheit­en, der „Systempart­eien“, der „Lügenpress­e“. Diese Rhetorik hat einen Nerv getroffen bei Millionen, die sich vom politische­n, juristisch­en und medialen System der Republik nicht mehr repräsenti­ert fühlen. Die AfD hat diesem Frust eine Stimme gegeben, und zwar eine, die immer schriller wurde.

Dabei sind die AfD-Anhänger mehrheitli­ch sozusagen keine konkreten oder akuten Pessimiste­n. 56 Prozent zählten sich 2016 in einer Infratest-Umfrage zu den „Gewinnern der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g“, nur 28 Prozent zu den Verlierern. Das sind Werte, die ungefähr so auch bei SPD und Grünen gemessen werden. Die Befürchtun­gen auf der Rechten sind abstrakter, latenter. Dass deutsche Kultur verloren gehe, dass sich das Leben zu sehr verändere, dass die Gesellscha­ft auseinande­rdrifte: alles Sorgen, in die die AfD-Wähler bei der Bundestags­wahl zu jeweils mehr als 90 Prozent einstimmte­n.

Hinter alldem steht natürlich die Flüchtling­skrise, das Gefühl, der Staat habe die Kontrolle über die Zuwanderun­g verloren oder, verschärft­e Version, willentlic­h aufgegeben. Kriminalit­ät, Terror, Zuwanderun­g sind die Themen, bei denen die Masse der AfD-Wähler ihre Partei für kompetent hält; erst mit Abstand folgen Soziales und Familie.

Entfremdun­g von der politische­n Kultur der Bundesrepu­blik also plus Fixierung auf den Komplex Einwanderu­ng: Genau dort liegt das Problem der

Als einzige nannten die Wähler der AfD ein negatives Motiv für ihre Wahlentsch­eidung

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