Rheinische Post Viersen

Kraftprobe mit Madrid

Die Eskalation der Gewalt beim Referendum in Katalonien wirft ein Schlaglich­t auf mangelnden politische­n Dialog.

- VON GODEHARD UHLEMANN

BARCELONA Blutende Menschen, erstarrte Gesichter und viele Verletzte. Am Himmel kreist ein Hubschraub­er. Polizisten, hochgerüst­et und zu allem entschloss­en, drängen gewaltsam in Wahllokale ein. Sie zerstören Wahlurnen oder nehmen sie mit. Wo immer sie können, sammeln sie Stimmzette­l ein, und auch Bürger werden festgenomm­en, die sich gegen die übergriffi­ge staatliche Autorität wehren. Mindestens zwölf Millionen Wahlzettel, Millionen Plakate und Broschüren sind in den vergangene­n Tagen beschlagna­hmt worden. Viele Webseiten sind gesperrt. Gestern dann gingen Katalanen mit Blumen in den Händen auf die Sicherheit­skräfte zu. In Sprechchör­en rufen sie: „Wir sind friedliche Leute.“

Ist dies ein Land mit einem autoritär herrschend­en Despoten an seiner Spitze? Ist das ein Staat, der mit allen Mitteln gegen nach Freiheit dürstende Menschen vorgeht, wie man ihn aus dem Nahen Osten oder China kennt? Charles Puigdemont, Regionalpr­äsident Katalonien­s und eifrigster Betreiber der Volksbefra­gung, sagte gestern, die Brutalität, mit der die Polizei vorgegange­n sei, werde für immer eine Schande für den spanischen Staat sein.

Es geht um Katalonien im Südwesten Europas. Die katalanisc­he Regionalre­gierung hatte für gestern ein Unabhängig­keitsrefer­endum angesetzt und die Menschen aufgeforde­rt, die Frage zu beantworte­n, ob sie weiter unter der Zentralgew­alt Madrids leben wollen oder ob sie nicht besser ihr Leben und ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen sollen.

Spaniens konservati­ve Regierung ist schon seit Wochen alarmiert. Sie verweist auf die Rechtslage und erklärt, dass ein Referendum gegen die Verfassung verstoße. Sie beruft sich auf das Oberste Gericht des Landes, das alle Wahlbestre­bungen im Vorfeld des Referendum­s für rechtlich unwirksam erklärt hatte mit der Begründung, an der Einheit Spaniens dürfe nicht gerüttelt werden. Die Unteilbark­eit des spanischen Staates dürfe niemals angetastet werden, so die Juristen.

Die Katalanen liegen nicht in Ketten, mit denen sie rasseln können. Sie leben in einer Region Spaniens, der es wirtschaft­lich und gesellscha­ftlich gut geht. Der Lebensstan­dard der Menschen liegt weit über dem der restlichen Spanier. Hier wird rund ein Fünftel der spanischen Wirtschaft­sleistung erarbeitet. Die Menschen können frei ihre Meinung sagen und die Jugend studiert mit an den besten Universitä­ten des Landes. Und trotzdem: Viele Katalanen wollen nicht länger unter der Fuchtel Madrids leben. Sie träumen sich die Zukunft schön. Jüngste Umfragen weisen aber aus, dass nur 40 Prozent der Katalanen eine Abspaltung von Spanien wollen. Atlantisch­er Ozean Frankreich

In welchem Boden wurzelt der Traum vom eigenen Land dann? Die Katalanen sind es leid, für ärmere Regionen zahlen zu müssen. Sie fühlen sich ausgebeute­t, schlecht behandelt und in ihrem Stolz gekränkt. Nun stellen sie den Gesellscha­ftsvertrag mit Madrid in Frage, der auf Solidaritä­t mit den Ärmeren setzt. Sie fordern mit Nachdruck ein Selbstbest­immungsrec­ht und vergessen, dass sie die verfassung­srechtlich verankerte Unteilbark­eit des Staates 1978 mit überwältig­ender Mehrheit angenommen hatten. Ihr heutiger Ruf „Los von Spanien“steht daher auf tönernen Füßen.

Sie machen sich auch wenig Gedanken darüber, wie eine katalanisc­he Unabhängig­keit politisch auf andere Regionen wirken wird. Die Basken, die über viele Jahre mit Terror das Land überzogen und für einen eigenen Staat bombten, werden Morgenluft wittern und ebenfalls eigene Wege gehen wollen. Das wäre nicht das Ende Spaniens, aber seine politische Bedeutung in Europa würde massiv abnehmen.

Katalonien möchte als unabhängig­er Staat EU-Mitglied bleiben. Das geht nach EU-Recht nicht. EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker hatte schon vor Tagen erklärt, ein unter Verfassung­sbruch zustande gekommener neuer Staat könne nicht EU-Mitglied sein. Außerdem müsse eine Mitgliedsc­haft neu verhandelt werden, der am Ende alle – also auch Spanien – zu- stimmen müssten. Doch das würde die Regierung in Madrid wohl nie tun. Sollte die Regionalre­gierung in Barcelona morgen trotz allem die Unabhängig­keit ausrufen, drohen schwere innenpolit­ische und wirtschaft­liche Turbulenze­n.

Auch die EU ist alarmiert. Sie hat sich bisher nicht vermitteln­d in den Streit eingeschal­tet, weil sie sich nicht in innerspani­sche Streitfrag­en einmischen wollte. Nach dem Austritt Großbritan­niens aus der EU wollen die Schotten in der Union bleiben. Das ist rechtlich ohne Unabhängig­keit kaum möglich. Es gibt Separatist­enbestrebu­ngen in vielen Ländern. Auch die reichen Norditalie­ner wollen nicht für Sizilien zahlen, die Bretonen wie die Korsen hatten in den vergangene­n Jahren die Koloratur der Freiheit gesungen. Doch dann wurde es stiller aufgrund von Zugeständn­issen der jeweiligen Länder.

Und Spanien? Die Zentralreg­ierung in Madrid hatte das sich verschärfe­nde Problem ignoriert. Die konservati­ve Regierung von Mariano Rajoy hätte den Dialog über eine Ausweitung von Autonomier­echten suchen müssen. Stattdesse­n wurde eine Politik verfolgt, die die Autonomier­echte eher zurückbaut­e. Das kann als Zugeständn­is an Spaniens Rechte gewertet werden, die auf den Vorrang der Zentralmac­ht in Madrid setzt. Wie immer das Referendum ausgeht, es bleiben Wunden, die lange schmerzen werden.

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FOTO: DPA Eine junge Frau stellt sich zwischen Befürworte­r des Referendum­s und die Polizei. Die Beamten sollen verhindern, dass die Wähler ihre Stimme in einer Schule abgeben.

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