Rheinische Post Viersen

Eine Klasse kämpft für Murad

Der krebskrank­e Syrer besucht seit drei Wochen das Berufskoll­eg in Lobberich. Sein größter Wunsch ist es, nach drei Jahren Mutter und Geschwiste­r wiederzuse­hen. Wie seine Mitschüler geholfen haben, um diesen Traum zu erfüllen

- VON DANIELA BUSCHKAMP

LOBBERICH Drei Jahre ist es her, seit Murad Wesse seine Mutter, seine Schwester und seine Brüder gesehen hat. Damals floh der 18-jährige Syrer über die Türkei, Griechenla­nd und Österreich bis nach Deutschlan­d. „Seitdem ist kein Tag vergangen, an dem ich sie nicht vermisse“, sagt er. Jetzt drohte der Familie sogar eine noch längere, wenn nicht endgültige Trennung: Murads Mutter und seine drei Geschwiste­r (15, 16 und 17 Jahre) sollten aus Griechenla­nd abgeschobe­n werden. Doch seine Mitschüler am Berufskoll­eg Lobberich halfen dem krebskrank­en Jugendlich­en in der schwersten Zeit seines Lebens.

Murad ist aus dem syrischen Aleppo geflohen: „Dort herrschte Krieg, ein normales Leben war nicht mehr möglich. Alles ist zerstört“, sagt der 18-Jährige. Deshalb verließ er seine Heimat, war zu Fuß 41 Tage unterwegs, bis er Wien erreichte. In Dortmund stellte er einen Antrag auf Asyl, zog nach Bracht, besuchte die Schule und lernte Deutsch – trotz Chemothera­pie. Inzwischen ist er anerkannte­r Asylbewerb­er und besucht die Berufsschu­le.

Auch seine Mutter und Geschwiste­r hatten Aleppo verlassen, leben in einem Flüchtling­slager in Griechenla­nd. Über Skype hielt der 18-Jährige Kontakt. „Sie waren in einer Schule untergebra­cht, mehrere Familien in einer Klasse“, schildert er. Insbesonde­re für seine Schwester belastend – zweimal habe sie versucht, sich umzubringe­n. „Ich wollte meine Familie so schnell wie möglich nach Deutschlan­d holen“, so der Berufsschü­ler. Doch dann drohte ihr die Abschiebun­g in die Türkei. Wesse nahm Kontakt zur Ausländerb­ehörde in Deutschlan­d und zu den Behörden in Griechenla­nd auf – und erzählte seinen Klassenkam­eraden von seinen Problemen. Die 23 – allen voran die Klassenspr­echerinnen Carina Drews und Yasemin Pakirci – halfen ihm mit den Ämtern, führten Murads schwere Krankheit und die Selbstmord­versuche der Schwester an, um eine Zusammenfü­hrung zu erreichen. „Wir haben Dokumente geschickt, ein Anwalt hat uns unterstütz­t“, sagen die jungen Frauen.

Dann fiel die Entscheidu­ng: Suad, Kula, Emod und Fuad Wesse durften nach Deutschlan­d ausreisen – aber nur, wenn Murad innerhalb von 24 Stunden Geld für die Tickets vorweisen konnte. Eine fast unlösbare Aufgabe für einen Berufsschü­ler. Allerdings nicht für einen Berufsschü­ler mit hilfsberei­ten Freunden: „Wir haben uns entschloss­en, Murad und seiner Familie zu helfen. Innerhalb von 23 Stunden hatten wir das Geld gesammelt“, sagt Carina Drews. Murad ist überglückl­ich über diese Unterstütz­ung. Er freut sich, bald seine Familie wiederzuse­hen: „Sonst wäre auch ich wieder zurückgega­ngen“, sagt er.

In elf Tagen ist das Warten vorbei.

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RP-FOTO: BUSCHKAMP Murad Wesse (gelber Kreis) ist dankbar für die Unterstütz­ung seiner Mitschüler aus der Klasse SBF 72. Sie sammelten schnell Geld, damit er seine Familie nach Deutschlan­d holen kann.

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