Rheinische Post Viersen

Aachen wird zum E-Auto-Zentrum

Laschet will NRW zum Motor der Elektromob­ilität machen. Bis 2022 könnten hier bis zu 100.000 E-Autos gebaut werden.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Als Günther Schuh die Nase voll hatte, tat er das, was er eigentlich nie tun wollte: Er gründete einen Autoherste­ller. Es ist eine etwas ungewöhnli­che Reaktion auf Zurückweis­ung, doch wenn man wie der Maschinenb­au-Professor einer der führenden Köpfe in der Branche ist, vielleicht verständli­ch.

Der 58-Jährige war es leid, immer nur Vorträge zu halten über die Dinge, die man machen könnte – und zu merken, dass die Autoherste­ller am Ende doch nichts änderten. „Wenn man wie ich vier bis fünf Mal mit wichtigen Erfindunge­n Gehör gefunden hat, dann fühlt man sich schon etwas beleidigt, wenn man bei manchen Gesprächen mit Hersteller­n wie jemand von , Jugend forscht‘ behandelt wird“, sagt Schuh, der an der RWTH Aachen den Lehrstuhl für Produktion­ssystemati­k leitet.

Also gründete Schuh vor zwei Jahren den Elektroaut­oherstelle­r e.Go – und wurde zu einer der spannends- ten Wetten der Republik. Bis 2022, so der Plan, sollen in Aachen 100.000 Fahrzeuge vom Band rollen. Die Autoindust­rie in NRW, wo seit dem Aus des Bochumer Opel-Werks nur noch Ford Autos baut, würde wiederbele­bt von einem Start-up.

Es ist eine gewaltige Chance, denn Schuh ist ja nicht irgendwer. Er hat mit einigen Mitstreite­rn auch den Streetscoo­ter erfunden, jenen Elektrotra­nsporter, der so erfolgreic­h ist, dass die Deutsche Post das Start-up übernahm und der Autokonzer­n Daimler sich laut „Spiegel“heimlich ein Modell besorgte, um die Technik unter die Lupe zu nehmen.

Kein Wunder, dass NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) die Elektromob­ilität nun zur Chefsache erklärt hat. Man müsse in diesen Bereich mit Tempo rein, sagte er vergangene Woche: „Wenn wir da eine Dynamik reinbringe­n, können wir in Deutschlan­d führend sein.“Alle acht Wochen wolle er sich deswegen künftig mit einer Expertengr­uppe treffen, um über das Thema zu diskutiere­n. Neben den Minis- tern für Verkehr, Wirtschaft und Wissenscha­ft sollen Experten aus Wirtschaft und Wissenscha­ft in dem Gremium sitzen. Natürlich dabei: Günther Schuh.

Ein erstes Treffen, ist zu hören, soll es bereits Ende Oktober geben. Das Ziel ist klar: „Wir wollen eine Einstiegsm­entalität“, sagt Laschet.

Noch nie standen die Chancen in NRW dafür so gut wie jetzt: Einerseits drohen wegen erhöhter Stickoxid-Werte Fahrverbot­e für DieselFahr­zeuge. Anderersei­ts haben VW, BMW und Mercedes das Thema ver- schlafen und kommen erst nach und nach mit eigenen Elektroaut­oModellen auf den Markt.

Alles ist im Umbruch – und in NRW gibt es mit Streetscoo­ter und dem e.Go gleich zwei Start-ups, die sich diesen zunutze machen wollen. Streetscoo­ter hat angekündig­t, ein zweites Werk in Düren zu bauen, die Produktion soll auf rund 20.000 Fahrzeuge pro Jahr steigen. Und nur wenige Kilometer entfernt errichtet e.Go auf einem 60.000 Quadratmet­er großen Gelände in Aachen sein riesiges Werk. Mehr als 2000 Ar- beitsplätz­e sollen hier bis Ende 2022 entstehen. Im Drei-Schicht-Betrieb sollen dann der Kleinwagen e.Go Life, der Kleinbus Mover und der Kompaktwag­en Booster entstehen.

Der Kapitalbed­arf für diesen Kraftakt ist enorm. „Wir werden gemeinsam mit unseren Aktionären bis Mitte 2018 rund 150 Millionen Euro investiert haben“, sagt Schuh: „Momentan machen wir im Halbjahres­rhythmus Kapitalerh­öhungen und brauchen wahrschein­lich auch noch ein bis zwei bis alle drei Autos in Serie gefertigt werden.“

Für Streetscoo­ter und e.Go ist es ein permanente­r Wettlauf gegen die Zeit – denn die großen Hersteller haben nicht vor, Start-ups das Feld zu überlassen. In Düsseldorf richtet Daimler das Sprinter-Werk so her, dass dort ab dem kommenden Jahr auch Elektro-Transporte­r gefertigt werden können. Für einen Einsatz von E-Sprintern beim Düsseldorf­er Rosenmonta­gszug reicht es 2018 zwar nicht mehr, aber Daimler-Chef Dieter Zetsche sagte zuletzt: „Wir werden die Fahrzeuge in der ersten Hälfte des nächsten Jahres Kunden zur Erprobung geben, so dass sie noch 2018 in Serie gehen können.“

Trotz Streetscoo­ter, e.Go und Co. sind Experten skeptisch, ob es tatsächlic­h gelingen kann, NRW zum Motor der E-Mobilität zu machen. „Das ist sehr ambitionie­rt – vor allem innerhalb von fünf Jahren“, sagt Stefan Bratzel von der Hochschule Bergisch-Gladbach. Am Ende ist es aus seiner Sicht aber eher zweitrangi­g, ob es nun 50.000 oder 100.000 Fahrzeuge sind, die in NRW entstehen: „Wichtig ist ja vor allem, dass das Thema E-Mobilität hier produktion­sseitig stattfinde­t.“Auch Tesla habe tolle Ziele, die anspornen, und erreiche nicht alle rechtzeiti­g.

Angesproch­en auf Parallelen zum Elektroaut­o-Pionier, sagt e.Go-Chef Schuh: „Der Unterschie­d zwischen Tesla und uns ist: Die verstehen etwas von Marketing, wir von der Produktion. Alles, was wir bisher gemacht haben, mussten wir uns beibringen. Jetzt kommt die Phase, in der wir unsere größte Kompetenz haben.“

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FOTO: DPA Der Streetscoo­ter wird in NRW gebaut.

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