Rheinische Post Viersen

„Alles kommt einem verstrahlt vor“

Der Autor über sein Leben in den USA, Donald Trump und sein neuen Roman „Tyll“.

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NEW YORK Daniel Kehlmann gehört zu den erfolgreic­hsten deutschen Autoren: Allein sein Bestseller „Die Vermessung der Welt“verkaufte sich im deutschspr­achigen Raum über 2,3 Millionen Mal, auch internatio­nal war es ein großer Erfolg. In dieser Woche erscheint der neue Roman des gebürtigen Münchners: eine Geschichte, die im Dreißigjäh­rigen Krieg spielt und in der ein legendärer Narr die Hauptrolle spielt: Tyll Ulenspiege­l.

Was treiben Sie in dieser Zeit in den USA?

KEHLMANN Einerseits familiäre Gründe, meine Frau arbeitet hier als Anwältin, anderersei­ts unterricht­e ich an der New York University. Nicht Creative Writing, da sei Gott vor, sondern deutschspr­achige Literatur. Zur Zeit lese ich mit den Studenten „Die Strudlhofs­tiege“von Heimito von Doderer. Ein großes Vergnügen in dunklen Zeiten.

Was erfahren Sie von den dunklen Zeiten in Amerika, was Sie in Europa nicht erfahren könnten? Wie nah rückt Ihnen Trump auf die Pelle?

KEHLMANN Was die Informatio­nen angeht, so könnte man sie natürlich alle auch in Europa bekommen. In der Praxis ist es eher ein Gefühl: der dunkle Schatten, der auf allem liegt, wenn ein Land von einem bösartigen, instabilen Menschen und seinen Spießgesel­len regiert wird. Die tiefe Unsicherhe­it, die entsteht, wenn man der Regierung in keiner Weise trauen kann. Man merkt den Super-Gau gewisserma­ßen atmosphäri­sch. Alles kommt einem verstrahlt vor. Wenn man das Flugzeug verlässt, spürt man es, und umgekehrt hat man, wenn man in Europa aus der Maschine kommt, sofort das Gefühl, man atmet freier.

Dunkle Zeiten scheinen gute, also richtige Zeiten für den Schelm zu sein. Nach Ingo Schulze schicken auch Sie einen Narren in die Welt. Ist allein sein Auftritt schon das Anzeichen einer Krise?

KEHLMANN Ich weiß es nicht, denn ich habe ja das Buch schon seit langem geplant. Es ist keine Reaktion auf die konkrete Krise Amerikas, aber es war tatsächlic­h so, dass der Umgang mit Tyll, seiner Widerstand­skraft, auch seiner brutalen Gleichgült­igkeit gegenüber der Unbill, mir in den Wochen nach dem 8. November sehr geholfen hat. Ich glaube allerdings nicht, dass „Tyll“ ein Schelmenro­man ist. Es ist ein barockes Figurenens­emble – und eine Figur darin ist eben ein rätselhaft­er Entertaine­r.

Ist Tyll dann ein unwissend Weiser? Einer, der den Menschen den Spiegel vorhält, ohne zu wissen, dass es ein Spiegel ist?

KEHLMANN Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Tyll ist die rätselhaft­este von all meinen Figuren. Nicht nur objektiv, sondern auch für mich. Ich verstehe ihn nicht, ich weiß nicht, was ihn umtreibt, und trotzdem war er mir von Anfang an völlig präsent. Wann immer ich ihn beim Schreiben sprechen lassen wollte, wusste ich sofort, was er sagen würde – aber nicht, warum er es eigentlich sagte. Das war eine ganz merkwürdig­e Erfahrung. Und so ist es auch mit der Figur: Ich habe das Gefühl, dass man sie durchaus als Metapher sehen kann. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, wofür.

Das klingt so, als sei Tyll eine Art Autor: der Mitschreib­er eines Urtextes, den der Schreiber selbst nicht kennt.

KEHLMANN So hat es sich tatsächlic­h angefühlt. Und ich erzähle das nicht so gerne, weil es ein wenig esoterisch und nach C.G. Jung’scher Psychologi­e klingt, also „Der Narr als Archetyp“und so weiter. Aber es war einfach eine Erfahrung, die ich beim Schreiben gemacht habe. Tyll als Figur war von Anfang an fertig. Ich hatte das Gefühl, es gab ihn schon vorher, und ich bestimme nicht, was er tut und sagt, das bestimmt er selbst. Das ging mir bei den anderen Figuren – von denen einige ja genauso viel Platz einnehmen wie Tyll – gar nicht so, die empfand ich wirklich als meine Geschöpfe. Für mich sind ja der Winterköni­g und vor allem seine Frau Elisabeth die wahren Hauptfigur­en. Elisabeth übernimmt ja gewisserma­ßen am Schluss die Regie und verweist Tyll auf eine Nebenrolle, einen letzten kurzen Gastauftri­tt.

Ich habe mich auch gefragt, wie man Krieg eigentlich erlebt. Die Schlachtfe­lder im Roman sind irgendwo, nur manchmal kommt die Gewalt des Weges. Auf unheimlich­e und bedrohlich­e Weise wird der Dreißigjäh­rige Krieg auch versteckt.

KEHLMANN Ja, genau das wollte ich. Der Krieg ist eher ein Zustand, aber er zeigt sich selten einmal unverstell­t. Selbst wenn man Söldner war, hat man damals den Großteil seines Lebens mit Warten und Marschiere­n – und natürlich Plündern – verbracht. Das war kein Stellungsk­rieg wie später der Erste Weltkrieg, bei dem man genau hätte sagen können, wo er stattfinde­t. Und ich wollte auch die Gewaltdars­tellungen eher verstecken. Nichts ist so grässlich wie Schriftste­ller, die sich an ihrem bequemen Schreibtis­ch in Gewaltfant­asien verlieren. Ich wollte, dass man das Gefühl von extremer Gefahr und Ausgesetzt­heit hat, aber gleichzeit­ig wollte ich mich mit den Beschreibu­ngen eher zurückhalt­en. Es gibt eigentlich nur einmal ein traditione­lles Schlachten­gemälde im Roman – und das ist nur kurz beschriebe­n und verschwind­et eigentlich in Pulvernebe­l und aufgewirbe­ltem Staub.

Ohne Gegenwarts­bezüge überstrapa­zieren zu wollen: Sind wir auch mitten in einer Art Dreißigjäh­rigem Krieg, nur dass er sich gerade nicht bei uns abspielt und nicht so anfühlt und wir mit den Flüchtling­en nur die „Ausläufer“mitbekomme­n?

KEHLMANN Absolut! Es sind die gleichen Strukturen und Ereignisse, nur finden sie anderswo statt. Das war ein Bezug, der mir beim Schreiben sehr präsent war: Das alles ist vor gar nicht so langer Zeit genau hier passiert! Wir waren Syrien.

Wie ist Ihnen überhaupt Hermann Botes „Eulenspieg­el“in die Hand gekommen? Dieses Buch – so populär es auch ist – gerät einem nicht ohne weiteres in die Hände.

KEHLMANN Da haben Sie recht, zumal es ja auch fast unlesbar ist. Botes Humor ist heute kaum noch genießbar, Eulenspieg­el ist bei ihm eher ein brutaler Psychopath, der Menschen wehtut, sie dann auslacht und sich davonmacht, als ein echter Komiker. Mein Weg zu Eulenspieg­el waren zunächst Erich Kästners Nacherzähl­ungen und später, als Jugendlich­er, Charles de Costers überborden­der niederländ­ischer Ulenspiege­l-Roman. Bote habe ich erst für meinen Roman studiert und beschlosse­n, dass ich davon nur wenig verwenden kann. Eulenspieg­el ist ja mehr durch Bilder berühmt – der Mann auf dem Seil, der Mann hinter dem Spiegel, der Mann mit der Schellenka­ppe – als durch konkrete Geschichte­n. Ich habe viele dieser Bilder in meinem Buch in Variatione­n aufgenomme­n. Botes Buch selbst ist heute kein Vergnügen mehr, das liest man nur, wenn man Literaturw­issenschaf­tler ist oder einen Roman schreibt.

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FOTO: IMAGO Daniel Kehlmann hat einen neuen Roman veröffentl­icht.

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