Rheinische Post Viersen

Detlef Scheele

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dellprojek­t bei den Langzeitar­beitslosen von zwölf auf 31 Prozent erhöht. Wenn eine arbeitslos­e Mutter allein nicht in der Lage ist, einen Betreuungs­platz für ihr Kind zu finden, helfen wir – wenn möglich gemeinsam mit der Kommune.

Was nicht originär Ihre Aufgabe ist.

SCHEELE Deshalb werbe ich dafür, dass wir stärker mit der Jugendhilf­e zusammenar­beiten. Wir müssen davon wegkommen, dass jeder um seinen Einfluss bangt. Wir wollen keinem Sozialleis­tungsträge­r etwas wegnehmen, aber wenn bei uns auffällt, dass bei der Kinderbetr­euung was schiefläuf­t, müssen wir doch reagieren. Umgekehrt kann doch auch die Jugendhilf­e beim Besuch in der Familie die Jobsituati­on ansprechen, ohne dass wir gleich auf dem Baum sind.

Allein mit inländisch­en Kräften werden Sie den Fachkräfte­mangel nicht ausgleiche­n können.

SCHEELE Das stimmt. Die wirtschaft­liche Lage in vielen EU-Ländern hat sich verbessert. Deshalb nimmt das Interesse an Zuwanderun­g nach Deutschlan­d ab. Bislang kommen noch etwa 200.000 EU-Bürger im Jahr zu uns, das wird aber tendenziel­l abnehmen. Deshalb müssen noch stärker Fachkräfte aus Staaten gewinnen, die nicht zur EU gehören.

Heißt das, die BA macht demnächst Filialen im EU-Ausland auf?

SCHEELE Nein, nicht im EU-Ausland. Aber wir wollen unser Engagement in den sogenannte­n Drittstaat­en ausbauen und gründen derzeit einen eigenen Geschäftsb­ereich dafür. Wir müssen stärker vor Ort vertreten sein, denn unser Ziel ist es, dass Abschlüsse schon im Ausland anerkannt werden und dort auch Sprachkurs­e angeboten werden, etwa vom BAMF. Denn um als Arbeitsmig­rant nach Deutschlan­d kommen zu können, muss man schon hierzuland­e einen Job vor- weisen. Klarheit würde ein echtes Einwanderu­ngsgesetz schaffen. Das werden wir mit der neuen Bundesregi­erung besprechen müssen.

Wo sind Sie heute schon im Ausland aktiv?

SCHEELE Die Zentrale Auslands- und Fachvermit­tlung rekrutiert seit einigen Jahren zum Beispiel auf den Philippine­n Pflegekräf­te. Wir wollen das noch stärker ausbauen, auch in anderen Berufen und weiteren Drittstaat­en. Allein um das Erwerbsper­sonenpoten­zial bis 2030 stabil zu halten, benötigen wir etwa 300.000 zusätzlich­e Kräfte im Jahr.

Blicken wir zurück nach Deutschlan­d. Immer noch gibt es die Situation, dass viele Jugendlich­e bei der Ausbildung­splatzsuch­e leer ausgehen, die Arbeitgebe­r aber händeringe­nd suchen. Wie wollen Sie damit umgehen?

SCHEELE Wer keinen Platz bekommen hat, darf nicht in irgendwelc­hen Warteschla­ngen geparkt werden und das so-und-so-vielte Bewerbungs­training bekommen. Der Betroffene muss in die Praxis, sollte als Praktikant in einen Betrieb vermittelt werden und weiter zur Berufsschu­le gehen. Mit dem so genannten Klebeeffek­t könnte für den jungen Menschen so am Ende ein ungeförder­ter Ausbildung­splatz stehen.

Das Problem ist, dass viele Jugendlich­e sich für nur wenige Berufsbild­er interessie­ren – Jungen überwiegen­d für das des Kfz-Mechatroni­kers, Mädchen für das der Bürokauffr­au.

SCHEELE Auch da sind Praktika nicht erst in der zehnten, sondern schon in der achten Klasse hilfreich. Wenn der Schüler dann feststellt, dass man als Mechatroni­ker gut in Mathe sein muss, er dort aber Defizite hat, dann verhindert diese frühe Praxiserfa­hrung einen Ausbildung­sabbruch. Durch gezielte Beratung kann dann ein anderer Beruf gefunden werden.

Die Unternehme­r haben in der Vergangenh­eit häufiger beklagt, viele Jugendlich­e seien nicht ausbildung­sfähig. Hören Sie solche Klagen immer noch so häufig?

SCHEELE Diese Stimmen werden leiser. Die Unternehme­n merken schon, dass sie sich mehr nach der Decke strecken müssen, um einen Wunschkand­idaten zu bekommen. Vieles kann man dem Azubi doch beibringen. Rechtschre­ibung kann man lernen, wir können die Arbeitgebe­r dabei mit ausbildung­sbegleiten­den Hilfen unterstütz­en. Schwierig wird es nur, wenn es verhaltens­bedingte Defizite gibt.

Schauen wir uns den Beschäftig­ungsrekord näher an. Handelt es sich überwiegen­d um Teilzeit, Werkverträ­ge, Leiharbeit, Niedrigloh­njobs oder um echte Vollzeitst­ellen?

SCHEELE Rund die Hälfte der zusätzlich entstanden­en Jobs sind Vollzeitst­ellen, die andere Teilzeit. Die Zahl der Minijobs ist aktuell rückläufig. Die Zeitarbeit wächst tendenziel­l, aber sie ist inzwischen gesetzlich auf 18 Monate begrenzt. Die Entwicklun­g von Werkverträ­gen sollte die Politik aufmerksam beobachten.

Auch Befristung­en werden häufig als Problem genannt. Böse gesprochen könnte man sagen: Die sachgrundl­ose Befristung ist nichts anderes als eine auf zwei Jahre verlängert­e Probezeit, oder?

SCHEELE Sie benötigen ein gewisses Maß an Befristung­en. Ohne befristete Stellen hätten wir als BA beispielsw­eise die Flüchtling­skrise gar nicht bewältigen können. Aber natürlich darf das nicht ausufern. Kettenbefr­istungen für junge Menschen sind furchtbar, aber auch nicht an der Tagesordnu­ng.

Angesichts von Rekordbesc­häftigung ist eine populäre Forderung der Politik, den Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung zu senken. Ist Ihre Sorge groß, dass das Thema von einer Jamaika-Koalition aufgegriff­en wird?

SCHEELE Nein. Wir sind uns mit dem Verwaltung­srat einig, dass wir 20 Milliarden Euro an Rücklagen benötigen, um eine Krise wie 2008/2009 bewältigen zu können. Diesen Betrag haben wir bisher nicht erreicht. Zu gegebener Zeit wird man sich einer Beitragsse­nkungsdisk­ussion stellen. Aber erst dann.

Wo parken Sie die Rücklagen?

SCHEELE Bei mehreren Banken.

Müssen Sie Negativzin­sen zahlen?

SCHEELE In diesem Jahr erstmals in minimalem Umfang.

Die Flüchtling­e tauchen stärker in den Statistike­n auf. Wie ist der Stand?

SCHEELE Etwa 900.000 Personen mit einer Staatsange­hörigkeit aus einem der Asyl-Hauptherku­nftsländer beziehen Grundsiche­rung, knapp 300.000 davon sind allerdings Kinder. 183.000 Schutzbere­chtigte befinden sich in Integratio­ns- und Sprachkurs­en, 189.000 sind arbeitslos gemeldet, insgesamt sind 493.000 arbeitsuch­end. 167.000 Menschen aus den Asyl-Hauptherku­nftsländer­n sind sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t.

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