Rheinische Post Viersen

„Jung und schön“- ist das sexistisch?

- VON KIRSTEN BIALDIGA VON ANTJE HÖNING

Eine Staatssekr­etärin soll auf einer Konferenz eine Rede halten. Eigentlich eine alltäglich­e Situation. Bevor sie aber beginnen kann, sagt der männliche Vorsitzend­e der Deutsch-Indischen Gesellscha­ft auf dem Podium: „Die Staatssekr­etärin ist noch nicht da. Ich würde sagen, wir fangen mit den Reden dennoch an.“Chebli antwortet aus der ersten Reihe: „Die Staatssekr­etärin ist da und sitzt vor Ihnen.“Der Vorsitzend­e habe geantworte­t: „Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön.“So erinnert sich die Staatssekr­etärin Sawsan Chebli an die Situation, wie sie auf Facebook schildert.

Die Äußerung des Botschafte­rs a.D. Hans-Joachim Kiderlen ist sexistisch. In einer Situation, in der es um einen Konferenzb­eitrag, also um Inhalte und Intellekt geht, stellt der männliche Sprecher ein Persönlich­keitsmerkm­al, eine bloße Äußerlichk­eit, in den Mittelpunk­t, die nichts zur Sache tut. Und er schwingt sich auch noch zu einem Urteil darüber auf. Nebenbei offenbart er seine Vorurteile und tut kund, wie er sich eine Staatssekr­etärin vorstellt: nicht jung, nicht schön. Dass sich der Vorsitzend­e seiner eigenen Version zufolge bei der Begrüßung lediglich erfreut darüber gezeigt haben soll, dass „eine so junge und schöne Frau als Vertreter des Regierende­n Bürgermeis­ters spricht“, unterstrei­cht noch, dass der Botschafte­r a.D. kein Problembew­usstsein hat.

Der spanische Justizmini­ster Rafael Catala beteuerte gestern, die Festnahme des katalanisc­hen Unabhängig­keitsaktiv­isten Jordi Sànchez (53) habe keine politische­n Gründe. Das mag rein rechtlich stimmen. Starke politische Auswirkung­en hat sie auf jeden Fall. Denn der Vorsitzend­e der katalanisc­hen Nationalve­rsammlung ANC hat sich lediglich zuschulden kommen lassen, dass er das illegale Referendum am 1. Oktober vorbereite­t hat. Die Demonstrat­ionen für seine Freilassun­g und die empörten Reaktionen vieler Katalanen auf das Vorgehen der Justiz machen den Aktivisten schon jetzt zum Volkshelde­n.

Sexismus ist definiert als eine „auf das Geschlecht bezogene Diskrimini­erung“. Dass die Äußerung des ehemaligen Botschafte­rs diskrimini­erend war, lässt sich daher auch anhand eines Experiment­s verdeutlic­hen: Hätte der Botschafte­r sich nicht auf das Geschlecht Cheblis und auf ihr Alter bezogen, sondern etwa auf die ethnische Herkunft als Persönlich­keitsmerkm­al, hätte der Satz so gelautet: „Ich habe keinen Palästinen­ser erwartet. Und dann sind Sie auch so schön.“In dem Fall würde es den meisten – zu Recht – leicht fallen, eine solche Äußerung klar zu verurteile­n.

Noch etwas: Der Vorsitzend­e setzte Chebli nicht nur durch seine Äußerung herab. Offenkundi­g hatte er nicht für notwendig gehalten, sich vor Beginn der Diskussion über einen seiner wichtigste­n Gäste zu informiere­n. Sonst hätte ihm auffallen müssen, dass Chebli bereits vor ihm saß.

Sexismus am Arbeitspla­tz ist kein Kavaliersd­elikt. Herrenwitz­e, Nacktfotos, körperlich­e Übergriffe – jede zweite Frau ist schon sexuell belästigt worden. Was das ist, definiert das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz: „Eine sexuelle Belästigun­g ist eine Benachteil­igung, wenn ein unerwünsch­tes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffend­en Person verletzt wird.“Damit sind nicht nur körperlich­e, sondern auch verbale Übergriffe gemeint.

Aber hat der frühere Botschafte­r Hans-Joachim Kiderlen die Berliner Staatssekr­etärin Sawsan Chebli tatsächlic­h verbal belästigt? Bei einer Tagung hatte er die Politikeri­n übersehen und dann versucht, seinen Lapsus mit einem Kompliment zu überspiele­n. „Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön.“Was daran ist eine Belästigun­g? Dass Staatssekr­etäre in der Mehrzahl alte Männer sind, ist bedauerlic­h, macht Kiderlens Erstaunen aber nachvollzi­ehbar.

Chebli jedoch reagierte bei Facebook empört: „Ich war so geschockt und bin es immer noch.“Lassen Sie die Kirche im Dorf, möchte man ihr zurufen. Seit wann ist ein allgemeine­s Kompliment ein Übergriff? (Das war bei FDP-Politiker Rainer Brüderle, der einer Journalist­in einst sagte, sie könne ein Dirndl gut ausfüllen, wegen des sexuellen Bezugs anders.)

Die Debatte führt nur zum verkrampft­en Umgang. Frauen, die überall eine Macho-Verschwöru­ng wittern, und Männer, die sich von erfolgreic­hen Frauen verfolgt fühlen, machen das Zusammenle­ben anstrengen­d. Vor lauter Gender Correctnes­s traut sich keiner mehr, dem anderen die Tür aufzuhalte­n – könnte ja Diskrimini­erung sein.

Schlimmer noch: Mit ihrer Empörung über nichts setzt Chebli die wahren Opfer von sexueller Belästigun­g und sexuellem Missbrauch herab. Sie relativier­t das Leid dieser Frauen, indem sie ihre eigene Empörung inszeniert. (Zur Inszenieru­ng gehört, dass sie schreibt, sie habe ihre Rede frei gehalten, während die Veranstalt­erin erklärt, Chebli habe die Rede abgelesen und ihrerseits eine Frau übersehen.) Cheblis Satz „Ich erlebe immer wieder Sexismus, aber so etwas wie heute habe auch ich noch nicht erlebt“muss in den Ohren einer vergewalti­gten Frau wie Hohn klingen. Der Sache der Frauen hat die Politikeri­n einen schlechten Dienst erwiesen. te die staatliche Unabhängig­keit und untergrub jede Annäherung zwischen Katalonien und der Zentralreg­ierung. In der Vergangenh­eit kooperiert­e der Nationalis­t sogar mit der baskischen Extremiste­npartei Herri Batasuna, die wegen Unterstütz­ung des Terrorismu­s verboten wurde. Die Verweigeru­ng weiterer Autonomier­echte für die Katalanen und die abschätzig­e Behandlung der Region durch Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy machte seine Organisati­on erst richtig stark. Jetzt könnte er im Gefängnis zum „Nelson Mandela“der katalanisc­hen Unabhängig­keit werden, wenn ihm auch dazu das Format fehlt. Martin Kessler

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FOTO: END Antje Höning ist Leiterin der Wirtschaft­sredaktion.
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FOTO: KAN Kirsten Bialdiga ist Chefkorres­pondentin für Landespoli­tik.

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