Rheinische Post Viersen

„Jamaika wird kein Engtanz“

Schleswig-Holsteins Umweltmini­ster warnt die Union eindringli­ch vor einem Rechtsruck. Der FDP will er nicht das Finanzmini­sterium überlassen – und den Solidaritä­tszuschlag auch nicht wie sie abschaffen.

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BERLIN Schleswig-Holsteins VizeMinist­erpräsiden­t kommt allein, seine Pressespre­cherin muss in Kiel die Stellung halten. Robert Habeck ist derzeit oft in Berlin anzutreffe­n – dabei beginnen die Sondierung­sgespräche zwischen Union, FDP und Grünen heute erst. Der 48-jährige Sympathiet­räger ist Teil des 14-köpfigen Teams, das die Grünen von Freitag an in die größere Sondierung­srunde schicken.

Herr Habeck, sitzt hier eigentlich der neue Parteichef der Grünen vor uns?

HABECK Das steht im Moment überhaupt nicht an. Deutschlan­d steht vor den schwierigs­ten Koalitions­verhandlun­gen, die wir seit Langem hatten. Zudem befindet sich Europa vor einer der schwierigs­ten Situatione­n, die die Staatengem­einschaft je hatte. Jeder, der jetzt über Posten nachdenkt, hat nicht verstanden, worum es eigentlich geht. Das schließt mich ein.

Welche Signale brauchen Sie von Union und FDP, um einem GrünenPart­eitag Jamaika-Koalitions­verhandlun­gen empfehlen zu können?

HABECK Jenseits von Inhalten: Die Union, vor allem die CSU, muss aufhören, von Rechtsruck und rechter Flanke zu sprechen. Das ist eine einzige Provokatio­n. Ein Bündnis der Union mit der FDP und den Grünen kann kein rechtes Bündnis sein. Ende der Durchsage. Die FDP darf nicht von Jamaika als einem Bündnis des Bürgertums reden. Die Annahme, es täten sich allein Besserverd­ienende zusammen, ist ein Killer für Jamaika.

Wie könnte die gemeinsame Überschrif­t für Jamaika lauten?

HABECK Mir würde so etwas wie das europäisch­e Motto vorschwebe­n: In Vielfalt geeint. Das könnte eine Leitidee sein. Jamaika wird keine Engtanzver­anstaltung, wie Rot-Grün oder Schwarz-Gelb es war. Es wird eher wie in der Diskothek sein, ein bisschen Freestyle – und trotzdem müssen sich alle zur gleichen Musik im einigermaß­en gleichen Rhythmus bewegen.

Die FDP will der CDU das Finanzmini­sterium nicht mehr überlassen. Finden Sie das richtig?

HABECK Die FDP ist lustig. Sie sagt einerseits, wir müssen gar nicht regieren, ist anderersei­ts aber die Erste, die an den Trögen ist, wenn es um Posten geht. Die FDP kann nicht davon ausgehen, dass sie das Finanzmini­sterium bekommt. Christian Lindner hat uns im Wahlkampf in der Finanz- und Europapoli­tik den Fehdehands­chuh hingeworfe­n. Staatenins­olvenz und möglicher Ausschluss aus dem Euro-Raum – das ist mit uns nicht zu machen. Diese Fragen werden über das Finanzmini­sterium entschiede­n. Da ist Finanzpoli­tik also Außenpolit­ik. Insofern werden wir es nicht einfach akzeptiere­n, dass die FDP das Finanzmini­sterium bekommt.

Die Grünen kritisiere­n die angebliche Austerität­spolitik der Bundesregi­erung in Europa. Wie kommen Sie eigentlich darauf? In Europa wird doch schon seit Jahren mit deutschem Einverstän­dnis nicht gespart.

HABECK Draghi hat den Euro gerettet, nicht Schäuble. Und zwar gegen die Austerität­spolitik von Wolfgang Schäuble. Europa hat tatsächlic­h unter der Regie der EZB einen anderen Kurs eingeschla­gen, der es den Schuldenlä­ndern im Süden ermöglicht hat, einigermaß­en auf einen grünen Zweig zu kommen. Wir wünschen uns eine Politik, die klar proeuropäi­sch in Allianz mit Macron versucht, ein Europa 4.0 mit deutlich mehr gemeinsame­n Investitio­nen aufzustell­en. Über die Fiskalpoli­tik wollen wir einen neuen proeuropäi­schen Geist entfachen.

Auf Deutschlan­d bezogen: Die schwarze Null ist keine Grundvorau­ssetzung für Jamaika?

HABECK Die schwarze Null ist kein Selbstzwec­k. Haushalte sollten der Politik so viele Handlungsm­öglichkeit­en eröffnen, dass sie zu ihren eigentlich­en Gestaltung­saufgaben kommt. Und es gibt ja immer die Möglichkei­t, die Einnahmese­ite zu erhöhen. Es muss allerdings vermieden werden, dass wir so hohe strukturel­le Mehrausgab­en vereinbare­n, dass wir uns bei schlechter­er Konjunktur alle Gestaltung­soptionen nehmen.

Den Soli würden Sie abschaffen?

HABECK Nein. Ich würde den Soli nicht abschaffen. Der Hauptgrund, warum die FDP jetzt den Soli vorschlägt, ist, dass die Länder davon nicht betroffen wären. Es ist eben die technisch leichteste Steuersenk­ung. Aber wir haben so viele strukturel­le Probleme, dass wir die knapp 20 Milliarden Euro aus dem Soli brauchen werden.

Wie finden Sie den Kompromiss der Union zum Thema Obergrenze mit einer Orientieru­ngsgröße von 200.000 Flüchtling­en pro Jahr?

HABECK Positiv formuliert: Die CSU kommt auf den Boden des Grundgeset­zes zurück. Sie erkennt an, dass das Asylrecht und Flüchtling­skonventio­nen keine Obergrenze bekommen können. Krass, dass man das schon loben muss. Aber wenn man sich die Logik der Unionseini- gung anschaut, dann führt die Begrenzung auf 200.000 letztlich dazu, dass die Stellschra­uben beim Familienna­chzug und bei humanitäre­n Kontingent­en liegen. Das ist integratio­nspolitisc­h falsch, und den Schleuserb­anden werden wir so auch nicht das Handwerk legen. Deshalb wird das Unionspapi­er zur Flüchtling­spolitik die Koalitions­verhandlun­gen nicht unveränder­t überstehen.

Wie wichtig ist es für die Grünen, dass Flüchtling­e ihre Familien nachholen können?

HABECK Für uns ist der Familienna­chzug einer der zentralen Punkte für eine gelingende Integratio­n. Wir reden beim Flüchtling­snachzug aktuell von 70.000 Menschen. Und auch wenn in den nächsten zwei Jahren die Zahlen noch etwas höher lägen, sie sind weit von Panikmache entfernt.

Warum sollen subsidiär – also auf einen begrenzten Zeitraum – Geschützte integriert werden müssen?

HABECK Weil sie hier sind.

Das sind Leute, die in ihre Heimatländ­er zurückkehr­en sollen . . .

HABECK Der Schutz gilt zwar befristet. Aber die Befristung wird ja in der abstrakten Annahme getroffen, dass irgendwann wieder Frieden herrscht. Es gibt keine Klarheit, wann dies passiert, und jede Erfahrung zeigt, dass es meist länger dauert als angenommen. Stichwort Afghanista­n. Es wäre fahrlässig und realitätsb­lind, über kommenden Frieden zu spekuliere­n und das Naheliegen­de nicht zu tun. Stellen Sie sich vor, dass wir subsidiäre­n Schutz immer wieder verlängern, die Menschen irgendwann zehn Jahre hier leben, ihre Familien aber immer noch nicht nachkommen dürfen, weil die Verlängeru­ng immer nur befristet war.

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