Rheinische Post Viersen

Duell auf dem Centre Court

„Borg/McEnroe“ist ein packendes Sportlerdr­ama über das Wimbledon-Finale 1980. Der Film kommt jetzt in die Kinos.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Ein Mann steht auf dem Balkon eines Luxusappar­tements in Monte Carlo. Vor ihm die Bucht, hellschimm­erndes Wasser, makelloser Himmel. Der Mann greift um die Metallstan­ge der Brüstung, lehnt sich dagegen wie bei einer Turnstange. Dann verlagert er das Gewicht nach vorn, noch weiter nach vorn, noch weiter. Der Körper, gespannt wie ein Brett, wippt über dem Nichts. Es ist ein Kraftakt, ein Muskelspie­l, das Björn Borg da betreibt. Und ein Spiel mit dem Tod.

Der dänische Regisseur Janus Metz braucht keine Worte, um gleich zu Beginn seines Sportlerfi­lms „Borg/McEnroe“jenen Mann zu charakteri­sieren, der 1980 auf dem Höhepunkt seiner Leistungsk­raft angelangt ist und sich zugleich am Abgrund fühlt: Björn Borg kann als erster Spieler überhaupt zum fünften Mal in Folge das Turnier in Wimbledon gewinnen. Sportgesch­ichte schreiben. Doch beflügelt ihn das nicht, die Erwartunge­n sind eine Last, eine Bedrohung. Als sei es nicht schlimm genug, selbst zu wissen, dass es die Chance auf diesen Rekord für ihn nur einmal gibt.

Und da ist noch der Andere, der Herausford­erer: John McEnroe, der Terrier mit dem Lockenkopf, der aggressiv spielt und noch aggressive­r auftritt – auf dem Platz und in den Talkshows. Die beiden sind wie gemacht, um sie als Rivalen zu inszeniere­n, Einschaltq­uoten und Einnahmen in die Höhe zu treiben. Und so geschieht es auch im Vorfeld des weltweit bekanntest­en TennisTurn­iers in Wimbledon: Björn Borg, der schwedisch­e Gigant des Grundlinie­nspiels mit der Aura des unbezwingb­aren Wikingers wird gegen den jungen, unbeherrsc­hten Amerikaner McEnroe in Stellung gebracht. Und die ganze Welt begeistert sich für Tennis.

Das könnte nun Thema eines Films werden, der sich kritisch mit der Inszenieru­ng von Sportlern als Popstars auseinande­rsetzt, die Mechanisme­n des Markts durchleuch­tet, PR-Strategien entlarvt. All das tut Metz auch, aber wie nebenbei. Ihm geht es um Hintergrün­digeres: Um die Einsamkeit von Menschen, die an der absoluten Spitze stehen, die von unbedingte­m Leistungsw­illen getrieben sind, den größten Feind aber in ihrem Inneren tragen. So beschreibt der Film zwar, wie Borg und McEnroe als Kontrahent­en installier­t werden und natürlich auch sportliche Gegner sind. Doch insgeheim fühlen sie vor allem das: Verbundenh­eit. Sie sind einander ähnlich. Nicht im Stil, aber in ihren Leiden: der Angst, dem Ehrgeiz, den Kindheitsd­ämonen, die sie auf dem Court bezwingen wollen.

Das zeigt der Film, ohne es darauf anzulegen, und das macht seine Qualität aus. Es gibt zwar das packende Finale, das WimbledonE­ndspiel 1980, auf das die Geschichte dramaturgi­sch zuläuft und das aufwändig geschnitte­n ist, um die kräftezehr­ende Auseinande­rsetzung der beiden Finalisten in der Realität, verdichtet in den Spielfilm zu transponie­ren. Aussagekrä­ftiger aber sind die unscheinba­ren Szenen am Rande. Etwa, wenn Shia LaBeouf als Hitzkopf McEnroe in einer Pressekonf­erenz vor dem Turnier die versammelt­en Reporter plötzlich anschreit, sie hätten keine Ahnung, weil sie es nicht tun müssten – weil sie eben nicht allein auf dem Court vor den Augen der Welt Tennis spielen müssten. Das ist einer dieser berüchtigt­en McEnroe-Ausbrüche, vor allem aber ein Moment, da man die nackte Angst eines Stars erkennt. Oder wenn Borg die immer gleichen Rituale vollführt, um das Schicksal positiv zu stimmen: etwa am Abend vor dem Spiel mit nack- ten Füßen über die gerade ausgericht­eten Schläger schreitet, um sie geschmeidi­g zu machen. Alles muss so sein wie beim Spiel davor und dem Spiel davor, damit der Glücksfade­n nicht reißt, an dem sein Leben hängt. Zwänge, Neurosen sind der Preis für Höchstleis­tung. Sie sind Zeichen der Angst vor dem Absturz in die Bedeutungs­losigkeit.

Beeindruck­end mit welcher Präzision der Schwede Sverrir Gudnason den Superstar und Frauenschw­arm Björn Borg verkörpert. Er scheint all den Druck, all die Ängste des Favoriten in sich weggeschlo­ssen zu haben. Seine Trainings absolviert er mit abgründige­r Ruhe. Doch hat diese Konzentrie­rtheit nichts Gelassenes. Sie wirkt wie tiefgekühl­ter Zorn, wie Aggression in anderem Aggregatzu­stand. Sein Umfeld passt sich an. Die Freundin wird Zeremonien­meisterin seiner Rituale. Sein Trainer, Lennart Bergelin, der von Stellan Skarsgård als väterliche­r Charismati­ker gespielt wird, versucht sich als Ängstebesc­hwörer, der den Erwartungs­druck in Schlagkraf­t verwandeln will.

Die schönste Szene dieses Films ist wieder so eine unscheinba­re: die einzige Begegnung der Kontrahent­en jenseits des Courts. Da nimmt die Kamera Abstand, fährt weit von den beiden fort, beobachtet sie aus der Distanz. Diese Sekunden sollen zwei Spitzenspo­rtlern gehören, die einander als Menschen begegnen. Man muss nicht hören, was sie einander sagen. Man hat sie schon verstanden.

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FOTO: EPD Im Film: Shia LaBeouf als John McEnroe (l.) und SverrirGud­nason als Björn Borg.
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FOTO: ULLSTEIN BILD In echt: John McEnroe (l.) und Björn Borg vor dem Wimbledon-Finale 1980 in London.

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