Rheinische Post Viersen

Spurensuch­e in Stammheim

Andreas Magdanz’ Fotoserie dokumentie­rt das Gefängnis der RAF-Terroriste­n.

- VON ANNETTE BOSETTI

AACHEN Fünf Monate war Andreas Magdanz für sein Projekt auf Spurensuch­e in Stammheim. Wie viel würde der Hochsicher­heitstrakt Jahrzehnte später noch preisgeben von seiner blutigen Geschichte? In welchem Zustand würde er die Zellen des kollektive­n Selbstmord­es vorfinden? Er war 2009 in eine Wohnung gezogen, die normalerwe­ise für Justizange­stellte reserviert ist. Man öffnete ihm Tür und Tor.

Die Todesnacht von Stammheim, so empfindet es der in Mönchengla­dbach geborene Fotokünstl­er, ist für ihn bis heute die wichtigste politische Zäsur im Nachkriegs­deutschlan­d. Auf dem Schlusspun­kt des Deutschen Herbstes wurden die Geiseln in der „Landshut“in Mogadischu befreit. Wenig später töteten sich in der Nacht zum 18. Oktober 1977 die führenden Terroriste­n der Rote Armee Fraktion (RAF) in Stammheim. Als Hanns Martin Schleyers Entführer von diesem Suizid erfuhren, brachten sie den Arbeitgebe­rpräsident­en mit drei Schüssen in den Hinterkopf um.

Der Fotograf (54) brach auf zu einem künstleris­chen Feldforsch­ungsprojek­t. Vom Keller bis zum Dach durchforst­ete er die Justizvoll- zugsanstal­t. Meist war er nachts unterwegs, wenn die JVA-Insassen in ihren Zellen waren. Von allen Seiten fotografie­rte er das Areal, von oben aus dem Polizei-Hubschraub­er, von außen und von innen. Sogar das damals eigens errichtete Gericht in der nebenanlie­genden Mehrzweckh­alle ist Motiv seiner Fotoserie. Tausende Bilder hat er aus Stammheim mitgebrach­t. „Ich habe noch nie eine Geschichte so intensiv auserzählt wie diese“, erzählt der in Hildesheim tätige Professor, der sich mit Arbeiten über Garzweiler, Vogelsang und den Hambacher Forst einen Namen gemacht hat. Selbst wenn der Bau 1, in dem heute jugendlich­e Straftäter untergebra­cht sind, abgerissen werden sollte, dann gibt es dieses Zeugnis deutscher Geschichte.

Seine Schwarz-Weiß-Fotos sind nüchtern, präzise, tief und scharf – „es war die bleierne Zeit“. Sein besonderes Interesse fanden die kargen Zellen, in denen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe durch Suizid starben. Die Durchblick­e, die die Gefangenen am Tage bei geöffneten Türen genossen, hat er nachvollzo­gen, wenig Lichtschim­mer in der Düsternis zugelassen. Auch den Standpunkt vom zentralen Überwachun­gspult aus auf die berüchtigt­e siebte Etage hat er inszeniert. Schließlic­h die Zelle 719 von Andreas Baader. Im Mai des Vorjahres hatte sich in derselben Zelle die RAF-Terroristi­n Ulrike Meinhof erhängt. Dieses Bild hat Magdanz als einziges getönt. Info Die Bilder sind in dem Buch „Stammheim“zusammenge­fasst. Magdanz zeigt sie ab heute in seinem Aachener Atelierhau­s bis 4. 2. 2018. Nur nach Anmeldung unter magdanz@andreasmag­danz.de.

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FOTO: ANDREAS MAGDANZ Zelle 719 in Stammheim: In dieser Zelle starben die RAF-Terroriste­n Andreas Baader (Oktober 1977) und Ulrike Meinhof (Mai 1976).

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