Rheinische Post Viersen

Als Arjen Robben noch Haare hatte

Seit vergangene­r Woche ist er „nur“noch Spieler bei den Bayern. Eine große Karriere klingt langsam aus.

- VON ANDRÉ SCHAHIDI

DÜSSELDORF Wenn ich daran denke, wie ich Arjen Robben kennengele­rnt habe, denke ich an Haare auf dem Kopf. An rudernde Arme. Und bunte Sitzschale­n. Es war 2004, ich war 22 Jahre alt. Mein Vater hatte Tickets für das EM-Spiel der Niederland­e gegen Tschechien bekommen. Meine Schwester und ich waren aus dem Häuschen: Wir flogen nach Portugal. Und damals, im kunterbunt­en Stadion von Aveiro, fiel er sofort auf: Ein junger Mann, noch mit Haaren auf dem Kopf und der Nummer 19 auf dem Trikot, wirbelte mit rudernden Armen die tschechisc­he Defensive durcheinan­der. Robben bereitete zwei Tore vor und gab noch die Vorlage zu zwei Pfostensch­üssen. Und wurde dann nach 58 Minuten vom damaligen (und heutigen) Trainer Dick Advocaat ausgewechs­elt. Meine Schwester, mein Vater und ich schauten uns auf der Tribüne fassungslo­s an: Das hatte er nicht wirklich gemacht?

Hatte er doch. Kaum war Robben draußen, nutzten die Tschechen den Platz und drehten eines der besten Spiele zum 3:2-Sieg. Auf unserer Rückfahrt gab es nur ein Thema: „de wissel“, die Auswechslu­ng. Allen Fans war klar: Mit Robben auf dem Platz hätten „wir“das Spiel gewonnen. Nicht ganz klar war mir damals aber, dass ich der Geburt eines Weltstars beigewohnt habe.

Von diesem Tag an verfolgte ich Robbens Geschichte genauer. Es ist die Geschichte eines Fußballers, der in der Provinz bei Groningen aufwächst. Unbemerkt von allen Scouts. Auf dem Land durfte er dribbeln. Und noch mehr dribbeln. Und erst, als er schon so groß war, dass man ihm das Dribbeln nicht mehr austreiben konnte, wurde er entdeckt. Das war sein Glück – so entging er nämlich den großen Fußball-Akademien, in denen Fußballer stromlinie­ngeformt werden. Nach seinen Gala-Auftritten bei der EM 2004 holte Chelsea London den damals 20-Jährigen nach London. Drei Jahre später ging es zu Real Madrid. Nun war der kleine Dribbler aus der niederländ­ischen Provinz ein Star.

Richtig interessan­t wurde es für mich jedoch erst, als Robben 2009 zu Bayern München kam. Da brachte er seinen „Signature Move“mit – die Aktion, die fest mit seinem Namen verbunden ist: Von rechts in die Mitte ziehen und den Ball ins lange Eck schlenzen. Klappte ständig. Experten versuchten, die Bewegung zu entschlüss­eln, rätselten darüber, warum Verteidige­r ihn nicht stoppen konnten, obwohl sie doch genau wussten, was kommt. Die wissenscha­ftliche Antwort war einfach: Robben ist einfach zu schnell.

Arjen Robben steht für den niederländ­ischen Fußball. Für Technik, für Spielwitz. Für große, aber auch bittere Momente, die für uns Niederländ­er zum Tagesgesch­äft gehören. Ich habe so viele davon mit ihm erlebt. Sein Tor zum ChampionsL­eague-Titel 2013 gegen Dortmund, das sogar ich als Nicht-Bayern-Fan bejubeln musste. Das Bangen um seine Teilnahme an der WM in Südafrika 2010 wegen einer Muskelverl­etzung, seine Wunderheil­ung und sein Solo im Finale gegen Spanien auf dem Weg zum WM-Titel, das von Torhüter Iker Casillas im letzten Moment gestoppt wurde. Mit dem rechten großen Zeh, wie in einer griechisch­en Tragödie. Ich erinnere mich aber auch an Robbens sportliche Revanche beim 5:1-Sieg 2014 im WM-Gruppenspi­el gegen Spanien, als er Sergio Ramos trotz fünf Meter Rückstand überholte, mit Abwehr und Casillas Katz und Maus spielte und den Ball ins Tor rammte. Für die Spanier war nach der Gruppenpha­se Schluss – doch Robben führte seine Niederländ­er auf Platz drei.

Wenn ich meine Schwester, die am 23. Januar 1984 geboren wurde, zum Geburtstag anrufe, gratuliere­n wir uns manchmal scherzhaft zu „Arjens Geburtstag“– beide sind auf den Tag genau gleich alt. Es sind auch diese Kleinigkei­ten, mit denen der Mann mit den rudernden Armen einen Platz in meinem Fußball-Herz fand, der dort die Nachfolge meines Jugend-Idols Dennis Bergkamp antrat.

Als Arjen Robben vergangene Woche in seinem letzten Länderspie­l gegen Schweden bei der Nationalhy­mne weinte und ich die Bilder sah, tat auch mir das weh. Kein „Arjen“mehr in Oranje, daran muss ich mich gewöhnen. Ein Weltstar tritt langsam ab. Immerhin ist es ein sanfter Entzug. Den Bayern bleibt er ja noch ein bisschen erhalten. Der Autor (36) wuchs auf der niederländ­ischen Nordseeins­el Texel auf. Er hat den niederländ­ischen und den deutschen Pass.

 ?? FOTO: IMAGO ?? In der Haltung unverkennb­ar Arjen Robben – der Niederländ­er 2004, am Anfang einer großen Karriere.
FOTO: IMAGO In der Haltung unverkennb­ar Arjen Robben – der Niederländ­er 2004, am Anfang einer großen Karriere.

Newspapers in German

Newspapers from Germany