Rheinische Post Viersen

„Fußball ist nicht immer ganz ehrlich“

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Ballverlus­t in der gegnerisch­en Hälfte, dann sind wir draufgestü­rzt, hatten keine gute Ordnung und keine gute Konterabsi­cherung. In Düsseldorf haben wir das aber weitgehend abgestellt. Es muss einfach unser Ziel sein, nicht nur hinten zu verteidige­n, sondern schon weit vorne.

17 Gegentore nach neun Spielen sind zu viel für Borussias Anspruch.

GINTER Das stimmt. Aber man muss es etwas relativier­en. Elf der 17 Tore haben wir in zwei Spielen bekommen, sechs in den restlichen sieben. Das ist ganz ordentlich. Trotzdem: Elf Gegentore in zwei Spielen dürfen nicht passieren..

Wie sehr ärgert man sich, wenn jeder Ball des Gegners im Tor landet?

GINTER Leverkusen hat uns gnadenlos vorgeführt, dass unsere Chancenver­wertung nicht gut war. Das ist auch ein Thema bei uns. Wir haben uns auch in Düsseldorf durch die mangelhaft­e Chancenver­wertung unnötig in Gefahr gebracht.

Mangelnde Chancenver­wertung, zeitweise Unordnung, aber auch sehr gute Ansätze – ist Borussias Team noch dabei, sich zu finden?

GINTER Das würde ich nicht so sagen. Die Strukturen sind bekannt, wir wissen, welches System wir ha- ben, wie wir spielen wollen, auch gegen den Ball. Aber es fehlt die Konstanz. Die Ausschläge nach oben und unten sind wie eine Achterbahn. Darum ist es unser Ziel, dass wir Konstanz in unsere guten Leistungen reinbringe­n. Dann sind wir gegen keinen Gegner chancenlos.

Auch nicht gegen Hoffenheim.

GINTER Auch nicht gegen Hoffenheim. Es ist aber wichtig, dass wir unser Spiel machen, ein gutes Positionss­piel haben, den Ball gut laufen lassen und kompakt verteidige­n. Hoffenheim ist sehr variabel und kompakt und spielt einen attraktive­n Fußball. Wir werden auch offensiv einen guten Tag brauchen. Wenn es so ist, ist die Wahrschein­lichkeit sehr hoch, dass wir gegen Hoffenheim etwas holen oder gewinnen.

Sie waren im Sommer in Hoffenheim im Gespräch.

GINTER Richtig. Aber in Gladbach habe ich gleich das Vertrauen von Dieter Hecking und Max Eberl gespürt – und hier kann ich auf einer festen Position vorangehen, ein Führungssp­ieler sein. Natürlich fällt es schwer, als Spieler auf Europa zu verzichten, doch man muss es immer ein bisschen abwägen. Und in Gladbach passt das Gesamtpake­t einfach am besten.

Der Anspruch, eine feste Position zu haben, ist erfüllt: Sie haben alle Spiele mitgemacht und das immer als Innenverte­idiger. Sind Sie Abwehrchef?

GINTER Ich brauche kein Etikett, aber ich will, dass man auf dem Platz sieht, das ich das Zeug dazu habe. Es ist nicht mehr wie vor zehn Jahren, als es noch den einen Boss gab, heute sollte es vier, fünf Spieler in einer Mannschaft geben, die etwas mehr Verantwort­ung tragen.

Jannik Verstergaa­rd saß in Düsseldorf auf der Bank, die meiste Zeit haben Sie mit ihm die Innenverte­idigung gebildet. Es gab Spiele, da hatte man das Gefühl, die Abstimmung ist perfekt, dann gab es, wie nun gegen Leverkusen ganz andere Eindrücke.

GINTER Es muss jedem Spieler und dem Team gelingen, auch bei einem Rückschlag geduldig zu bleiben und nicht alles nach vorn zu schmeißen. Wir müssen kompakt bleiben. Dann sieht auch jeder Einzelne besser aus. So war es in Spielen wie in Bremen.

Wie kann man die TSG Hoffenheim besiegen?

GINTER Hoffenheim spielt mutig hinten raus, es gibt kaum lange Bälle, und wenn sie die erste Linie überspielt haben, geht es sehr schnell. Man muss vorne draufgehen und kompakt nachrücken. Und wenn sie ins Tempo kommen, muss man die Kompakthei­t halten.

Was Borussia angeht: Wird Matthias Ginter ein wesentlich­er Baustein im Team der nächsten Jahre?

GINTER Das ist auf jeden Fall mein Ziel. Ich lerne ja auch noch, die Rolle, die ich hier habe, hatte ich noch nicht. Das geht nicht von heute auf morgen.

Sie sind ja erst 23, sind aber schon im siebten Profijahr.

GINTER Ich sehe mich nicht mehr als Talent, auch wenn ich noch nicht so alt bin. Es geht für mich um Erfahrung. Ich habe schon das eine oder andere miterlebt.

Zum Beispiel eine WM. Steht im nächsten Sommer die zweite an?

GINTER Das hoffe ich. Der ConfedCup war für mich sicherlich wichtig, um mich weiter zu zeigen. Aber der Fußball ist sehr schnellleb­ig, darum ist es schwer, Prognosen zu stellen. Erst mal muss man im Verein seine Leistung bringen. Dann kommt die Nominierun­g von allein.

Sie waren bei der WM in Brasilien mit Christoph Kramer in einem Team, beim Confed-Cup dann mit Lars Stindl. Schweißt so etwas besonders zusammen?

GINTER Sicherlich. Man verbringt schon einige Zeit miteinande­r, es ist speziell. Nach einer gewissen Zeit kommt der Lagerkolle­r – da muss man sich dann ablenken mit anderen Sachen, mit Tischtenni­s, Billard oder Basketball.

Was lenkt Sie am besten ab ?

GINTER Basketball. Ich habe auch einen Korb im Garten.

Spielen Sie auch schon mal mit Ihrem Nachbarn Lars Stindl? Oder sitzen die Herren eher beim badischen Wein zusammen und diskutiere­n die Taktik für das nächste Spiel?

GINTER Nein, nein, das nicht. Aber es ist schon cool, wenn man einen Kollegen gegenüber wohnen hat. Außerdem wohnen viele Spieler in der Gegend. Das gehört zum menschlich­en Aspekt, der hier in Gladbach sehr ausgeprägt ist. Man kann auch einfach mal durch die Stadt gehen – das war in Dortmund schon anders. Wenn man da verloren hatte, und man zwei Tage später nur etwas Essen war, haben Fans etwas komisch geschaut, nach dem Motto: „He, willst du nicht lieber trainieren?“

Passt die etwas ruhigere Fußballwel­t in Gladbach besser zu Ihnen?

GINTER Grundsätzl­ich schon. Doch der Fußball ist generell seit einigen Jahren eine Scheinwelt geworden, in der viele sicherlich meinen, sich auf verschiede­ne Art und Weise profiliere­n zu müssen. Es spielen viele andere Werte mit, als nur die Leistung.

Muss man sich als Marke positionie­ren? Zum Beispiel in den sozialen Netzwerken?

GINTER Es gehört dazu. Mir persönlich geht es aber nicht darum, Follower zu bekommen, eher ist es so, dass ich auf diese Weise direkten Kontakt zu den Fans haben kann. Vor zehn oder 20 Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass man seinen Idolen direkt schreibt.

Die große Öffentlich­keit des Fußballs hat auch dunkle Seiten. Die haben Sie im BVB-Teambus das Attentat auf Ihre damalige Mannschaft erlebt. Sie haben danach gesagt, dass Sie darüber nachgedach­t haben, mit dem Fußball aufzuhören. Was würden Sie machen, wenn Sie nicht mehr Profi wären?

GINTER Es gibt sehr viel, was ich mir vorstellen könnte. Wenn ich nicht Fußballer wäre, würde ich wahrschein­lich studieren, sicher auch irgendwas mit Sport. Was ich machen werde, ist in nächster Zeit eine Stiftung zu gründen, um Kindern und Jugendlich­en, die sozial und körperlich benachteil­igt sind, zu helfen. Ich denke, als Fußballer sollte man ein bisschen etwas zurückgebe­n.

Fällt es manchmal schwer, in der Scheinwelt des Fußballs zu leben?

GINTER Am Anfang muss man sich an vieles gewöhnen, dann wird es Normalität. Aber es gibt immer noch Dinge, die ich nicht nachvollzi­ehen kann. Wenn man zum Beispiel in einem Gespräch mit einem Sportdirek­tor zu hören bekommt, man sei DER Kandidat und eine Woche später wird ein anderer Spieler für die Position verpflicht­et, ist das schon merkwürdig. Der Fußball ist nicht immer ganz ehrlich. Aber das gehört wohl zum Business.

Zurück auf den Platz: Gehen wir mal davon aus, dass Sie nächsten Sommer zur WM fahren – tun Sie das dann als Europapoka­l-Teilnehmer mit Gladbach?

GINTER Das ist das große Ziel. Es ist alles sehr eng in der Bundesliga. Wenn wir konstant werden und unsere Leistung bringen, werden wir unsere Ziele auch erreichen, da bin ich mir sicher.

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